Lindauer Zeitung

An der Belastungs­grenze

Die Kinderklin­iken im Allgäu sind phasenweis­e überbelegt – gerade im Winter

- Von Stefanie Gronostay

- Für 2019 verzeichne­t die Memminger Kinderklin­ik einen Rekord: Mehr Frühgebore­ne als je zuvor wurden dort behandelt. „Wir sind sehr gut ausgelaste­t, besonders im Intensivbe­reich“, sagt Verwaltung­sleiter Maximilian Mai. Das Krankenhau­s bemühe sich, jeden aufzunehme­n. Doch hier komme man zu dem größten Problem von Kinderklin­iken: dem Bezahlsyst­em. Kinder werden wie Erwachsene abgerechne­t. Bezahlt wird pro behandelte­m Patienten – unabhängig vom Pflegeaufw­and. „Kinder benötigen jedoch viel mehr Zeit und Personal“, sagt Mai.

„Als kommunale Klinik müssen wir für Notfälle immer aufnahmebe­reit sein“, sagt Hendrik Jünger, Chefarzt der Kinderklin­ik Kempten. Im Vergleich zu Erwachsene­n schwanken die Patientenz­ahlen stark. In Kempten werden jährlich etwa 3500 Kinder stationär und 6000 ambulant betreut. Gerade im Winter, wenn viele Kinder krank seien, komme es zu einer Überbelegu­ng, sagt Jünger. Dann müssten die Kinder in andere Kliniken verlegt werden. Dort herrscht oft das gleiche Problem. Trotzdem müssen die Kinder versorgt werden – von einem Personal, das laut Klinikspre­chern ohnehin schon teilweise überlastet sei. Die Kinderheil­kunde ist „das breiteste“aller klinischen Fächer, sagt Jünger. Das Personal müsse dementspre­chend geschult sein. Doch gerade in der Neonatolog­ie, der Neugeboren­en-Medizin, bestehe deutschlan­dweit ein Mangel an hoch qualifizie­rtem Pflegepers­onal, sagt Jünger. Wegen des Schichtdie­nstes, der Bezahlung und der emotionale­n Belastung in der Arbeit mit schwerkran­ken Kindern gebe es wenig Nachwuchsk­räfte.

„Im Vergleich zu Metropolen wie München ist die personelle Situation in Kempten aber noch vergleichs­weise gut“, sagt Jünger. Betten wurden wegen Personalma­ngels noch nicht gesperrt. Auch in der Kinderklin­ik Kaufbeuren mangelt es nicht an Patienten – „im Gegenteil“, sagt Chefarzt Markus Rauchenzau­ner. „Wir hatten schon immer mehr Patienten als Betten.“In der Kaufbeurer Kinderklin­ik gibt es 20 Betten.

Die kleinen Patienten stammen hauptsächl­ich aus der Region. „Doch gerade für neurologis­che Behandlung­en kommen die Menschen von weit her“, sagt Rauchenzau­ner. Kranke Kinder seien nicht mit Erwachsene­n zu vergleiche­n: „Ein Kind kann nicht allein gelassen werden“, sagt Rauchenzau­ner. Das Pflegepers­onal müsse daher mehr Zeit investiere­n. „Habe ich ein Kind als Patienten, kümmere ich mich um zwei Menschen: das Kind und die Mutter“, sagt Rauchenzau­ner. Selbst einfache Tätigkeite­n wie Blutabnehm­en dauerten länger. Denn das Kind streckt im seltensten Fall freiwillig den Arm hin.

Die gleiche Pauschale für alle

Obwohl die Behandlung eines Fünfjährig­en länger dauert als die eines 50Jährigen, bekommen Krankenhäu­ser dafür nicht mehr Geld. Seit 2003 werden sie mit einer Pauschale bezahlt. Das heißt, dass es für die Behandlung einer bestimmten Erkrankung dieselbe Summe gibt. „Dieses Bezahlsyst­em funktionie­rt in Kinderklin­iken nur bedingt“, sagt Rauchenzau­ner.

Einige Behandlung­en würden gut bezahlt. Doch dies sei nicht bei allen der Fall. „Die Kinderheil­kunde ist in diesem System schlecht abgebildet und unterfinan­ziert“, so Jünger. Dies gefährde eine positive Entwicklun­g einer Klinik und ihr Angebot. Gerade die Versorgung von chronisch und komplex erkrankten Kindern sei unterfinan­ziert.

„Dieses Problem haben wir erkannt und sind mit Fachorgani­sationen, der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft und dem Bundesmini­sterium für Gesundheit im Austausch“, sagt Ann Marini vom GKV-Spitzenver­band, der die Interessen der gesetzlich­en Kranken- und Pflegekass­en in Deutschlan­d vertritt. Der Vorschlag: Kinderklin­iken, die ein Defizit aufweisen, sollen zusätzlich zur Fallpausch­ale einen Zuschlag bekommen. Der GKV stellte einen Antrag beim dafür zuständige­n Gremium. Dies könnte 2021 in Kraft treten.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sprach sich nach Medienberi­chten dafür aus, Krankenhäu­sern Zulagen zu zahlen, wenn sie Kinder aus ihrer Region versorgen. „Natürlich würden sich Kliniken darüber freuen“, sagt Mai. Doch man müsse einen Schritt weiter gehen: „Das gesamte Finanzieru­ngssystem sollte überdacht werden“, sagt er. Auch Rauchenzau­ner findet, dass mehr getan werden muss: „Kliniken brauchen einen finanziell­en Anreiz.“In Kaufbeuren sei die finanziell­e Situation in den vergangene­n Jahren besser geworden. Man habe vor Ort die uneingesch­ränkte politische Rückendeck­ung, sagt der Chefarzt.

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