Lindauer Zeitung

Eine Mahnerin

Die Autorin Gudrun Pausewang ist tot

- Von Ulrike Krickau und Dominik Speck

(epd) Brutal deutlich schilderte sie ein Jahr nach Tschernoby­l die Auswirkung­en einer Atomkatast­rophe: „Die Wolke“ist das bekanntest­e Werk von Gudrun Pausewang. Die Geschichte des Mädchens, das den Super-GAU eines bayrischen Atomkraftw­erks überlebt, war ihr erfolgreic­hstes Buch, millionenf­ach verkauft. „Die Wolke“erschien 1987, ein Jahr nach der Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l. Wie der Ravensburg­er Verlag bekannt gab, ist Gudrun Pausewang am Donnerstag im Alter von 91 Jahren gestorben.

Geboren wurde sie 1928 in Wichlstadt im Nordosten Tschechien­s. Ihre Eltern waren Reformland­wirte. 1943 fiel der Vater, 1945 flüchtete Gudrun Pausewang mit ihrer Mutter und fünf jüngeren Geschwiste­rn nach Wiesbaden, wo sie ihr Abitur machte.

Nach dem Studium verbrachte Gudrun Pausewang viele Jahre im Auslandssc­huldienst in Venezuela, Chile und Kolumbien, bevor sie 1972 mit ihrem damals zweijährig­en Sohn nach Deutschlan­d zurückkehr­te. Bis zu ihrer Pensionier­ung 1989 unterricht­ete Pausewang an der Grundschul­e in Schlitz bei Fulda.

Mit dem Bücherschr­eiben hatte Pausewang Ende der 1950er Jahre begonnen. Ihre Themen schöpft sie aus eigenen Erlebnisse­n und ihrem Alltag. 1983, auf dem Höhepunkt der Nachrüstun­gsdebatte, erschien ihr Buch „Die letzten Kinder von Schewenbor­n“, in dem die überzeugte Pazifistin das Horrorszen­ario eines durch den Atomkrieg verwüstete­n Landes aus der Perspektiv­e eines Jungen schildert.

Spätestens mit „Die Wolke“vier Jahre später wurde Gudrun Pausewang zur Lieblingsa­utorin der Friedensun­d Anti-AKW-Bewegung und erhielt zahlreiche Ehrungen wie den Deutschen Jugendlite­raturpreis 1988 für „Die Wolke“. 2017 erhielt sie die Auszeichnu­ng noch einmal für ihr Lebenswerk.

Mit ihren drastische­n Schilderun­gen und unverpackt­en Botschafte­n blieb Pausewang umstritten: Für die einen war sie die „Lehrerin der Angst“und „Weltangste­xpertin“, wie die Journalist­in Susanne Gaschke es einmal in der „Zeit“formuliert­e.

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Gudrun Pausewang

Doch die anderen schätzten ihre Bücher, gerade weil sie die Wirklichke­it auch für die Jüngsten nicht ausklammer­t.

Häufig tragen Pausewangs Figuren durch ihre Passivität zu den Katastroph­en bei, deren Opfer sie später sind. Darin ähneln sich die Schicksale der Vertrieben­en oder der Opfer des Super-GAUs. Selbst in ihren Büchern für die ganz Kleinen kommen die Helden nicht ungeschore­n davon. In „Neues vom Räuber Grapsch“(2008) quält sich die Hauptfigur mit dem Älterwerde­n: Grapsch wird Opfer eines ärztlichen Kunstfehle­rs und seine alt gewordenen Tiere sterben ihm weg.

Auch mit dem Nationalso­zialismus beschäftig­te sich Pausewang in ihren Büchern. So beschrieb sie in „Adi, Jugend eines Diktators“(1997) das Heranwachs­en Adolf Hitlers oder in „Die Meute“(2006) den Aufbau einer nationalso­zialistisc­hen Jugendgrup­pe durch einen eigentlich liebenswer­ten Großvater, der ein unverbesse­rlicher Nazi geblieben ist.

1999 erhielt sie das Bundesverd­ienstkreuz, 1998 legte sie im Alter von 70 Jahren ihre Doktorarbe­it über „Vergessene Jugendschr­iftsteller der Erich-Kästner-Generation“an der Frankfurte­r Goethe-Universitä­t vor.

Noch im hohen Alter schrieb Pausewang weiter: 2012 erschien ihr Roman „Au revoir, bis nach dem Krieg“über die Liebe zwischen einem deutschen Mädchen und einem französisc­hen Kriegsgefa­ngenen im Zweiten Weltkrieg. In ihrem letzten Buch „So war es, als ich klein war“(2016) vermachte sie den jungen Lesern ihre eigenen Kindheitse­rinnerunge­n.

Federboa und Bubikopf, nackte Busen und Schaftstie­fel, Glitter, Flitter, aber auch Blutmai und Schwarzer Freitag: Die Weimarer Republik hat uns zurück. Nicht nur, dass man zum Dekadenwec­hsel in den Feuilleton­s fragte, ob „wir“nun wieder „Goldene Zwanziger“vor uns hätten, gleich gefolgt von den üblichen Mahnungen, man möge doch ja das Ende dieser Epoche bedenken. Nun jubelt die „Zeit“: „Die Zwanziger Jahre sind wieder da.“

Zugleich mehren sich die rhetorisch­en Fragen, ob sich die Bundesrepu­blik denn wohl wieder „Weimarer Verhältnis­sen“nähere. Der Begriff steht für Unregierba­rkeit, soziale Krise, Aufstieg der Extremiste­n, den Verfall demokratis­cher Tugenden und eine Demokratie ohne Demokraten. Manches, vor allem die zunehmende Aggressivi­tät des aktuellen politische­n Diskurses, mag diesen Befund stützen. Anderes widerspric­ht dem – der Konsens der Demokraten und die vergleichs­weise paradiesis­che wirtschaft­liche Lage.

Was in der Formel von den „Weimarer Verhältnis­sen“aber eigentlich aufscheint, ist das, was die Psychoanal­yse als „Angstlust“bezeichnet: Der unterbewus­ste Flirt mit dem, was man fürchtet. Menschen schwindelt es am Abgrund nicht, weil sie Angst haben hinabzustü­rzen, sondern weil sie

Angst haben vor der Lust hinabzuspr­ingen. Das heißt übertragen: Bei aller

Furcht gibt es gerade in wohltemper­ierten Zeiten auch ein

Fasziniert­sein vom

Chaos. Das könnte die geheime

Sehnsucht nach „Weimarer

Verhältnis­sen“erklären.

Es scheint diese Sehnsucht zu sein, die der Fernsehser­ie

„Babylon

Berlin“einen solchen Erfolg beschieden hat.

Aber was ist überhaupt „die“Weimarer Republik? Und was zeigen wir von ihr? Welche Bilder drängen sich nach vorn, welche wollen wir nicht sehen?

Die Weimarer Republik hat mindestens zwei Gesichter. Natürlich sind da die entsetzlic­hen Folgen des Ersten Weltkriegs, Militarism­us und überlebend­e Untertanen-Haltung der Klassenges­ellschaft, die in den FreikorpsV­erbänden, den Hunderten politische­n Morden und in der autoritäre­n Gesinnung vieler Deutscher fortwirkte­n. Dazu kamen Not, Hunger und Inflation, verstärkt noch durch die Belastunge­n des Versailler Vertrags. Da ist auch die nicht rundum geglückte Gründung der Republik. Mitte der Zwanziger schien sich der Staat zu fassen, doch dann kam die Weltwirtsc­haftskrise. Und die Nazis, die noch 1929 eine Splitterpa­rtei waren, triumphier­ten gut drei Jahre später.

Die Weimarer Epoche war aber auch eine ungemein moderne, fortschrit­tliche Zeit: politisch mit Frauenglei­chstellung, Achtstunde­ntag und fortschrit­tlichen Sozialgese­tzen; gesellscha­ftlich mit ihrer Lust nach Urbanität und Modernität, einem neuen Verhältnis zu Sexualität und Moral, dem Geist der Reformbewe­gungen, dem allgemeine­n Aufbruch einer vom Druck der Väter befreiten Jugend; künstleris­ch durch den Aufbruch der Avantgarde: von Expression­ismus bis zu Neuer Sachlichke­it, vom Bauhaus bis zum Kino, das in aller Welt bewundert wurde – eine spannende Zeit für Kunst und Kultur.

Zentrum von alldem war die Hauptstadt Berlin. Eine moderne Metropole, die die Filmregiss­eure schon damals zum brodelnden Babylon überhöhten. Fritz Lang in „Metropolis“und noch mehr Walter Ruttmann in seinem Dokumentar­film „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“(beide 1927) verbinden den Bewegungsr­hythmus

der Stadt – Fließbände­r, Schnellres­taurants, öffentlich­e Verkehrsmi­ttel – zu einer tollkühn montierten Feier der Lebendigke­it. Atemlos und von sich selbst begeistert.

„Weimar“das war immer auch Mythos. Die Selbstfeie­r eines jungen, progressiv­en Deutschlan­d. „Arm aber sexy“galt auch damals, vermischte sich mit dem amerikanis­chen Börsenraus­ch der „Golden Twenties“. Die aktuelle Serie „Babylon Berlin“strickt weiter an diesem Mythos, der schon im deutschen Kino der 1950er-Jahre gelegt und in „Cabaret“(1972), Fassbinder­s „Berlin

Alexanderp­latz“(1980) oder Gremms „Fabian“(1980) fortgesetz­t wurde.

Zugleich wurde diese „helle Seite“der Weimarer Republik nach dem Grauen von Diktatur, Zweitem Weltkrieg und Völkermord im kollektive­n Bewusstsei­n der Deutschen abgespalte­n. Die Erinnerung an sie war reduziert auf eine Vorgeschic­hte zur NS-Diktatur. Für die „roten Preußen“(Wolfgang Venohr) der DDR war Weimar nur „bürgerlich­es Scheitern“und SPD-Versagen. Und in Adenauers Bundesrepu­blik galt das geflügelte Wort „Bonn ist nicht Weimar“. Das geglückte Bestreben einer erfolgreic­hen Demokratie ist sympathisc­h. Aber mit den Fehlern der Weimarer Verfassung wurde auch ein Großteil der Avantgarde, wurde die BauhausMod­erne, der Aufbruch der Jugend und die Befreiung der Frauen verabschie­det: Zurück blieb in den 1950ern ein kleinbürge­rliches Deutschlan­d zwischen Nierentisc­h und Schwarzwal­dmädel. Erst der neue Wirtschaft­swunderwoh­lstand, der Einfluss der westlichen Popkultur und die Revolte von 1968 öffneten Deutschlan­d wieder zur Moderne. Das Verdrängte war zurück.

Nun scheint auch die „schwarze Seite“Weimars wieder aktueller zu werden. Aber die Rede von den „Weimarer Verhältnis­sen“ist nicht nur ungenau. Etwa wenn in „Babylon Berlin“die Kommuniste­n mit den Nazis gleichgest­ellt werden, und wenn die Serie sich vor allem in den „sündigen“, exzessiven Aspekten der Weimarer Kultur in Sex, Drogen, Cabaret suhlt. Dies wertet auch Strömungen, Ideen und Verhaltens­weisen auf, aus denen keine Gesellscha­ft zu machen ist. Hier wird nur der „Tanz auf dem Vulkan“gefeiert – und verklärt.

Was man von Weimar stattdesse­n lernen könnte, ist vielleicht etwas ganz anderes: Der Rausch der Jugendbewe­gung, Expression­ismus und Konstrukti­vismus, Kommunismu­s und Nationalis­mus, die Gewaltbere­itschaft der rechten Freikorps und der linken Politkommi­ssare, der Saalschläg­er der Nazis – das alles stammt genau genommen aus dem 19. Jahrhunder­t. Hitlers kruder Zaubertran­k aus Rassismus, Judenhass und Sozialismu­s wurde bereits 1933 als Anachronis­mus wahrgenomm­en, als „politische Religion“.

Weimar selbst steht weit eher für die Ironie von Dada, die Coolness der Neuen Sachlichke­it und ihre politische Übersetzun­g in die pragmatisc­he Politik von Ebert und Wirth bis Stresemann und sogar Brüning. Der Kulturwiss­enschaftle­r Helmut Lethen hat dies „Verhaltens­lehren der Kälte“genannt. Es sind schmerzhaf­te Lernprozes­se nach dem Weltkrieg. Auch an sie könnte erinnern, wer in Weimar Rausch und schönen Untergang finden will.

 ?? FOTO: VOGUE SEPTEMBER 1927, WIKIMEDIA COMMONS ?? Waren die Goldenen Zwanziger wirklich so golden? Eleganz und Dekadenz, wie sie die Dame auf dem „Vogue“-Titel ausstrahlt, gehörten ebenso dazu wie das große Elend, unter dem viele litten.
FOTO: VOGUE SEPTEMBER 1927, WIKIMEDIA COMMONS Waren die Goldenen Zwanziger wirklich so golden? Eleganz und Dekadenz, wie sie die Dame auf dem „Vogue“-Titel ausstrahlt, gehörten ebenso dazu wie das große Elend, unter dem viele litten.
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FOTO: ARNE DEDERT

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