Gedränge unterm Gipfel
Bayern ist wieder Bayern, Leipzig zahlt Lehrgeld, Haaland trifft – aber nächste Woche kann alles anders aussehen
- Es mag Zufall gewesen sein, doch nach der letzten Partie dieses 19. Bundesligasamstags der Saison, in der im Grunde alle Spiele im Sinne des Meisters verlaufen waren, sagten der erste und der letzte Münchner, der aus dem Kabinentrakt heraustrat, fast das Gleiche. Und im Übrigen auch die, die dazwischen herauskamen. „Es bringt nichts, Ende Januar die großen Lobeshymnen anzustimmen. Es geht darum, dass wir das jetzt durchziehen“, sagte Thomas Müller also. Im Moment fühle sich die Situation gut an, „aber wie wir alle wissen, ist Fußball ein Tagesgeschäft“. Sagte es und erinnerte lieber daran, wie dieser beeindruckend mühelos aussehende Kantersieg gegen einen ChampionsLeague-Anwärter zustande gekommen war: „Unser Plus war heute die Aggressivität gegen den Ball“und nannte als „Musterbeispiel“das Tor von Thiago zum 4:0 (58.), als die zentralen Mittelfeldspieler Thiago und Joshua Kimmich, „unsere Techniker im Mittelfeld“(Müller), den Ball in der eigenen Hälfte gemeinsam eroberten, Torjäger Robert Lewandowski schickten, der erst zwei Gegenspieler aussteigen ließ, um dann Thiago den Ball nur noch ins Tor einschieben zu lassen.
Keine Kampfansage, keine Arroganz
Die Botschaft, nicht nur aus diesem Tor: Der Meister spielt und siegt im Kollektiv – dass Müller mit dem Treffer zum 2:0 (45. +2) nach feiner Vorarbeit des generell sehr starken ExSchalkers Leon Goretzka und Lewandowski als letztem Passgeber sein 100. Pflichtspieltreffer in der Allianz Arena gelang, war ihm hinterher etwa kein Wörtchen wert. Und: Die Bayern sind wieder die Bayern, auch wenn sie nicht komplett so reden. Der Unterschied zwischen Mia-san-mia-Selbstbewusstsein und bajuwarischer Arroganz ist ja oft ein sehr kleiner. Doch am Samstag war da nur Freude: Die Konkurrenz aus Leipzig und Dortmund wüsste jetzt zwar endgültig, „dass der FC Bayern wieder da ist“, sagte etwa Kapitän Manuel Neuer, der kurz nach Müller die Kabine verließ, „aber von uns gibt es keine Kampfansagen. Wir müssen weiter konzentriert bleiben.“Das Schlusswort des Abends gebührte Sportchef Hasan Salihamidzic. Der lobte das „richtig, richtig, richtig gute Spiel“der Mannschaft, streute nach ein paar weiteren Wiederholungen starker Wörter noch ein „grandios“ein und wirkte überhaupt sehr glücklich. Doch als er auf die 0:2-Niederlage von Tabellenführer Leipzig in Frankfurt und den nur noch einen Punkt betragenden Rückstand der Münchner angesprochen wurde, sagte er nur: „Wir sprechen nur über das nächste Spiel – und das ist Mainz. Da geht es wieder bei null los. Wir denken jetzt wirklich nur von Spiel zu Spiel.“
Zugegeben, das genau in dieser Höhe angemessene 5:0 (2:0) des FC Bayern gegen Schalke ließ nicht allzu großen Raum für fundamental unterschiedliche Interpretationsansätze – doch dass sich kein einziger Verantwortlicher
und Spieler des FC Bayern nach der mühelos aussehenden Gala gegen einen Champions-League-Anwärter zu einer Kampfansage an die
Julian Nagelsmann
eine noch besser platzierte Mannschaft hinreißen ließ, bedeutete: Uli Hoeneß ist wirklich nicht mehr Präsident. Und: Die Bayern wissen, um die Besonderheit der Situation in der
Bundesliga, in der jede Woche eine andere Mannschaft das Momentum auf ihrer Seite hat.
Der Reiz dieser Rückrunde könnte daran liegen, dass mindestens zwei, vermutlich sogar drei und womöglich noch eine Überraschungsmannschaft Meister werden können. Aus eigener Stärke, aber auch, wegen der Inkonstanz aller. Der Weg auf den Gipfel ist diese Saison kein Gerader. Nach beinahe jedem Spieltag hat sich die Gemengelage geändert. Und kommende Woche kann die Bewertung schon eine ganz andere sein.
Hatten die Bayern sich mit allerletzter Kraft und zwei Duselsiegen in die Winterpause gerettet und hatten sie sich vergangene Woche bei Hertha lange schwergetan, so haben sie nun mit 9:0 Toren und sechs Punkten den besten Rückrundenauftakt ihrer Geschichte hingelegt. War RB Leipzig nach der Hinrunde der Titel in der kollektiven öffentlichen Wahrnehmung schon kaum mehr zu nehmen und hatte sich dieser Eindruck nach dem nicht sehr schönen, aber effektiven 3:1 gegen Union Berlin vergangene Woche noch verstärkt, wirkten die Leipziger nach dem 0:2 gegen Frankfurt wie eine Mannschaft in Trümmern. Zu diesem Schluss musste fast kommen, wer Trainer Julian Nagelsmann zuhörte. „Wenn man kurz vor dem Gipfel steht, ist immer die Frage, wo man hinwill. Entweder ich will nach oben zum Gipfelkreuz und etwas erreichen oder ich biege vorher ab und esse und trinke gemütlich etwas. Dann wirst du am Ende halt nur Vierter, wenn es gut läuft“, warnte Nagelsmann, der sich in den Bergen sehr gut auskennt und leidenschaftlich Gipfel erklimmt, aber auch gerne mit dem Mountainbike ins Tal rast. „Wenn man am Mittwoch unser elf gegen elf sieht, merkt man, dass wir noch weit davon weg sind, eine Spitzenmannschaft zu sein“, fügte Nagelsmann seiner Philippika noch an.
Holt Dortmund noch Can?
Kommende Woche geht es für Leipzig zu Hause gegen Mönchengladbach, den Tabellendritten. Der rehabilitierte sich am Samstag mit dem 3:1 gegen Mainz für die Niederlage zum Rückrundenauftakt auf Schalke und meldete sich zurück im Meisterrennen. Eine Niederlage gegen Gladbach – und Leipzig wäre vor einem der größten Spiele der Vereinsgeschichte nur Dritter. Am 9. Februar empfängt der FC Bayern den Rivalen. Allerdings: Gewinnt RB das erste Gipfelspiel am Niederrhein, würde es als Tabellenführer zum gipfeligsten Gipfelspiel reisen.
Und da ist noch nicht mal die Möglichkeit einkalkuliert, dass die Rivalen sich die Punkte gegenseitig klauen. Womit wir bei Borussia Haaland wären: Zehn Tore hat der BVB in zwei Rückrundenspielen geschossen, fünf davon gingen auf das Konto Erling Haalands. Sollte der gewünschte Transfer von Nationalspieler Emre Can von Juventus wirklich klappen und der ähnlich einschlagen wie der selbstbewusste Norweger – der BVB hätte auf dem Weg zum Gipfel noch einen weiteren Anschieber.
„Entweder ich will nach oben zum Gipfelkreuz und etwas erreichen oder ich biege vorher ab und esse und trinke gemütlich etwas.“