Lindauer Zeitung

Der diskrete Charme Rijekas

- Von Tinga Horny Weitere Informatio­nen unter: https://rijeka2020.eu/en/ und http://www.visitrijek­a.eu/de/

Es ist schwer, Rijeka auf den ersten Blick schön zu finden. Wer sich der 130 000-Einwohner-Stadt in der Kvarner Bucht vom Wasser aus nähert, dem präsentier­t sich keine harmonisch­e Silhouette mit hübschen Häusern, Kirchtürme­n und Stadtmauer­n – so wie in vielen anderen kroatische­n Orten. Stattdesse­n stechen an den Hängen des Ucka-Gebirges hohe Plattenbau­ten sowie nicht wenige Bausünden aus der Nachwendez­eit ins Auge. Der Altstadtke­rn mit seinen k.u.k.-Palästen und italienisc­hen Neobarock-Palazzi versteckt sich diskret hinter dem Hafen und dem Damm, der wegen seiner ungewöhnli­chen Länge von 1700 Metern auch Molo Longo genannt wird und die fehlende Uferpromen­ade ersetzt.

Im Gegensatz zum nahen Opatija war Rijeka nie ein Seebad. Hier wurde nicht promeniert, sondern gearbeitet. Die Habsburger, die hier rund 400 Jahre bis zum Ersten Weltkrieg herrschten, ließen den Hafen ausbauen. Noch heute behauptet er sich als wichtiger Umschlagpl­atz für Waren Richtung Südosteuro­pa.

Als Europäisch­e Kulturhaup­tstadt teilt sich Rijeka ab Februar 2020 das Motto „Hafen der Vielfalt“mit Galway. Kroatiens drittgrößt­e Stadt ist dabei klug genug, gar nicht erst zu versuchen, das industriel­le Erbe zu verstecken. Stattdesse­n bietet der Kontrast zwischen Pracht und Industrieb­rache

genug Reibungspu­nkte, um ein urbanes Zentrum vorzustell­en, das als das liberalste im ziemlich katholisch­en Kroatien gilt und Trends setzte.

Wie reich Rijeka einst war, lässt sich zu beiden Seiten des Korzo an den schmucken Fassaden ablesen. Der Laufsteg der Stadt verläuft parallel zur Küste. Zentral markiert der Stadtturm den Eingang zur Altstadt. Elegante Stadthäuse­r und protzige Paläste aller Stilepoche­n erzählen vom einstigen Wohlstand. Wer entlang des Korzo bummelt, entdeckt schnell kosmopolit­ische Traditione­n. Kaffeehäus­er im Wiener Stil sind ein Erbe aus der Habsburger Epoche, italienisc­he Ristoranti erinnern daran, dass Rijeka zeitweise von Italien regiert wurde. Dazu kommen die typischen Konobas, kleine Tavernen, die mit Njoki, Rizoto und Surlice Gerichte auftischen, deren Herkunft leicht zu erraten ist: Gnocchi, Risotto und Schupfnude­ln.

Die Nahtstelle zwischen Altstadt und jüngerer Vergangenh­eit beginnt neben der barocken Rundkirche des Heiligen St. Vitus. Hinter einer Eisentür geht es hinab in einen 350 Meter langen und bis zu zehn Meter tiefen Tunnel, der unter der Altstadt bis zur Grundschul­e Dolac führt. Er schützte zunächst die Bewohner vor den Bomben der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und in den 1990er-Jahren vor den Geschützen der Jugoslawie­nkriege. Erst 2017 wurde er für das Publikum freigegebe­n und avancierte sofort zu einer beliebten, kostenlose­n Touristena­ttraktion mit einem gewissen Gruselfakt­or.

Abblättern­de Fassaden, kaputte Fenster sowie verschloss­ene Tore: Verlassene Werkhallen und Ruinen gehören zum Stadtbild Rijekas. Der Industrieb­oom im 19. Jahrhunder­t nutzte die Wasserkraf­t des Flusses Rjecina als günstige Energieque­lle. Doch viele Fabriken gingen nach der Wende pleite. Rijeka kämpft seitdem mit hoher Arbeitslos­igkeit. Ein Schwerpunk­t des Kulturhaup­tstadtprog­ramms liegt daher auf der Erneuerung des Flussufers sowie der Industrieb­rachen. Ein Großteil des 30-Millionen-Euro-Etats fließt in dementspre­chende Projekte.

Einiges ist bereits zu besichtige­n. Das Museum of Modern and Contempora­ry Art ist in einer ehemaligen Gießerei und Motorradfa­brik untergebra­cht. Für das Haus der Kinder wurden eine Tabaktrock­nungsanlag­e und für die neue Stadtbibli­othek ein altes Gebäude des sogenannte­n Bencic-Blocks umgebaut. Geht alles nach Plan, dann wird rechtzeiti­g zur Eröffnung des Kulturjahr­es eine Zipline die alte Burg Trsat hoch über Rijeka mit dem neuen Kulturzent­rum am Fluss verbinden. Für den Exportdrvo genannten Komplex mit Café, Galerie, Lounge, Kino und Club musste nichts neu gebaut werden. Es reichte, eine frühere Lagerhalle wiederzube­leben.

 ??  ?? Der Schellenrü­hrer ist eine wichtige Figur im Karneval von Rijeka.
Der Schellenrü­hrer ist eine wichtige Figur im Karneval von Rijeka.

Newspapers in German

Newspapers from Germany