Lindauer Zeitung

Wer der Sonne zu nahe kommt

Filmnachwu­chs interessie­rt sich für die Abgründe der Gegenwart

- Von Rüdiger Suchland

- Welche Geschichte­n erzählen junge Filmemache­rinnen und Filmemache­r? Das MaxOphüls-Festival ist alle Jahre eine gute Möglichkei­t, den Filmnachwu­chs kennenzule­rnen. Es sind vor allem die Abgründe unserer Gegenwart, die die jungen Künstler beleuchten.

Das Publikum hat sich für einen Film von Studenten der Ludwigsbur­ger Filmhochsc­hule entschiede­n. „Masel Tov Cocktail“von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch gewann den Publikumsp­reis für den schönsten mittellang­en Film. Der ist bunt und wild und fantasievo­lles Kino gegen Rassismus.

Ansonsten aber überwogen weniger heitere Stimmungen. Die dffbStuden­tin Süheyla Schwenk erzählt in „Jiyan“, der den Preis der Ökumenisch­en Jury gewann, von Hayat und Harun. Eine graue Fassade ist fast alles, was das junge türkisch-kurdische Paar von Berlin zu sehen bekommt. Eine Bratwurst, für gläubige Moslems ein Tabu, bleibt das einzige Stück Freiheit, das sie sich nehmen. Ansonsten leben sie unter dem Radar, von den Verwandten wie den Behörden mehr geduldet als willkommen. Dennoch entwickeln sich in dieser klaustroph­obischen Atmosphäre allmählich Verständni­s und menschlich­e Gesten. Schwenk ist ein konzentrie­rter Film gelungen, der vom kleinen Glück und von großem Unglück erzählt, von Intimität und scheiternd­er Flucht. Gerade in seiner Reduktion und Nüchternhe­it öffnet dieser humanistis­che, exzellent inszeniert­e Film den Blick auf die alltäglich­e Brutalität hinter den Nachrichte­nmeldungen.

Ein Juwel im Wettbewerb von Saarbrücke­n.

Zumindest der Blick aus dem Fenster ist in „Sunburned“schöner. Die Berliner Regisseuri­n Carolina Hellsgard kombiniert ähnlich wie Schwenk eigene Kindheitse­rfahrungen mit einem frischen Blick auf scheinbar Bekanntes und erzählt von Parallelwe­lten: Tourismus und Flucht. Eine Mutter macht mit ihren zwei Töchtern Urlaub in einer spanischen Bettenburg. Während die Mutter und die ältere Tochter dem Charme der Strandcasa­novas verfallen, driftet die Jüngere, Claire, zunächst verloren durch die Gegend. Hellsgard erkundet die Teenagerwe­lten zwischen Disco mit bunten Mixgetränk­en, Tänzen, Lügen, Träumen, Langeweile. Dann lernt dieses Mädchen einen gleichaltr­igen Strandverk­äufer kennen, der es aus Afrika nach Spanien geschafft hat. Auch er hängt unerfüllba­ren Träumen nach. Die beiden freunden sich an, könnten ein Paar werden, doch am Ende überwiegt die Erkenntnis, dass sich diese Welten nicht vereinen lassen. Wer der Sonne zu nahe kommt, verbrennt.

Mechanisme­n der Annäherung stehen im Zentrum des schweizeri­sch-österreich­ischen „Lovecut“, einem der anspruchsv­ollsten Filme dieses Jahrgangs: Johanna Liethe und Illiana Estanol porträtier­en in drei Episoden Praktiken der Intimität unter Teenagern: Chats, Instagramk­ommunikati­on, Pornokonsu­m. In privaten Perspektiv­en handelt dieser kluge, gelegentli­ch lustige Film auch vom Umgang der Gesellscha­ft mit Liebe und Sexualität. Dafür gab es verdienter­maßen den Drehbuchpr­eis.

Liebe und Sex, vor allem aber der Alltag junger Frauen in Iran stehen im Zentrum von „Domino", dem allerbeste­n Film im diesjährig­en Saarbrücke­n-Jahr. Laleh Barzegar hat ihren Abschluss in Köln gemacht und erzählt voller Leichtigke­it von einer jungen Frau, die gegen die Zumutungen von Familie, Gesellscha­ft und Tradition ihre Freiheit sucht und verteidigt. Ein bezaubernd­es Debüt!

Trotz einer deutlichen Übermacht der Regisseuri­nnen im Wettbewerb gewann dann ein Mann den Ophüls-Preis: Johannes Maria Schmitts „Neubau“gefiel der Jury wohl auch, weil er in der tiefsten brandenbur­gischen Provinz einen Hauch des Lebens von Berlin-Mitte entdeckt.

Nach den Siegern der beiden vergangene­n Jahre – „Landrausch­en“und „Das Melancholi­sche Mädchen“– bildet sich ein Muster von Preisträge­rn heraus: Alles sind intelligen­te Farcen über den Crash von HipsterWel­ten mit dem wahren Leben in der Provinz. Für die allzu betonte Originalit­ät von „Neubau“waren aber gleich zwei Preise mindestens einer zuviel.

Ein ganz großartige­r Film ist „Regeln am Band, bei hoher Geschwindi­gkeit“von Yulia Lokshina, der überaus verdient den Dokumentar­film-Wettbewerb gewann: In exzellente­n Bilder und genau komponiert­er Dramaturgi­e zeigt Lokshina westfälisc­he Schweinefl­eischfabri­ken und die schlechte Behandlung der Menschen, oft Migranten, die dort arbeiten. Mitten in Deutschlan­d glaubt man plötzlich, die Dritte Welt zu sehen. Man muss kein Moslem sein, um sich hiervor zu ekeln.

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FOTO: MAX-OPHÜLS-FESTIVAL Sie werden keine gemeinsame Zukunft haben: Wie hier bei „Sunburned“beleuchten die jungen Filmemache­rinnen und Filmemache­r vor allem die Schattense­iten des Lebens.

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