Aufschlussreiche
Ausstellung zu Nazikunst im Kunstmuseum Stuttgart
- So stellt man sich Nazikunst vor: Das Gesicht energisch, die Haare wie mit dem Lineal geschnitten – und in den kräftigen Händen hält der junge Mann eine Hakenkreuzfahne. Irgendwann zwischen 1933 und 1945 muss der „Revolutionär“von Hektor Kirsch entstanden sein. Die harten Schwarz-Weiß-Kontraste des Holzschnitts wirken bedrohlich, doch die Botschaft ist eindeutig: Hier kämpft einer für eine bessere Welt.
Bis heute klammern Museen die Jahre des Nationalsozialismus aus. In den Sammlungspräsentationen klafft ganz selbstverständlich eine Lücke – als habe es typische Nazikunst gegeben, die man heute lieber wegsperrt. Ganz so einfach ist es nicht, lehrt jetzt eine interessante Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart. „Der Traum vom Museum ,schwäbischer‘ Kunst“nennt sich die Schau, für die der Provenienzforscher Kai Artinger drei Jahre lang Akten sichtete, Ankaufslisten studierte und Bilder im Depot suchte. Dabei hat er eine Entdeckung gemacht, von der man bisher in den Geschichtsbüchern nichts lesen konnte: Die Nationalsozialisten hatten in Stuttgart Großes vor. Sie wollten Stuttgart zur Kunststadt machen und kauften hierfür im großen Stil Kunst an. 1,1 Millionen Reichsmark haben sie zwischen 1933 und 1943 in Ankäufe investiert. Das wohl teuerste Gemälde war „Der Ausritt“(1941) von Fritz von Graevenitz, das man sich 10 000 Reichsmark kosten ließ – und das mitten im Krieg.
Die Ausstellung wartet mit historischem Material auf, mit Inventarbüchern oder Karteikarten. Denn die Nationalsozialisten gingen durchaus professionell ans Werk. In der Weimarer Republik verwaltete die Bücherei die wenigen Kunstbestände, die Stuttgart besaß – meist „Ämterschmuck“für Bürostuben und Flure. Die Nationalsozialisten richten dagegen ein Kunst- und Kulturreferat ein und inventarisieren die Sammlung. Es wird eine Kunstkommission eingesetzt, die für den Ankauf der Bilder zuständig ist. Julius Kurz etwa war freier Kunstmaler in Stuttgart und seit 1931 in der NSDAP, auch wenn er sich später beim Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer bezeichnete und seine Tätigkeit in der Kunstkommission erst gar nicht erwähnte.
Man lernt in der Schau einige Akteure kennen, die im Dritten Reich in der Stuttgarter Kunstwelt wichtige Strippenzieher waren: Arnold Waldschmidt etwa, der die NSDAP in
Stuttgart mitbegründete und mit Hitler gut bekannt war. Er lehrte als Professor an der Stuttgarter Kunstakademie und war Kommissionsmitglied wie auch sein Kollege August Köhler. Auch der wird später behaupten, er sei unter Zwang in die Partei eingetreten. Die Kunstkommission kaufte mehr als 20 Bilder von Köhler an – etwa seine sehr langweilige „Heuernte“von 1941.
Eine mit Bildern übersäte Wand im Kunstmuseum zeigt, dass die Nationalsozialisten sich vor allem für Landschaftsmalerei interessierten. Sie waren überzeugt, dass die schwäbischen Künstler einen besonderen Sinn für „lyrische Landschaften“hätten, wie es 1934 im NS-Kurier hieß. Kai Artinger hat allerdings keinerlei Definition gefunden, was schwäbisch überhaupt meint. Es lässt sich regional nicht präzise verorten. Die Idee eines Museums schwäbischer Kunst war eher von diffusen Gefühlen geleitet und der Vorstellung, dass die Künstler in der heimischen Scholle verwurzelt wären.
Den Gemälden sieht man das Schwäbische in jedem Fall nicht an, sie könnten an vielen anderen Orten entstanden sein. Allein die Titel sind es – etwa beim „Schwäbischen Dorf“(1927) von Theodor Werner –, die auf die Region verweisen. Aber nicht nur das Prädikat schwäbisch ist fragwürdig, sondern auch die Vorstellung einer dezidierten Nazikunst. So hat Erna Raabe 1933/34 zum Beispiel einen Adler gemalt, der unmittelbar an die NS-Ästhetik erinnert. Es ist nicht bekannt, wie die Künstlerin zum Nationalsozialismus stand. Sicher ist, dass sie eine Liebesbeziehung hatte zu der Stuttgarter Malerin Käthe Loewenthal, einer Jüdin, die sich taufen ließ – und doch 1942 deportiert und im Lager Izbica ermordet wurde. Eine glühende Nazikünstlerin wird Raabe also gewiss nicht gewesen sein.
Tatsächlich kaufte die Kunstkommission auch viele Werke früherer Epochen, die aus ihrer Sicht einen schwäbischen Geist atmeten – etwa von Hermann Pleuer oder Christian Landenberger. In der Sammlung finden sich auch Zeichnungen und Gemälde, die Künstler im Krieg anfertigten und die man in der Heimat immer wieder der Öffentlichkeit in Ausstellungen zeigte. Ein Teil der Sammlung, die die Nazis zusammentrugen, war bis 1942 in der Stuttgarter Villa Berg ausgestellt, ein richtiges Museum aber besaß die Stadt nicht. Kai Artinger hat auch keine Hinweise gefunden, dass ein Neubau geplant gewesen wäre.
Gut die Hälfte der Bestände hat den Krieg nicht überlebt. Mehr als 1000 Gemälde, die auf Schloss Löwenstein
bei Heilbronn eingelagert wurden, verbrannten dort 1945 bei einem Fliegerangriff. Vermutlich befand sich darunter auch das ein oder andere Motiv, das der Vorstellung einer dezidierten Nazikunst entspricht – wie die typischen Sportlerbilder. Die Werke, die das Kunstmuseum nun zeigt, müssen differenzierter betrachtet werden. So kann man aus dem Gesicht des „BDM-Mädel“(1940) durchaus Melancholie oder gar Skepsis herauslesen. Der Maler Fritz Ketz scheint ein kritischer Geist gewesen zu sein, den seine Künstlerkollegen schließlich wegen unliebsamer Arbeiten und Äußerungen bei der Gestapo anzeigten.