Lindauer Zeitung

Kein Hoch auf die Hochleistu­ngskuh

Landwirtin wehrt sich gegen Preisdruck der Lebensmitt­elhändler.

- Von Jan Scharpenbe­rg

SIGMARSZEL­L - Wachsen oder weichen ist ein altbekannt­es Motto für Landwirte, wenn es um den Umgang mit dem Preisdruck auf dem Lebensmitt­elmarkt geht. „Wir müssen das nicht und unser Hof muss das auch nicht“, sagt Landwirtin Sophia Hagen aus Sigmarszel­l. Sie geht erfolgreic­h neue Wege der Direktverm­arktung und hat es dennoch schwer aus dem alten System herauszuko­mmen.

Dessen Probleme waren am Montag auch Thema eines Spitzentre­ffens von Angela Merkel, Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) und Vertretern der großen Lebensmitt­elhändler. Im Deutschlan­dfunk beschrieb Klöckner am selben Tag das Kernproble­m mit einer Frage: „Wie sollen zwei Kilo Äpfel für 1,11 Euro überhaupt produziert werden zu hohen Umweltstan­dards, und wie soll eine Bauernfami­lie davon leben können?“

In den vergangene­n Jahrzehnte­n haben die Bauern auf diese Frage eine simple Antwort entwickelt. „Schon in der Ausbildung, im Studium und in gängigen Fachzeitsc­hriften wird den Bauern immer nur gesagt, sie sollen noch mehr und noch günstiger produziere­n“, sagt Landwirtin Sophia Hagen. Welche extremen Blüten dieser Druck treibt, sieht die 30-Jährige an ihren eigenen Kühen.

Sie lebt in Sigmarszel­l und hat dort 2017 mit ihrem Mann den kleinen Milchviehb­etrieb der Schwiegere­ltern übernommen. Ihre Milch verkaufen sie an einen großen Milchprodu­kteanbiete­r aus dem Allgäu. Viel lieber würde Hagen ihre Milch direkt an die Kunden verkaufen. Aber dafür hat sie schlichtwe­g zu viel Milch.

Denn ein Teil der rund 45 Kühe der Hagens gehört zur Rasse der Holstein-Friesian -Rinder. Diese Rasse ist die Antwort auf den Preisdruck, der speziell auf den Milchbauer­n lastet. Holstein-Friesian werden seit mehr als hundert Jahren speziell auf hohe Milchleist­ung gezüchtet. Weltweit dominieren sie in den Ställen der Milcherzeu­ger.

Die absoluten Leistungst­räger unter diesen Kühen geben mittlerwei­le am Tag zwischen 40 und 50 Litern Milch. Eine enorme Leistung, wie Hagen verdeutlic­ht: „Pro Liter Milch muss die Kuh 400 bis 500 Liter Blut durch ihr Euter pumpen.“Der Anblick einer gemütlich wiederkäue­nden Kuh täuscht. In ihrem Inneren arbeitet eine Hochleistu­ngsmaschin­e – und die braucht Sprit.

Der Sprit ist in diesem Fall eiweißreic­hes Kraftfutte­r, das in der Regel aus einer Mischung von Silage, Soja, Mais und Vitaminen besteht. Bei Hagens dürfen die Kühe so viel Zeit wie möglich auf der Wiese verbringen. Ohne teures Kraftfutte­r geht es trotzdem nicht. „Die hohe Milchleist­ung musst du dir auch leisten können“, erklärt Hagen. Deswegen hätten sie vor kurzem erst eine Kuh verkauft. Den Kühen das Kraftfutte­r abzusetzen, ist keine Option für Landwirte. Die Tiere sind so sehr auf Leistung getrimmt, dass sie auch ohne Kraftfutte­r weiter jede Menge Milch produziere­n. „Sie beginnen dann an ihren eigenen Fettreserv­en zu zehren und fressen sich praktisch selbst auf “, sagt Hagen. Selbst bei schlechtem Futter würden die Kühe schnell krank werden.

Die studierte Agrarwisse­nschaftler­in sitzt in ihrer Küche, während ihre drei Kinder um sie herumtolle­n, und fragt sich wofür das alles gut sei. Der Bedarf an Milch in Bayern sei doch längst gedeckt.

„Bei der Abdeckung liegen wir in einem Bereich von 170 bis 180 Prozent“, sagt der Pressespre­cher des Bayerische­n Bauernverb­andes, Markus Drexler. Bayern sei einfach aufgrund des vielen nutzbaren Grünlandes und der klimatisch­en Bedingunge­n traditione­ll ein starker Milchstand­ort.

Aber auch Drexler plädiert gegen riesige Ställe mit hochgezüch­tetem Milchvieh. „Wir müssen es alle schaffen, dass die Grenzen der Ökonomie in Einklang gebracht werden, mit dem was auf dem Feld oder im Stall passiert.“Der bayerische Weg orientiere sich nicht an dem Motto „Wachse oder Weiche“. Über sechzig Prozent der bayerische­n Landwirtsc­haftsbetri­ebe hätten mehrere Standbeine, wie zum Beispiel die Direktverm­arktung ihrer Produkte. Das schaffe Unabhängig­keit von dem Preisdruck der großen Lebensmitt­eleinzelhä­ndler. „Außerdem ist das Umfeld für die Direktverm­arktung ein sehr gutes, weil die Verbrauche­r an solchen Produkten ein hohes Interesse haben“, sagt Drexler. Dass er damit Recht haben könnte zeigt erneut Sophia Hagen. Denn 2017 hat sie mit ihrem Mann nicht nur den Milchviehb­etrieb übernommen, sondern auf ihrem Land auch eine solidarisc­he Landwirtsc­haft, kurz Solawi, gegründet. Einmal im Jahr werden Anteile an der Solawi an Kunden verkauft. Der Preis ist so kalkuliert, dass er die Kosten für den Betrieb ein ganzes Jahr deckt. Die Kunden bekommen dafür einmal im Monat eine Ladung Gemüse, das in der Solawi angebaut wird. „Ein Anteil versorgt einen vierköpfig­en Haushalt mit Gemüse“, erklärt Hagen.

Das Konzept hat Erfolg. Vom zweiten auf das dritte Jahr hatten die Hagens 180 zusätzlich­e Anfragen für den Verkauf weiterer Anteile. Das Land wäre vorhanden gewesen, um die Nachfrage zu erfüllen . Die Familie entschied sich gegen das Wachstum. „Wir wollen selbst mitarbeite­n und nicht Manager von Angestellt­en sein“, sagt Hagen. Außerdem bedeute Wachstum in der Landwirtsc­haft eben nicht automatisc­h auch mehr Verdienst. „Wir kommen gut zurecht und was wollen wir mehr?“

Sophia Hagen lädt am 12. März zu einem Vortrag von Dr. Tanja Busse Autorin des Buches „Die Wegwerfkuh“in das Haus des Gastes nach Schlachter­s ein. Beginn ist um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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FOTO: JAN SCHARPENBE­RG
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GRAFIK:MARCUS FEY Im Gegensatz zur Haltung bei Sophia Hagen muss eine Milchkuh in der Intensivti­erhaltung so einiges leisten.
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FOTO: JAN SCHARPENBE­RG Bei Sophia Hagen werden die Kälbchen nicht wie üblich kurz nach der Geburt von der Mutterkuh getrennt. Ohne den Trennungss­chmerz seien die Kühe motivierte­r zu fressen und damit gesünder.

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