Wer der Sonne zu nahe kommt
Filmnachwuchs interessiert sich für die Abgründe der Gegenwart
- Welche Geschichten erzählen junge Filmemacherinnen und Filmemacher? Das MaxOphüls-Festival ist alle Jahre eine gute Möglichkeit, den Filmnachwuchs kennenzulernen. Es sind vor allem die Abgründe unserer Gegenwart, die die jungen Künstler beleuchten.
Das Publikum hat sich für einen Film von Studenten der Ludwigsburger Filmhochschule entschieden. „Masel Tov Cocktail“von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch gewann den Publikumspreis für den schönsten mittellangen Film. Der ist bunt und wild und fantasievolles Kino gegen Rassismus.
Ansonsten aber überwogen weniger heitere Stimmungen. Die dffbStudentin Süheyla Schwenk erzählt in „Jiyan“, der den Preis der Ökumenischen Jury gewann, von Hayat und Harun. Eine graue Fassade ist fast alles, was das junge türkisch-kurdische Paar von Berlin zu sehen bekommt. Eine Bratwurst, für gläubige Moslems ein Tabu, bleibt das einzige Stück Freiheit, das sie sich nehmen. Ansonsten leben sie unter dem Radar, von den Verwandten wie den Behörden mehr geduldet als willkommen. Dennoch entwickeln sich in dieser klaustrophobischen Atmosphäre allmählich Verständnis und menschliche Gesten. Schwenk ist ein konzentrierter Film gelungen, der vom kleinen Glück und von großem Unglück erzählt, von Intimität und scheiternder Flucht. Gerade in seiner Reduktion und Nüchternheit öffnet dieser humanistische, exzellent inszenierte Film den Blick auf die alltägliche Brutalität hinter den Nachrichtenmeldungen.
Ein Juwel im Wettbewerb von Saarbrücken.
Zumindest der Blick aus dem Fenster ist in „Sunburned“schöner. Die Berliner Regisseurin Carolina Hellsgard kombiniert ähnlich wie Schwenk eigene Kindheitserfahrungen mit einem frischen Blick auf scheinbar Bekanntes und erzählt von Parallelwelten: Tourismus und Flucht. Eine Mutter macht mit ihren zwei Töchtern Urlaub in einer spanischen Bettenburg. Während die Mutter und die ältere Tochter dem Charme der Strandcasanovas verfallen, driftet die Jüngere, Claire, zunächst verloren durch die Gegend. Hellsgard erkundet die Teenagerwelten zwischen Disco mit bunten Mixgetränken, Tänzen, Lügen, Träumen, Langeweile. Dann lernt dieses Mädchen einen gleichaltrigen Strandverkäufer kennen, der es aus Afrika nach Spanien geschafft hat. Auch er hängt unerfüllbaren Träumen nach. Die beiden freunden sich an, könnten ein Paar werden, doch am Ende überwiegt die Erkenntnis, dass sich diese Welten nicht vereinen lassen. Wer der Sonne zu nahe kommt, verbrennt.
Mechanismen der Annäherung stehen im Zentrum des schweizerisch-österreichischen „Lovecut“, einem der anspruchsvollsten Filme dieses Jahrgangs: Johanna Liethe und Illiana Estanol porträtieren in drei Episoden Praktiken der Intimität unter Teenagern: Chats, Instagramkommunikation, Pornokonsum. In privaten Perspektiven handelt dieser kluge, gelegentlich lustige Film auch vom Umgang der Gesellschaft mit Liebe und Sexualität. Dafür gab es verdientermaßen den Drehbuchpreis.
Liebe und Sex, vor allem aber der Alltag junger Frauen in Iran stehen im Zentrum von „Domino", dem allerbesten Film im diesjährigen Saarbrücken-Jahr. Laleh Barzegar hat ihren Abschluss in Köln gemacht und erzählt voller Leichtigkeit von einer jungen Frau, die gegen die Zumutungen von Familie, Gesellschaft und Tradition ihre Freiheit sucht und verteidigt. Ein bezauberndes Debüt!
Trotz einer deutlichen Übermacht der Regisseurinnen im Wettbewerb gewann dann ein Mann den Ophüls-Preis: Johannes Maria Schmitts „Neubau“gefiel der Jury wohl auch, weil er in der tiefsten brandenburgischen Provinz einen Hauch des Lebens von Berlin-Mitte entdeckt.
Nach den Siegern der beiden vergangenen Jahre – „Landrauschen“und „Das Melancholische Mädchen“– bildet sich ein Muster von Preisträgern heraus: Alles sind intelligente Farcen über den Crash von HipsterWelten mit dem wahren Leben in der Provinz. Für die allzu betonte Originalität von „Neubau“waren aber gleich zwei Preise mindestens einer zuviel.
Ein ganz großartiger Film ist „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“von Yulia Lokshina, der überaus verdient den Dokumentarfilm-Wettbewerb gewann: In exzellenten Bilder und genau komponierter Dramaturgie zeigt Lokshina westfälische Schweinefleischfabriken und die schlechte Behandlung der Menschen, oft Migranten, die dort arbeiten. Mitten in Deutschland glaubt man plötzlich, die Dritte Welt zu sehen. Man muss kein Moslem sein, um sich hiervor zu ekeln.