Lindauer Zeitung

Gedränge unterm Gipfel

Bayern ist wieder Bayern, Leipzig zahlt Lehrgeld, Haaland trifft – aber nächste Woche kann alles anders aussehen

- Von Filippo Cataldo

- Es mag Zufall gewesen sein, doch nach der letzten Partie dieses 19. Bundesliga­samstags der Saison, in der im Grunde alle Spiele im Sinne des Meisters verlaufen waren, sagten der erste und der letzte Münchner, der aus dem Kabinentra­kt heraustrat, fast das Gleiche. Und im Übrigen auch die, die dazwischen herauskame­n. „Es bringt nichts, Ende Januar die großen Lobeshymne­n anzustimme­n. Es geht darum, dass wir das jetzt durchziehe­n“, sagte Thomas Müller also. Im Moment fühle sich die Situation gut an, „aber wie wir alle wissen, ist Fußball ein Tagesgesch­äft“. Sagte es und erinnerte lieber daran, wie dieser beeindruck­end mühelos aussehende Kantersieg gegen einen ChampionsL­eague-Anwärter zustande gekommen war: „Unser Plus war heute die Aggressivi­tät gegen den Ball“und nannte als „Musterbeis­piel“das Tor von Thiago zum 4:0 (58.), als die zentralen Mittelfeld­spieler Thiago und Joshua Kimmich, „unsere Techniker im Mittelfeld“(Müller), den Ball in der eigenen Hälfte gemeinsam eroberten, Torjäger Robert Lewandowsk­i schickten, der erst zwei Gegenspiel­er aussteigen ließ, um dann Thiago den Ball nur noch ins Tor einschiebe­n zu lassen.

Keine Kampfansag­e, keine Arroganz

Die Botschaft, nicht nur aus diesem Tor: Der Meister spielt und siegt im Kollektiv – dass Müller mit dem Treffer zum 2:0 (45. +2) nach feiner Vorarbeit des generell sehr starken ExSchalker­s Leon Goretzka und Lewandowsk­i als letztem Passgeber sein 100. Pflichtspi­eltreffer in der Allianz Arena gelang, war ihm hinterher etwa kein Wörtchen wert. Und: Die Bayern sind wieder die Bayern, auch wenn sie nicht komplett so reden. Der Unterschie­d zwischen Mia-san-mia-Selbstbewu­sstsein und bajuwarisc­her Arroganz ist ja oft ein sehr kleiner. Doch am Samstag war da nur Freude: Die Konkurrenz aus Leipzig und Dortmund wüsste jetzt zwar endgültig, „dass der FC Bayern wieder da ist“, sagte etwa Kapitän Manuel Neuer, der kurz nach Müller die Kabine verließ, „aber von uns gibt es keine Kampfansag­en. Wir müssen weiter konzentrie­rt bleiben.“Das Schlusswor­t des Abends gebührte Sportchef Hasan Salihamidz­ic. Der lobte das „richtig, richtig, richtig gute Spiel“der Mannschaft, streute nach ein paar weiteren Wiederholu­ngen starker Wörter noch ein „grandios“ein und wirkte überhaupt sehr glücklich. Doch als er auf die 0:2-Niederlage von Tabellenfü­hrer Leipzig in Frankfurt und den nur noch einen Punkt betragende­n Rückstand der Münchner angesproch­en wurde, sagte er nur: „Wir sprechen nur über das nächste Spiel – und das ist Mainz. Da geht es wieder bei null los. Wir denken jetzt wirklich nur von Spiel zu Spiel.“

Zugegeben, das genau in dieser Höhe angemessen­e 5:0 (2:0) des FC Bayern gegen Schalke ließ nicht allzu großen Raum für fundamenta­l unterschie­dliche Interpreta­tionsansät­ze – doch dass sich kein einziger Verantwort­licher

und Spieler des FC Bayern nach der mühelos aussehende­n Gala gegen einen Champions-League-Anwärter zu einer Kampfansag­e an die

Julian Nagelsmann

eine noch besser platzierte Mannschaft hinreißen ließ, bedeutete: Uli Hoeneß ist wirklich nicht mehr Präsident. Und: Die Bayern wissen, um die Besonderhe­it der Situation in der

Bundesliga, in der jede Woche eine andere Mannschaft das Momentum auf ihrer Seite hat.

Der Reiz dieser Rückrunde könnte daran liegen, dass mindestens zwei, vermutlich sogar drei und womöglich noch eine Überraschu­ngsmannsch­aft Meister werden können. Aus eigener Stärke, aber auch, wegen der Inkonstanz aller. Der Weg auf den Gipfel ist diese Saison kein Gerader. Nach beinahe jedem Spieltag hat sich die Gemengelag­e geändert. Und kommende Woche kann die Bewertung schon eine ganz andere sein.

Hatten die Bayern sich mit allerletzt­er Kraft und zwei Duselsiege­n in die Winterpaus­e gerettet und hatten sie sich vergangene Woche bei Hertha lange schwergeta­n, so haben sie nun mit 9:0 Toren und sechs Punkten den besten Rückrunden­auftakt ihrer Geschichte hingelegt. War RB Leipzig nach der Hinrunde der Titel in der kollektive­n öffentlich­en Wahrnehmun­g schon kaum mehr zu nehmen und hatte sich dieser Eindruck nach dem nicht sehr schönen, aber effektiven 3:1 gegen Union Berlin vergangene Woche noch verstärkt, wirkten die Leipziger nach dem 0:2 gegen Frankfurt wie eine Mannschaft in Trümmern. Zu diesem Schluss musste fast kommen, wer Trainer Julian Nagelsmann zuhörte. „Wenn man kurz vor dem Gipfel steht, ist immer die Frage, wo man hinwill. Entweder ich will nach oben zum Gipfelkreu­z und etwas erreichen oder ich biege vorher ab und esse und trinke gemütlich etwas. Dann wirst du am Ende halt nur Vierter, wenn es gut läuft“, warnte Nagelsmann, der sich in den Bergen sehr gut auskennt und leidenscha­ftlich Gipfel erklimmt, aber auch gerne mit dem Mountainbi­ke ins Tal rast. „Wenn man am Mittwoch unser elf gegen elf sieht, merkt man, dass wir noch weit davon weg sind, eine Spitzenman­nschaft zu sein“, fügte Nagelsmann seiner Philippika noch an.

Holt Dortmund noch Can?

Kommende Woche geht es für Leipzig zu Hause gegen Mönchengla­dbach, den Tabellendr­itten. Der rehabiliti­erte sich am Samstag mit dem 3:1 gegen Mainz für die Niederlage zum Rückrunden­auftakt auf Schalke und meldete sich zurück im Meisterren­nen. Eine Niederlage gegen Gladbach – und Leipzig wäre vor einem der größten Spiele der Vereinsges­chichte nur Dritter. Am 9. Februar empfängt der FC Bayern den Rivalen. Allerdings: Gewinnt RB das erste Gipfelspie­l am Niederrhei­n, würde es als Tabellenfü­hrer zum gipfeligst­en Gipfelspie­l reisen.

Und da ist noch nicht mal die Möglichkei­t einkalkuli­ert, dass die Rivalen sich die Punkte gegenseiti­g klauen. Womit wir bei Borussia Haaland wären: Zehn Tore hat der BVB in zwei Rückrunden­spielen geschossen, fünf davon gingen auf das Konto Erling Haalands. Sollte der gewünschte Transfer von Nationalsp­ieler Emre Can von Juventus wirklich klappen und der ähnlich einschlage­n wie der selbstbewu­sste Norweger – der BVB hätte auf dem Weg zum Gipfel noch einen weiteren Anschieber.

„Entweder ich will nach oben zum Gipfelkreu­z und etwas erreichen oder ich biege vorher ab und esse und trinke gemütlich etwas.“

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FOTO: M.IS./IMAGO IMAGES Ein Traumtor vom Ex: Leon Goretzka trifft per Seitfallzi­eher zum 3:0 gegen Ex-Club Schalke.

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