Schwieriger Start
Viele Ideen des neuen SPDFührungsduos verpuffen
- Seit Jahresanfang vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Vorschläge vom SPD-Spitzenduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken kommen. Ob nun Walter-Borjans die Spitzensteuer für Vermögende, Reiche und Erben erhöhen will oder eine Unternehmenssteuerreform ablehnt, ob Esken ein Tempolimit fordert oder sie gegen die Gesichtserkennung ist – die beiden füllen die Schlagzeilen. Manchmal sogar gemeinsam, wie mit ihrer Forderung nach einer „Bodenwertzuwachssteuer“, einer neuen Steuer für Grundbesitzer.
Doch die Reaktionen bleiben spärlich. In der SPD-Fraktion findet alles nur gedämpft Widerhall. Allerdings, so der Biberacher SPD-Abgeordnete Martin Gerster, müsse man dem neuen Spitzenduo, das fleißig unterwegs sei, auch erst einmal die berühmten 100 Tage einräumen, um in die Spur zu kommen. „Alle wissen doch, dass es um die Wurst geht und man nicht noch 20-mal den Vorsitzenden wechseln kann.“
Vielleicht brauchen viele auch erst einmal eine Verschnaufpause, denn die SPD hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Anfang Juni 2019 hat die bisherige Chefin Andrea Nahles die Brocken hingeschmissen. Als Parteichefin und als Fraktionschefin.
Die Sozialdemokraten begannen mit einem langwierigen Mitgliederentscheid, die Basis entschied sich am Ende für die neue Doppelspitze aus dem ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die bis dahin weithin unbekannte Saskia Esken, die dann erst im Dezember beim Parteitag der SPD in Berlin offiziell ihr Amt bekamen.
Keine Zusammenarbeit erkennbar
Nun muss das neue Führungsduo nicht nur im Willy-Brandt-Haus arbeiten, sondern auch mit der Fraktion und der Regierung zusammen. Bisher ist dies nicht erkennbar. Der von den meisten Vorschlägen angesprochene Finanzminister Olaf Scholz hüllt sich in beredtes Schweigen. Er bleibt bei seiner Linie, keine neuen Schulden aufzunehmen. Und Steuererhöhungen für Spitzenverdiener sind auch kein Thema. Die Union will derweil das Gegenteil. Im Koalitionsausschuss in der nächsten Woche wird sie wohl erneut den Wunsch nach einer Unternehmenssteuerreform wieder auf den Tisch legen, heißt es.
Walter-Borjans spricht in einem Interview des „Handelsblatt“lediglich von „Akzentunterschieden“zwischen ihm und Olaf Scholz. Doch seine Forderung nach Lockerung der Schuldenbremse durch einen MegaInvestitionsfonds ist mehr als ein Akzent.
Die Regierungs-SPD will aber erst einmal mit der Grundrente punkten.
Hier hat die Union erhebliche Bauchschmerzen, nachdem auch die Rentenversicherung vor dem Modell warnt.
Doch während die Verhandlungen um den Feinschliff noch laufen, treibt Walter-Borjans Regierung und Fraktion zu mehr an: Er will die Ausweitung auf alle Rentenbezieher, die 33 Jahre gearbeitet haben. In der Fraktion aber sitzen Abgeordnete, deren Ziel es ist, erst einmal bis zur Wahl 2021 noch möglichst viel von ihren Plänen umzusetzen. Und die wissen, dass sie der Union mit der Grundrente bereits einiges zumuten. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich agiert behutsam, der Parteilinke ist flügelübergreifend beliebt. „Ein hervorragender Fraktionsvorsitzender“, sagt Martin Gerster, der schon beim Antritt von Mützenich prophezeit hatte: „Der bleibt länger als so mancher heute denkt.“Und was ist mit den Anhängern des neuen Spitzenduos Esken und Walter-Borjans. Sind die noch nicht enttäuscht? Dazu will sich niemand öffentlich äußern.
Es sei ja gerade erst angelaufen. Walter-Borjans und Esken waren bei der Neujahrsklausur der SPD-Fraktion in Berlin dabei. Dort wurden sie gelobt für ihre Medienpräsenz, aber auch getadelt für zu viel ThemenHopping, von der Idee, dass Wohlhabende mehr in die Rentenversicherung einzahlen, bis zur Forderung,
Rüstungsexporte zu reduzieren. Die Parteilinke Hilde Mattheis war begeistert von den „wunderbaren“sozialdemokratischen Vorschlägen des neuen Führungsduos, doch manchen ist es auch zu viel des Guten.
Aber die meisten halten dem neuen Team zugute, dass erst vieles organisiert werden muss, und gerade erst eine Sprecherin für die Parteispitze gefunden wurde: Ingrid Herden, die frühere Sprecherin von Walter-Borjans, als dieser noch Finanzminister in NRW war.