An der Belastungsgrenze
Die Kinderkliniken im Allgäu sind phasenweise überbelegt – gerade im Winter
- Für 2019 verzeichnet die Memminger Kinderklinik einen Rekord: Mehr Frühgeborene als je zuvor wurden dort behandelt. „Wir sind sehr gut ausgelastet, besonders im Intensivbereich“, sagt Verwaltungsleiter Maximilian Mai. Das Krankenhaus bemühe sich, jeden aufzunehmen. Doch hier komme man zu dem größten Problem von Kinderkliniken: dem Bezahlsystem. Kinder werden wie Erwachsene abgerechnet. Bezahlt wird pro behandeltem Patienten – unabhängig vom Pflegeaufwand. „Kinder benötigen jedoch viel mehr Zeit und Personal“, sagt Mai.
„Als kommunale Klinik müssen wir für Notfälle immer aufnahmebereit sein“, sagt Hendrik Jünger, Chefarzt der Kinderklinik Kempten. Im Vergleich zu Erwachsenen schwanken die Patientenzahlen stark. In Kempten werden jährlich etwa 3500 Kinder stationär und 6000 ambulant betreut. Gerade im Winter, wenn viele Kinder krank seien, komme es zu einer Überbelegung, sagt Jünger. Dann müssten die Kinder in andere Kliniken verlegt werden. Dort herrscht oft das gleiche Problem. Trotzdem müssen die Kinder versorgt werden – von einem Personal, das laut Kliniksprechern ohnehin schon teilweise überlastet sei. Die Kinderheilkunde ist „das breiteste“aller klinischen Fächer, sagt Jünger. Das Personal müsse dementsprechend geschult sein. Doch gerade in der Neonatologie, der Neugeborenen-Medizin, bestehe deutschlandweit ein Mangel an hoch qualifiziertem Pflegepersonal, sagt Jünger. Wegen des Schichtdienstes, der Bezahlung und der emotionalen Belastung in der Arbeit mit schwerkranken Kindern gebe es wenig Nachwuchskräfte.
„Im Vergleich zu Metropolen wie München ist die personelle Situation in Kempten aber noch vergleichsweise gut“, sagt Jünger. Betten wurden wegen Personalmangels noch nicht gesperrt. Auch in der Kinderklinik Kaufbeuren mangelt es nicht an Patienten – „im Gegenteil“, sagt Chefarzt Markus Rauchenzauner. „Wir hatten schon immer mehr Patienten als Betten.“In der Kaufbeurer Kinderklinik gibt es 20 Betten.
Die kleinen Patienten stammen hauptsächlich aus der Region. „Doch gerade für neurologische Behandlungen kommen die Menschen von weit her“, sagt Rauchenzauner. Kranke Kinder seien nicht mit Erwachsenen zu vergleichen: „Ein Kind kann nicht allein gelassen werden“, sagt Rauchenzauner. Das Pflegepersonal müsse daher mehr Zeit investieren. „Habe ich ein Kind als Patienten, kümmere ich mich um zwei Menschen: das Kind und die Mutter“, sagt Rauchenzauner. Selbst einfache Tätigkeiten wie Blutabnehmen dauerten länger. Denn das Kind streckt im seltensten Fall freiwillig den Arm hin.
Die gleiche Pauschale für alle
Obwohl die Behandlung eines Fünfjährigen länger dauert als die eines 50Jährigen, bekommen Krankenhäuser dafür nicht mehr Geld. Seit 2003 werden sie mit einer Pauschale bezahlt. Das heißt, dass es für die Behandlung einer bestimmten Erkrankung dieselbe Summe gibt. „Dieses Bezahlsystem funktioniert in Kinderkliniken nur bedingt“, sagt Rauchenzauner.
Einige Behandlungen würden gut bezahlt. Doch dies sei nicht bei allen der Fall. „Die Kinderheilkunde ist in diesem System schlecht abgebildet und unterfinanziert“, so Jünger. Dies gefährde eine positive Entwicklung einer Klinik und ihr Angebot. Gerade die Versorgung von chronisch und komplex erkrankten Kindern sei unterfinanziert.
„Dieses Problem haben wir erkannt und sind mit Fachorganisationen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Bundesministerium für Gesundheit im Austausch“, sagt Ann Marini vom GKV-Spitzenverband, der die Interessen der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland vertritt. Der Vorschlag: Kinderkliniken, die ein Defizit aufweisen, sollen zusätzlich zur Fallpauschale einen Zuschlag bekommen. Der GKV stellte einen Antrag beim dafür zuständigen Gremium. Dies könnte 2021 in Kraft treten.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich nach Medienberichten dafür aus, Krankenhäusern Zulagen zu zahlen, wenn sie Kinder aus ihrer Region versorgen. „Natürlich würden sich Kliniken darüber freuen“, sagt Mai. Doch man müsse einen Schritt weiter gehen: „Das gesamte Finanzierungssystem sollte überdacht werden“, sagt er. Auch Rauchenzauner findet, dass mehr getan werden muss: „Kliniken brauchen einen finanziellen Anreiz.“In Kaufbeuren sei die finanzielle Situation in den vergangenen Jahren besser geworden. Man habe vor Ort die uneingeschränkte politische Rückendeckung, sagt der Chefarzt.