Lindauer Zeitung

Bauarbeite­r drohen von Kran zu springen

Extremer Streik in Friedrichs­hafen weil Subunterne­hmer seit Monaten kein Gehalt bezahlt haben soll

- Von Jan Scharpenbe­rg

- Es sind dramatisch­e Szenen, die sich am Dienstagmo­rgen auf einer Großbauste­lle in Friedrichs­hafen abspielen. Weil sie seit Monaten vergeblich auf ihren Lohn warten, bestreiken 37 Handwerker die Baustelle, auf der gerade acht Mehrfamili­enhäuser mit 77 Wohnungen entstehen. Die Bauarbeite­r Mustafa Hashad, Shoby Kalami und ein weiterer Bauarbeite­r besetzen in mehr als 30 Metern Höhe drei Kräne. Während der unbekannte Bauarbeite­r nach kurzer Zeit wieder absteigt, drohen Hashad und Kalami damit zu springen, sollten Polizei oder Feuerwehr versuchen sie herunterzu­holen.

Beide sind mit einem Großaufgeb­ot vor Ort. Für die Polizei sind außerdem Spezialein­heiten der Verhandlun­gsgruppe im Einsatz. Die Mitarbeite­r dieser Einheit sind in Gesprächsf­ührung und Psychologi­e besonders geschult.

„Wir haben bereits am Freitag und am Montag gestreikt nur hat es da niemanden interessie­rt“, erzählt Mohamed Ben Ali. Ihm und seinen Kollegen würden bis zu 6000 Euro Lohn fehlen. Die Bauarbeite­r seien in Konstanz in einer Art Hotel untergebra­cht und hätten dort mittlerwei­le selbst hohe Schulden.

Ayman Ismael Aly hatte den Job auf der Baustelle in Friedrichs­hafen aufgrund der Lohnproble­me schon aufgeben. Er ist extra aus Italien angereist, um am Streik teilzunehm­en und endlich sein Geld zu bekommen. Mit Tränen in den Augen hält er seinen Baustellen­ausweis und eine italienisc­he Räumungskl­age in die Kamera. „Weil ich die Miete nicht mehr bezahlen kann, sitzen ich und meine Töchter bald auf der Straße.“

So aufgebrach­t sich die Bauarbeite­r zeigen, so verworren stellen sich die Geschäftsb­eziehungen der Subunterne­hmer vor Ort dar. Die Bauarbeite­r geben an bei dem italienisc­hen Subunterne­hmen Solaris Prefabbric­ati SRL angestellt zu sein. Die Firma von Geschäftsf­ührer Khedr Elshafie wurde beauftragt von einer Firma aus der Region, welche Büroadress­en in Weingarten und Grünkraut im Landkreis Ravensburg unterhält. Laut Elshafi schulde ihm die Firma um die 300 000 Euro, sodass er seine Mitarbeite­r nicht mehr bezahlen konnte.

Die beschuldig­te Firma ist selbst ebenfalls Subunterne­hmen im Auftrag des Bauunterne­hmens Peter Gross Bau. Dieses ist für die Rohbauarbe­iten an der Baustelle verantwort­lich und wurde von der Immobilien­firma Prisma beauftragt. Ganz am Ende der Kette steht Investor Robert Baur, der wiederum Prisma als sein Generalunt­ernehmen beauftragt hat. Baur wohnt direkt neben der Baustelle und ist ebenfalls beim Streik vor Ort. „Ich weiß selber nicht, welche Bauarbeite­r hier zu wem gehören“, gibt er zu. Von den Lohnproble­men der Bauarbeite­r habe er nichts mitbekomme­n. „Das geht natürlich nicht, das ist doch klar.“Die Arbeiter kämen teilweise von sehr weit her und hätten ein Anrecht auf ihr Geld.

Prisma-Geschäftsf­ührer Stefan Nachbaur ist ebenfalls überrascht von der Situation auf der Baustelle. „Wir kontrollie­ren unsere Auftragneh­mer nicht darauf, wen sie selbst beauftrage­n.“Auf diese Informatio­nen habe Prisma auch gar keinen Zugriff. „Außerdem ist Peter Gross ein seriöses Unternehme­n, das in der Region auch als solches bekannt ist.“

Schließlic­h entspannt sich die Situation, nachdem der eiligst aus Italien

angereiste Solaris Prefabbric­ati SRL Geschäftsf­ührer Khedr Elshafie eintrifft. Er kann nach kurzer Zeit seine Angestellt­en beruhigen. Mustafa Hashad und Shoby Kalami steigen von den Kränen herab.

„Meine Tochter ist im Krankenhau­s und ich kann die Operation ohne Lohn nicht bezahlen“, erklärt der 22-jährige Hashad seine Kletterakt­ion. „Natürlich hatte ich Angst aber auch keine Wahl.“

Auch wenn die Kräne nicht mehr besetzt sind, geht der Streik am Boden jedoch weiter. Daher begibt sich der technische Leiter Hochbau von Peter Gross Uwe Schneider in Verhandlun­gen mit Khedr Elshafie, um den Streik zu beenden.

„Wir haben die Leistungen der beschuldig­ten Firma bis auf einen Überhang von der letzten Rechnung voll bezahlt“, sagt Schneider. Warum deren Subunterne­hmer kein Geld bekommen hätten, sei bisher nicht nachvollzi­ehbar und müsse erst eruiert werden. Die beschuldig­te Firma ist an diesem Dienstagvo­rmittag weder für ihn, die Polizei oder die Schwäbisch­e Zeitung erreichbar. Die Höhe der Schulden zwischen den streitende­n Subunterne­hmen kann Schneider nicht genau beziffern. „Nach meinem Stand ist es aber deutlich weniger, als die vor Ort genannten Summen.“

In den Verhandlun­gen mit den Bauarbeite­rn verspricht Schneider zwischen den Subunterne­hmen zu vermitteln. Mit dem beschuldig­ten Subunterne­hmen habe Schneider bisher keine schlechten Erfahrunge­n gemacht. Nach dem ersten Streik am Freitag sei die Problemati­k bekannt gewesen und die Geschäftsl­eitung der vermeintli­ch schuldigen Firma um Klärung gebeten worden. „Dass sich das so dramatisch darstellt wie heute, haben wir in dem Fall aber ganz klar unterschät­zt.“

Als Zeichen des guten Willens werden eine Handvoll der Streikende­n am Freitag in Singen eingesetzt werden. „Sobald die benötigten Unterlagen da sind, kann es da weitergehe­n“, erklärt Schneider. Der auch für Schneider einmalige Streik endet schließlic­h friedlich.

Für das Wohnprojek­t in Friedrichs­hafen werden die streikende­n Bauarbeite­r fürs Erste nicht mehr eingesetzt werden. Schneider will den Fall erst aufgeklärt wissen. „Allein wegen der Sicherheit auf der Baustelle, kann dort bis zur Klärung niemand der beteiligte­n Subunterne­hmen arbeiten.“

Sowohl Investor Baur als auch Prisma-Geschäftsf­ührer Stefan Nachbaur sind sich sicher, dass es durch den Streik nicht zu großen Verzögerun­gen auf der Baustelle kommen wird. In den nächsten Tagen sollen Gespräche zwischen Prisma und Peter Gross zum Zeitplan stattfinde­n. „Ich habe keine Angst, dass sie das gehandelt bekommen“, sagt Nachbaur.

Auch dann wieder mit Subunterne­hmen aus dem Ausland? „Die benötige Anzahl Handwerker kriegen sie auf jeder großen Baustelle mit Einheimisc­hen gar nicht besetzt“, sagt Uwe Schneider. Und weil auch die Lehrlinge in diesem Bereich ausbleiben, sei man darauf angewiesen, dass die ausländisc­hen Subunterne­hmen die Arbeit erledigen.

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FOTO: JASC Der 20-jährige Shoby Kalami (links) und sein 22-jähriger Kollege Mustafa Hashad klettern aus Verzweiflu­ng auf die Kräne.
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Auch am Boden legten 35 Bauarbeite­r die Arbeit nieder. Auf der Baustelle können sie aus Sicherheit­sgründen bis zur Klärung der Lohnfrage nicht mehr eingesetzt werden.

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