Wenn Eltern besser nicht mehr Auto fahren sollen
Gespräche über den Verzicht auf den Führerschein verursachen schnell familiäre Konflikte – Was Experten raten
Die Strategie des Nachbarn erschien aussichtsreich. Er wollte seinen über 80 Jahre alten, etwas gebrechlichen Vater dazu bringen, nicht mehr selbst Auto zu fahren, weil dieser den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr gewachsen sei. Der Nachbar erzählte seinem Vater also, dass er den Kauf eines neuen Autos plane, was überhaupt nicht stimmte. In der Vergangenheit, so die Überlegung, hatte er dann stets den alten Wagen des Vaters geschenkt bekommen – und das Familienoberhaupt hatte für sich einen neuen gekauft. Das Kalkül: Der Vater kann sich ohne Gesichtsverlust vom Auto trennen und verzichtet auf eine Neuanschaffung. Doch diese Brücke wollte der alte Herr partout nicht betreten – und fährt immer noch selbst.
Wie bringe ich meinen Eltern möglichst schonend bei, dass sie auch im eigenen Interesse besser nicht mehr am Steuer sitzen sollten? Vor diesem Problem stehen viele in der nachfolgenden Generation und scheitern regelmäßig mit ihren gut gemeinten Überzeugungsversuchen. „Das ist eine schwierige Frage“, sagt der Wissenschaftler Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin dazu. Er bezweifelt zudem, dass Ältere generell so schlecht fahren, dass sie es besser bleiben lassen sollten. „Kinder schätzen das Fahrvermögen ihrer Eltern oft schlechter ein, als es tatsächlich ist“, erläutert der Verkehrspsychologe. Nur ein kleiner Teil der Älteren werde auffällig. Ihr Unfallrisiko sei nicht höher als in der Gruppe der 30bis 35-Jährigen.
Bei Zweifeln helfen Dritte bei der Beurteilung der Fahrkünste. Das dient nicht zuletzt dem familiären Frieden. Verkehrswachten oder auch Fahrlehrer bieten sogenannte Rückmeldefahrten an. Dabei lässt sich der Vater oder die Mutter bei einer normalen Fahrt begleiten und erhält anschließend eine seriöse Einschätzung, was vielleicht noch geübt werden sollte. „So eine Rückmeldefahrt wäre zum Beispiel ein geeignetes Geschenk für die Eltern“, sagt Fastenmeier.
Zu solchen Fahrten rät auch der Chef der Unfallforschung beim Versicherungsverband, Siegfried Brockmann, der Ältere gerne dazu verpflichten würde, ohne daraus eine amtliche Prüfung zu machen. Die Profis gäben nur Ratschläge. „Was sie damit machen, bleibt ihre Sache“, versichert Brockmann. Er zeichnet allerdings hinsichtlich der Unfallgefahren ein etwas anderes Bild als Fastenmeier. Denn die Statistik zu älteren Fahrern enthalte auch die Daten der Altersgruppe zwischen 65 und 75 Jahren. Erst danach aber steige das Unfallrisiko deutlich an – auf die Spitzenwerte der Fahranfänger.
Von zwingend vorgeschriebenen Tests für Ältere, die in einigen Nachbarländern Standard sind, halten beide Experten nichts. „Die Tests wirken sogar eher negativ“, erläutert Fastenmeier. Aus Angst vor der Prüfung geben demnach Ältere den Führerschein freiwillig zurück, obwohl sie noch fit genug sind. Das könne vor allem in ländlichen Gebieten ohne alternative Mobilitätsangebote einen Teufelskreis in Gang setzen, der mit weniger Bewegung beginnt: „Es folgen depressive Symptome, eine höhere Demenzgefährdung und schließlich auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, ein Pflegefall zu werden“, sagt Fastenmeier.
Zudem ist das Thema Mobilität im eigenen Auto in dieser Generation emotional hoch besetzt. „Es steht für Selbstbestimmung und persönliche Freiheit“, stellt die Frankfurter Beraterin Petra Schlitt fest, die Angehörige beim Kümmern um ihre Eltern oder Pflegebedürftige coacht. Sie hat sieben Tipps für die Überzeugungsarbeit in Sachen Führerschein zusammengestellt. Drei davon sind Versuche, die Angehörige aus Sicht der Expertin besser bleiben lassen sollten. Der Appell an die Vernunft gehört dazu. Mahnungen wie beispielsweise „muss erst etwas passieren ...“stoßen demnach eher auf taube Ohren. „Du willst mich wohl entmündigen“, laute dann oft die Antwort. Auch den Autoschlüssel abzunehmen oder zu verstecken, programmiert familiäre Konflikte vor.
Erfolgversprechender ist Schlitt zufolge ein Gespräch mit dem Hausarzt, der dann seinerseits den Eltern gegebenenfalls zum Verzicht auf das Auto raten könnte. „Erfahrungsgemäß gelten die Argumente anderer Autoritäten viel mehr, als die der eigenen Kinder“, sagt Schlitt. Hilfreich kann auch die Extrafahrstunde sein. Wenn ein Profi die Fahruntüchtigkeit bescheinige, falle die Akzeptanz leichter. Auch der Appell an die Hilfsbereitschaft der Eltern kann der Beraterin zufolge durchaus fruchten. Sie mögen doch ihr Auto an die Enkelin, den Schwager oder eine Freundin verleihen, weil dort ein Fahrzeug dringend benötigt wird. „Das gibt ihnen das gute Gefühl, etwas sinnvolles zu tun und helfen zu können“, sagt Schlitt.
Im äußersten Notfall kann sie sich auch eine fast rabiate Methode vorstellen: „Du sorgst dafür, dass das Auto einfach nicht mehr anspringt“, erklärt sie. Wenn dann eine verbündete Autowerkstatt auch noch hohe Reparaturkosten und eine lange Dauer prognostiziert, könnte das zum Abschied vom Autofahren führen. Das Ziel, die Sicherheit aller zu erhöhen, rechtfertigt in ihren Augen auch solche Notlügen. „Wenn du es schaffst, dass deine Eltern ohne Gesichtsverlust auf das Autofahren verzichten, ist allen geholfen“, versichert die Beraterin. In einigen Städten hilft auch die Kommune bei der Entscheidung und lässt Senioren umsonst mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, wenn sie den Führerschein zurückgeben.