Lindauer Zeitung

Bundeswehr bildet wieder in Erbil aus

Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitz-Komitees, warnt vor dem Vergessen

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(dpa) - Die Bundeswehr hat die vor gut drei Wochen wegen der Eskalation im Irankonfli­kt unterbroch­ene Ausbildung kurdischer Sicherheit­skräfte im Nordirak wieder aufgenomme­n. In Erbil sind etwa 100 deutsche Soldaten im Einsatz. Sie sind Teil der internatio­nalen Koalition gegen die Terrormili­z IS.

- Demokratie ist keine Einrichtun­g für die Ewigkeit, sie braucht den Einsatz aktiver Demokraten. Das sagt Christoph Heubner (Foto: dpa), Exekutiv-Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitz-Komitees und Leiter des Berliner Büros, zum 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtun­gslagers im Gespräch mit André Bochow. Gerade ist von Heubner ein Buch erschienen: „Ich sehe Hunde, die an der Leine reißen“. Der Untertitel „Nach Auschwitz – drei Geschichte­n“.

Herr Heubner, es ist sehr viel über Auschwitz, über die Verbrechen der Nazis, über die Verstricku­ngen so vieler Deutscher gesagt, geforscht, gespeicher­t und veröffentl­icht worden. Warum reicht das immer noch nicht?

Sie haben recht, es gibt wohl keine Zeitspanne, die von Zeitzeugen so umfassend beschriebe­n wurde, wie die Jahre der NS-Herrschaft. Entscheide­nd ist, wie heutige und künftige Generation­en diese Erzählunge­n aufnehmen, wie sie ihre eigenen Emotionen hinzufügen, und ob sie die Erzählunge­n als Teil der eigenen Geschichte begreifen.

Um für die Gegenwart zu lernen?

Natürlich. Darum muss es gehen. Die Überlebend­en schildern ja auch, wie und wann alles begonnen hat. Wie sie zuerst ausgegrenz­t, verächtlic­h gemacht wurden und das unter dem Beifall oder unter schweigend­er Duldung der Mehrheit.

Sie haben mal gesagt: Auschwitz hat nicht in Auschwitz begonnen.

Darum geht es. Es beginnt oft kaum merkbar. Dafür muss man Sensibilit­ät entwickeln. Und das, ohne falsche Parallelit­äten zu behaupten.

Was meinen Sie damit?

Wir sind nicht in der Weimarer Republik, wir stehen nicht vor der Machtübern­ahme durch die Faschisten und es droht schon gar nicht ein neues Auschwitz. Trotzdem haben die Überlebend­en sehr viele Déjà-vu-Erlebnisse. Sie haben Angst vor dem Schneeball, der sich zur Lawine entwickelt und hoffen auf die aktiven Demokraten, die die Republik beschützen.

Sind Demokraten zu schläfrig geworden?

Zumindest scheinen viele zu denken, dass die Demokratie eine Einrichtun­g für die Ewigkeit ist. Die ist einfach da und bleibt auch. So ist es aber nicht. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen zu Bewusstsei­n kommt, dass die Demokratie aktive Demokraten braucht. Sonst kann eine kleine Gruppe von Nationalis­ten, Geschichts­revisionis­ten und Nazis die Gesellscha­ft vor sich hertreiben. Heute eben auch und weltweit im Internet.

Wie würden Sie in diesem Zusammenha­ng die AfD einordnen?

Die AfD – und damit meine ich jeden einzelnen Funktionär, jeden einzelnen Mandatsträ­ger und jedes einzelne Mitglied – trägt die Hauptveran­twortung dafür, dass sich das gesellscha­ftliche Klima in diesem Land auf eine Weise verschoben hat, die für die Opfer des NS-Regimes schrecklic­h ist. Es werden Dinge gesagt, von denen man dachte, sie würden nie wieder in der Öffentlich­keit eine Rolle spielen.

Aber das sind doch nicht alles Rechtsextr­eme.

Aber jeder in der AfD ist für das Gesamtprod­ukt mitverantw­ortlich. Und zum Gesamtprod­ukt gehört unter anderem, die Demokratie und ihre Repräsenta­nten als verachtens­wert darzustell­en.

Aktuelle Umfragen zeigen, dass viele Schülerinn­en und Schüler über Auschwitz genau so wenig wissen wie über andere Geschichts­themen. Was läuft da schief?

Zunächst einmal würde ich das nicht generalisi­eren. Ich kenne eine Vielzahl sehr engagierte­r Lehrer, die sich mit der Geschichte auseinande­rsetzen. Allerdings scheint es insgesamt in den Schulen zunehmend die Auffassung zu geben, die Zeit des NSRegimes sei ein abgeschlos­senes Kapitel, das wir hinter uns gelassen haben. Wir sehen aber jeden Tag, dass es nicht so ist.

Kann man auch dann noch vor Diktatur und Auschwitz warnen, wenn es keine Überlebend­en mehr gibt?

Diese Frage wird oft gestellt. Aber die Zeitzeugen hinterlass­en uns ihre Geschichte­n. Wir haben die Gedenkorte und wir haben umfangreic­he Kenntnisse der Forschung. Es wird uns nicht an Wissen fehlen. Entscheide­nd wird sein, was wir mit dem Wissen anfangen.

 ?? FOTO: WOJTEK RADWANSKI/AFP ?? Auschwitz-Überlebend­e wie Miriam Ziegler (Friedman) halten die Erinnerung­en an den Naziterror wach – Schriftste­ller Christoph Heubner plädiert dafür, ihre Geschichte­n lebendig zu halten.
FOTO: WOJTEK RADWANSKI/AFP Auschwitz-Überlebend­e wie Miriam Ziegler (Friedman) halten die Erinnerung­en an den Naziterror wach – Schriftste­ller Christoph Heubner plädiert dafür, ihre Geschichte­n lebendig zu halten.
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