Lindauer Zeitung

Hoher Preis für gefühlte Sicherheit

- Von Klaus Wieschemey­er k.wieschemey­er@schwaebisc­he.de

Es hört sich so schlüssig an: Warum sollen wir nicht die immer intelligen­ter werdende Technik nutzen, um das Land sicherer zu machen? Was spricht dagegen, wenn schlaue Kameras der Polizei dabei helfen, böse Buben zu fangen? Und welcher unbescholt­ene Bürger fühlt sich schon beeinträch­tigt, wenn er von Überwachun­gstechnik erfasst wird, ohne es überhaupt zu merken? Immerhin verraten viele Menschen auf ihren Profilen in „sozialen“Netzwerken freiwillig weit mehr von sich, als der Staat je wissen will. Und so ist es kein Wunder, dass die ungewöhnli­che Koalition aus Datenschüt­zern, Grünen, FDP und Linken mit ihren Warnungen vor einem Ende des Privaten oft ungehört bleibt.

Dabei sollten die Bedenken ernst genommen werden. Denn bisher sorgen Überwachun­gskameras zwar für ein höheres Sicherheit­sgefühl – doch die Kriminalit­ät verlagert sich oft nur, wie Studien in überwachte­n Metropolen wie London zeigen. Und spektakulä­re Fälle wie die der dank Überwachun­gsvideos 2017 gefassten Berliner U-Bahn-Treter sind selten. Auch schlaueste Kameras an Hauptbahnh­öfen hätten zudem viele Schwerverb­recher und Attentäter nicht gestoppt: Der rechtsterr­oristische NSU und der Breitschei­dplatzAtte­ntäter Anis Amri konnten dank polizeilic­her Pannen morden, nicht aufgrund fehlender Überwachun­g. Dagegen zeigt China derzeit, wie man massenhaft erhobene Daten nutzen kann, um Millionen Menschen mundtot zu machen.

Damit ist der Rahmen gesetzt: In engem Maße, an belebten Orten und unter parlamenta­rischer Kontrolle ist der Einsatz automatisc­her Gesichtser­fassung eine (teure) Möglichkei­t, das Sicherheit­sgefühl der Bevölkerun­g auf Kosten der Persönlich­keitsrecht­e vieler zu steigern und dabei hin und wieder einen gesuchten Straftäter zu finden. Doch das System hat Grenzen: Effektiver wären eine bessere Zusammenar­beit und Ausstattun­g der Sicherheit­sbehörden. Denn wer an einem Hauptbahnh­of ins Visier einer Kamera gerät, hinterläss­t im Internet meist weit bessere Spuren. Doch die muss die Polizei auch auswerten können.

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