Eine Bastion fällt
ADAC hält Tempolimit auf Autobahnen für denkbar – Studie als Entscheidungsgrundlage gefordert
(dpa) - Es ist eines der größten Reizthemen in der Verkehrspolitik: ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Nun könnte eine der Bastionen dagegen ins Wanken geraten – der größte Automobilclub Deutschlands. Der ADAC sei „nicht mehr grundsätzlich“gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung, sagte der Vizepräsident Verkehr, Gerhard Hillebrand, vor dem 58. Verkehrsgerichtstag, der nächste Woche in Goslar stattfindet.
Der Satz von Hillebrand lässt aufhorchen. Jahrzehntelang war der ADAC als klarer Gegner eines Tempolimits bekannt. Nun rückt er von seinem strikten Nein ab – ein Ja bedeutet das aber auch nicht. Die Diskussion werde emotional geführt und polarisiere bei den Mitgliedern, erläutert Hillebrand. „Deshalb legt sich der ADAC in der Frage aktuell nicht fest.“In einer Umfrage unter Mitgliedern hatten 50 Prozent gegen ein Tempolimit votiert und 45 Prozent dafür. Eine Versachlichung sei dringend erforderlich. Die Auswirkungen eines Tempolimits sollten dringend in einer umfassenden Studie geklärt werden. „Diese würde eine belastbare Entscheidungsgrundlage liefern.“
Beim Klimaschutz werde bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern eine Einsparung von bis zu zwei Millionen Tonnen CO2 erwartet, sagte Hillebrand. Aber auch das sei vage. „Wir brauchen eine umfassende Studie über die Wirkungen eines Tempolimits. Diese würde eine belastbare Entscheidungsgrundlage liefern.“
In einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins spricht sich die Mehrheit für ein
Tempolimit aus. 56 Prozent der 1000 befragten Führerscheinbesitzer sehen in einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung eine wirkungsvolle Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit.
Die Debatte um ein Tempolimit in Deutschland hatte Ende 2019 wieder an Fahrt aufgenommen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte sich ablehnend geäußert: „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt.“Der Regierungspartner SPD hatte zuvor auf einem Parteitag ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen gefordert und das mit Verkehrssicherheit und Klimaschutz begründet.
Umweltministerin Svenja Schulze fühlt sich nun durch die Bewegung beim ADAC bestätigt – und stichelte auf Twitter Richtung Scheuer. „Der „gute Menschenverstand“spreche für ein Tempolimit. Ein Sprecher Scheuers bekräftigte die ablehnende Haltung des Ministers. Eine Sprecherin der Bundesregierung sagte, es gebe aktuell keine Pläne für ein Tempolimit auf Autobahnen.
Julia Fohmann vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) verwies auf andere Länder in Europa. Wer auf Autobahnen in Frankreich, Österreich oder Belgien unterwegs sei, erlebe mehr Gelassenheit als hierzulande. Sobald man wieder auf deutsche Autobahnen komme, sei der Unterschied spürbar, sagte Sören Heinze, Sprecher des Auto Clubs Europa ACE. Zu den Befürwortern gehört auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Aus unserer Sicht spricht alles dafür, dass ein Tempolimit die Zahl der schweren Unfälle auf Autobahnen deutlich verringern würde“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Michael Mertens.