Cecilia Bartoli begeistert an der Oper Zürich in Glucks „Iphigénie en Tauride“
Cecilia Bartoli, Andreas Homoki und Gianluca Capuano begeistern mit Glucks „Iphigénie en Tauride“in Zürich
ZÜRICH - Am Opernhaus Zürich ist Christoph Willibald Glucks „Iphigénie en Tauride“in einer ungemein dichten Neuinszenierung von Hausherr Andreas Homoki mit der Ausstattung von Michael Levine und in der eindringlichen Lichtgestaltung von Franck Evin zu erleben. Das Publikum bejubelte nicht nur Cecilia Bartoli für ihre wie immer glühende Rollengestaltung, auch ihre Bühnenpartner und Dirigent Gianluca Capuano am Pult des Zürcher Originalklangorchesters La Scintilla waren eingebunden in ein Gesamtkunstwerk des Opernreformers Gluck.
Ein weißer Lichtrahmen zieht sich um eine schwarz ausgekleidete, nach hinten ansteigende und sich verengende Bühne, darauf überwiegend schwarz gekleidete Menschen mit Schleiern und Augenbinden: Es ist ein klaustrophobischer Raum, in dem Alpträume erzählt und durchlebt werden, in dem sich Geschwister finden, Freundschaften bewähren und schließlich der alte Atridenfluch mit seinem Kreislauf von Mord und Totschlag gelöst wird.
Was für eine Geschichte, was für eine Familie! Iphigenie, die Tochter des Agamemnon, sollte in Aulis geopfert werden, um die Windstille aufzuheben, die die griechischen Heere am Aufbruch gen Troja hinderte. Im letzten Moment wurde sie von der Göttin Diana gerettet, seither lebt Iphigenie als ihre Priesterin auf Tauris. Hier muss sie für den Herrscher Thoas Menschen umbringen, weil ihm ein Orakel verkündet hat, er werde durch die Hand eines Fremden getötet werden. Glucks französisches Libretto nach der Tragödie von Claude Guimond de La Touche erzählt die Geschichte etwas anders als Goethe in seiner „Iphigenie“.
Als zwei junge Griechen an der Küste stranden, will Thoas sie opfern – erst spät erkennt Iphigenie in dem einen ihren Bruder Orest, der nach dem Mord an der Mutter Klytämnestra von den Erinnyen verfolgt wird. Bevor auch hier das Opfer in letzter Minute von der Göttin Diana aufgehoben wird und Iphigenie gemeinsam mit Orest und seinem treuen Freund Pylades nach Mykene zurückkehren soll, erlebt man verschiedenste schicksalhafte Wendungen, gegossen in ergreifende Arien, Duette und große Chorszenen.
Christoph Willibald Gluck hatte sich in seiner Opernreform ja auf die Macht der Sprache und, verkürzt dargestellt, auf die „Sprache des Herzens“berufen, wandte sich gegen die ausufernde Virtuosität in den Arien und die schematischen Rezitative. Seine „Iphigénie en Tauride“aus dem Jahr 1779 besticht mit einer ausdrucksvollen Orchestersprache, die Gianluca Capuano mit dem Orchester La Scintilla in einen sinnlich warmen, beweglichen Klang fasst. Trauer, Wut, Raserei, Innigkeit und Angst sind hier gespiegelt. Auch der meist in Frauenund Männerstimmen aufgeteilte Chor (Einstudierung Janko Kastelic), der in seinen schwarzen kunstvollen Gewändern fast mit dem Bühnenraum verschmilzt, hat seinen großen Auftritt in diesen Szenen. Andreas Homoki bewegt ihn in eindringlichen, etwas konventionellen Gruppierungen.
Auch Cecilia Bartoli, die sich diese Partie für ihre erste Zusammenarbeit mit Homoki am Opernhaus Zürich gewünscht hat, ist eine von diesen schwarzen Gestalten und durchlebt mit der ihr eigenen gestalterischen Intensität ein Wechselbad der Gefühle. Gluck beschenkt sie nicht mit dem Feuerwerk der Koloraturen, mit dem sie in anderen Produktionen brillieren kann, hier geht es um Ausdruck, um Linie, Wärme, Mitleid. Was ihr überzeugend und beseelt im Miteinander mit ihren Bühnenpartnern gelingt. Da sind Stéphane Degout mit vollem, warmem Bariton als gebeutelter Orest und der fein lyrische Tenor Frédéric Antoun als ihm treu ergebener, opferbereiter Pylades, ebenso der mächtige König Thoas des Jean-Francois Lapointe. Als Göttin Diana hat die Norwegerin Brigitte Christensen ihren kurzen Auftritt, sie wird in den späteren Aufführungen die Rolle der Iphigenie übernehmen.
Die Inszenierung von Andreas Homoki und seinem Team überzeugt in ihrer Klarheit. In Rückblenden und Träumen beschwört er die Geschichte um Klytämnestra und Agamemnon herauf, stellt gar eine ideale Familie mit einer jungen Iphigenie und einem jungen Orest in hellen Rokoko-Kostümen dar. Was Gluck in seiner Musik und in der französischen Originalsprache erzählt (Übertitel sind in Zürich selbstverständlich gegeben), wird also auch in eine psychologische Ebene übersetzt. Das ist gut, denn wer hat schon all die grausamen Wendungen der griechischen Mythen parat? Das Premierenpublikum feierte die Produktion mit einhelligem Jubel, Cecilia Bartoli aber zerpflückte ihren prachtvollen weißen Rosenstrauß, um ihn mit dem ganzen Team zu teilen.
Iphigénie en Tauride. Weitere Aufführungen am 4., 6., 8., 11., 16., 20., 23. und 28. Februar. www.opernhaus.ch