Unruhe im Vatikan
Franziskus zweifelt an Benedikts Vertrautem Gänswein
Dem Kurienerzbischof Georg Gänswein erging es seit sieben Jahren wie dem Diener Truffaldino in Carlo Goldonis Lustspiel „Der Diener zweier Herren“. Jener gerät durch sein Doppelleben in zahlreiche Schwierigkeiten, muss seine Loyalität zwischen dem einen wie dem anderen Herren teilen. Aber anders als Truffaldino, der später die Kammerzofe Smeraldina heiratet, konnte sich „Don Giorgio“nicht mehr retten: Gänswein, der als Privatsekretär von Benedikt XVI. (20052013) weiterhin dem emeritierten Papst so nahesteht wie kein anderer im Vatikan, ist seit Mittwoch von seiner zweiten großen Aufgabe als Präfekt des Päpstlichen Hauses, also vom Amt des Organisationsund Protokollchefs, entbunden. Er war zuletzt am 15. Januar bei der Generalaudienz von Franziskus öffentlich zu sehen. De facto dürfte die Kirchenkarriere des 63-jährigen, aus dem Schwarzwald stammenden Erzbischofs zu Ende sein. Er soll sich stärker um den greisen, fast 93 Jahre alten Benedikt XVI. kümmern, Gänsweins Aufgaben würden „umverteilt“, hieß es am Mittwoch beschwichtigend aus dem Vatikan.
Benedikt war im Februar vor sieben Jahren zurückgetreten. Seit dem historischen Rückzug lebt der gebürtige Bayer mit dem Titel „Papa emeritus“zusammen mit seinem Privatsekretär Georg Gänswein zurückgezogen in einem Kloster hinter Vatikanmauern. Damals versprach Benedikt uneingeschränkte Zurückhaltung und Loyalität zu seinem Nachfolger. Doch immer wieder dringt sein Wort nach draußen – und sorgt für Irritationen. Weil ihm immer wieder vorgeworfen wurde, eine Art konservativer „Gegenpapst“oder „Schattenpapst“zu sein, sah sich Benedikt letztes Jahr genötigt zu betonen: „Es gibt nur einen Papst, Franziskus.“Doch er hielt und hält sich nicht an sein Versprechen.
Mit dem Quasi-Rauswurf und der Entmachtung Gänsweins zeigt Papst Franziskus somit seinem Vorgänger erneut seine Grenzen auf, ohne Benedikt persönlich zu nennen oder gar zu attackieren. Und der Argentinier positioniert sich im harten Machtkampf zwischen Reformern und konservativen Kräften im Vatikan. Er ordnet seinen „Inner Circle“neu – und für
Gänswein, den konservativen Vertreter des „Ancien Régime“, ist dort kein Platz mehr. Der Druck auf den Pontifex ist groß: „Er muss liefern“, heißt es in Kirchenkreisen. Kurz vor der Veröffentlichung des PapstPapiers zur Amazonas-Synode und kurz nach den ersten Schritten auf dem Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland zeigt Franziskus, dass er Illoyalität im engsten Mitarbeiterkreis nicht zulässt.
So rechnet der Papst mit einem weltweiten Echo, wenn er die zurückliegende Amazonas-Bischofssynode im Vatikan kommentiert. Mit der Veröffentlichung wird in den kommenden Tagen gerechnet. Dabei soll es auch um das Streitthema
Zölibat gehen – und um die Frage, ob der Papst in der abgelegenen Amazonas-Region und in Ausnahmefällen Verheiratete zur Priesterweihe zulässt.
Genau vor dieser möglicherweise anstehenden Zölibatsdiskussion war Gänswein zwischen die Fronten geraten und hatte mehr als unglücklich agiert. Noch bevor der aktuelle Pontifex seine Worte zum Streitthema Zölibat den 1,3 Milliarden Katholiken der Welt in seinem sogenannten postsynodalen Schreiben verkünden konnte, kam ihm sein 92 Jahre alter Vorgänger zuvor und warnte vor einer Priesterweihe von Verheirateten. Mitte Januar war ein Buch des erzkonservativen, aus Guinea stammenden Kardinals
Robert Sarah, immerhin Präfekt der Gottesdienstkongregation, über Priestertum und Zölibat erschienen, zu dem Benedikt XVI. einen Aufsatz beigesteuert hatte. Die Publikation wurde als Affront gegen Franziskus aufgefasst, der möglicherweise eine begrenzte Lockerung der Zölibatspflicht anstrebt.
Anders als es der vom Verlag veröffentlichte Titel nahelegte, war der Emeritus kein Co-Autor des Buches. Und anders als in Vorabberichten vermutet, war es Sarah – nicht Benedikt XVI. –, der versuchte, Franziskus von möglichen Kursänderungen abzubringen. Wer von Verlag, Kardinal und Privatsekretär im Vorfeld wen missverstanden hatte, blieb offen. Sarah widersprach einer Erklärung Gänsweins, Benedikt XVI. sei zu wenig informiert worden.
Das Buch „Des profondeurs de nos coeurs“(„Aus den Tiefen unserer Herzen“) mit Benedikts Beitrag war nur ein Beispiel in einer Reihe von Aktionen, die Gänsweins Engagement für Franziskus infrage stellten. In einem Aufsatz für das bayerische „Klerusblatt“gab der Alt-Papst der kulturellen 68erRevolution eine Mitschuld an Pädophilie und fuhr seinem Nachfolger in die Parade. Das geschah ausgerechnet nach dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan, bei der Franziskus eher die Machtstrukturen der katholischen Kirche als Ursache für Missbrauch von Kindern sah. Aufsehen erregte Gänswein auch 2016, als er sagte, Benedikt habe seinen Stuhl geräumt, doch den Petrusdienst mit seinem Rücktritt nicht verlassen.
In den Reihen der deutschen Bischofskonferenz sorgte auch ein Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“, das 2016 erschienen war, für Empörung. Gänswein sagte seinerzeit: „Die Gewissheit, dass der Papst als Fels in der Brandung, als letzter Anker galt, ist in der Tat ins Rutschen geraten. Ob diese Wahrnehmung der Realität entspricht und das Bild von Papst Franziskus richtig wiedergibt, oder ob das mehr ein mediales Gemälde ist, kann ich nicht beurteilen. Unsicherheiten, gelegentlich auch Konfusionen und ein Durcheinander sind allerdings gewachsen.“Dies wurde dem Erzbischof in Kirchenkreisen als Kritik, als Illoyalität gegenüber Franziskus ausgelegt.
Zwar passe in theologischen Fragen kein Blatt Papier zwischen Benedikt XVI. und Franziskus, bekräftigte Gänswein damals, um dann hinzuzufügen: „Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass durch die unterschiedliche Art und Weise der Darstellungen und Formulierungen gelegentlich daran Zweifel aufkommen könnten.“Auch diese Formulierung, die für den Laien harmlos klingt, für Kirchenvertreter aber als Hinweis auf tiefgehende Differenzen gilt, sorgte für Aufsehen und Stirnrunzeln.
Unter den deutschen Katholiken wurden Gänsweins und damit auch BenediktsWortmeldungen stets als Störfeuer empfunden. Denn dort ist der Streit zwischen progressiven und konservativen Kräften gerade voll im Gang: Die katholische Kirche hat am 1. Dezember einen auf zwei Jahre angelegten Reformprozess begonnen, den Synodalen Weg. Einer der vier Hauptpunkte ist dort auch der Zölibat.
Anders aber als etwa der frühere Leiter der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ließ Gänswein bisher öffentlich keinen Zweifel an seiner Loyalität gegenüber Franziskus aufkommen.
Dennoch geriet er mehrmals zwischen die Fronten, weil er maßgeblich den Zugang zum emeritierten Papst reguliert. Und unter dessen Besuchern und Korrespondenzpartnern gab und gibt es offenbar manch einen, der Benedikt XVI. in Distanz zu Franziskus bringen will. Dass Benedikt von diesen auch instrumentalisiert wird, kritisieren Kirchenkenner seit Langem. „Und sein Umfeld müsste das eigentlich zu verhindern wissen“, fordern die gleichen Kreise von Gänswein.
GänsweinsWerdegang ist untrennbar mit Benedikt XVI. verbunden. Und wird es bleiben, wie er in einer Anfang Januar gezeigten Dokumentation des Bayerischen Rundfunks über den früheren Papst aus Bayern bekannte. Der Rücktritt Benedikts XVI. 2013 war einer der tiefsten Einschnitte in seinem Leben. Früher war er nach eigenen Worten der „Schneepflug“, der Benedikt XVI. vor der täglichen Lawine von Anfragen schützte. Er entschied darüber, wer zum Papst vorgelassen wurde. Wie schwer es ihm fiel zu akzeptieren, dass „sein“Papst jetzt „Papa emeritus“ist, hat er in vielen Interviews berichtet.
Mit der spontanen Art des neuen Papstes aus Argentinien zurechtzukommen, fiel Gänswein anfangs nicht leicht, wie er selbst zugab. Gewöhnen musste er sich wohl ebenfalls daran, weniger Einfluss zu haben. Unter Franziskus zählte er nicht mehr zum Kreis der engsten Vertrauten.
Gänswein, der gerne Tennis spielt, wird nun mehr Zeit für den emeritierten Papst Benedikt haben. Und er dürfte seine Besuche im Südwesten intensivieren: Der Heimat blieb der aus dem Landkreis Waldshut stammende Gänswein stets treu – auch 35 Jahre nach seiner Priesterweihe in Freiburg. Seinen zwei Wochen dauernden Sommerurlaub und die Zeit nach Weihnachten verbringt er jedes Jahr im Schwarzwald.
Für den 63-Jährigen, der in den vergangenen Jahren mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen hatte, ist der Spagat zwischen zwei Männern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, nun vorbei: Hier der menschenscheue Intellektuelle aus Deutschland, der sich beim Klavierspiel und der Schäferhundserie „Kommissar Rex“entspannt. Dort der joviale Argentinier, der Fußball und Tango liebt. Und der nun die „normale Umverteilung der verschiedenen Aufgaben und Funktionen des Präfekten des Päpstlichen Hauses“anordnete. Dazu gehöre, so hieß es am Mittwoch aus der Pressestelle „auch die Rolle des Privatsekretärs des emeritierten Papstes“.
Die Rolle, die Georg Gänswein an der Seite von Benedikt XVI. einnahm, wird bei Papst Franziskus der 40 Jahre alte Gonzalo Aemilius, ein Priester aus Uruguay, ausfüllen. Aemilius’ Lebenslauf passt zum Pontifikat von Franziskus: Der argentinische Pontifex will eine Kirche für die Armen. Und Aemilius arbeitete mit Straßenkindern und Drogenabhängigen in Montevideo. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie aus Uruguay, hat eine jüdische Großmutter und nicht gläubige Eltern. Die Arbeit von Priestern mit Straßenkindern soll ihn so beeindruckt haben, dass er sich für ein Leben als Geistlicher entschloss. Mit ihm will Franziskus arbeiten: In einer „Mission bis an die äußersten Grenzen der Erde.“
„Die Gewissheit, dass der Papst als Fels in der Brandung galt, ist in der Tat ins Rutschen geraten.“
Georg Gänswein 2016 im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“