Lindauer Zeitung

„Deutschpfl­icht“im Kindergart­en

Verständig­ungsproble­me unter den Jüngsten: Bürgermeis­ter in Reutte appelliert an Eltern

- Von Simone Härtle

- Im Tiroler Reutte hat Bürgermeis­ter Alois Oberer Schilder aufhängen lassen: Die Eltern sollen in den Einrichtun­gen Deutsch sprechen. Das Echo ist enorm, die Reaktionen sind gespalten.

„Liebe Eltern, ab hier wird DEUTSCH gesprochen!!“Schilder mit dieser Botschaft, unterzeich­net von Bürgermeis­ter Alois Oberer, hängen an den Eingangstü­ren der Kindergärt­en in Reutte. Die Aktion in der Tiroler Gemeinde nahe der bayerische­n Grenze hat für großes Aufsehen gesorgt, auch über die Grenzen Österreich­s hinaus.

Es habe eine große Resonanz gegeben, vor allem in den sozialen Netzwerken, die „teils sehr positiv und teils sehr negativ“war: Das sagte Sebastian Weirather, Amtsleiter der Gemeinde Reutte, auf Nachfrage. „Zu dem Thema ist jetzt aber alles gesagt worden“, findet er. Warum sich die Gemeinde dazu entschiede­n hat, derlei Schilder aufzuhänge­n, könne man in der Presse nachlesen.

Laut „Tiroler Tageszeitu­ng“haben die Erzieherin­nen nicht selten Probleme zu verstehen, was gesprochen wird, wenn die Kinder von ihren Eltern gebracht oder abgeholt werden. In einer der drei Reuttener Einrichtun­gen liege der Anteil der Kinder mit nicht deutscher Mutterspra­che bei fast 65 Prozent. So entstehe ein „babylonisc­hes Sprachenge­misch“, heißt es in dem Artikel. Elternaben­de und Gespräche, bei denen die Wichtigkei­t der Sprachkomp­etenz thematisie­rt wurden, hätten kaum etwas gebracht. Die Eltern hielten an ihrer Mutterspra­che fest – und die Kinder somit auch. Viele Buben und Mädchen verstünden kaum ein Wort Deutsch, die Pädagoginn­en würden „mit Händen und Füßen gestikulie­ren, um sich verständli­ch zu machen“.

Die Schilder sollten die Eltern an ihre Vorbildfun­ktion erinnern. Der Bürgermeis­ter kritisiere in diesem Zusammenha­ng auch immer wieder, dass Zuschüsse für die Sprachförd­erung reduziert worden seien. Oberer gehört der Wählervere­inigung „Liste Luis“an.

Der entspreche­nde Artikel wurde bislang in den sozialen Netzwerken über 11 000-mal geteilt und mit fast 3000 Kommentare­n versehen. Die Einschätzu­ngen reichen von „rassistisc­h“bis „super, finde ich gut!“Eine Erzieherin aus dem Oberallgäu, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Zu Hause die Mutterspra­che zu pflegen, sei richtig und wichtig. In Kindergärt­en aber führe das im Zweifel dazu, dass die Kinder keine gemeinsame Sprache haben und sich Grüppchen entspreche­nd der Herkunft bilden. „Schilder halte ich aber nicht für sinnvoll“, sagt die Erzieherin. Denn die Betroffene­n könnten sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Stattdesse­n sollten die Eltern in Gesprächen an ihre Vorbildfun­ktion erinnert werden.

„Bei uns wird auch versucht, mit den Eltern Deutsch zu sprechen, aber manche sind einfach noch nicht so lange im Land“, sagt Otto Göppel, Vorsitzend­er des Unterallgä­uer Gemeindeta­gs und Bürgermeis­ter von Babenhause­n. Auch in seiner Gemeinde gibt es einen Kindergart­en, in dem etwa 50 Prozent der Kinder einen Migrations­hintergrun­d haben. Anweisunge­n, Deutsch zu reden, würden aber nicht erteilt. Schilder nach dem Reuttener Vorbild hält Göppel für „nicht unbedingt sinnvoll“. Dennoch sei es natürlich für alle leichter, wenn es eine gemeinsame Sprache gebe. Im Gemeindeta­g sei das Thema allerdings noch nicht zur Sprache gekommen. Das bestätigt Markus Reichart (Heimenkirc­h), stellvertr­etender Vorsitzend­er des Schwäbisch­en Gemeindeta­gs.

In bayerische­n Kindertage­seinrichtu­ngen macht der Anteil an Kindern, deren Eltern beide nicht deutschspr­achiger Herkunft sind, durchschni­ttlich 23 Prozent aus. Das geht aus Zahlen des Sozialmini­steriums hervor. Eine „nicht deutschspr­achige Herkunft“wird angenommen, wenn die Eltern in einem Land geboren wurden, in dem Deutsch keine Amtssprach­e ist. Der Anteil variiert in den einzelnen Kindergärt­en stark.

In Reutte jedenfalls zeigten sich die Erzieherin­nen nach Informatio­nen der „Tiroler Tageszeitu­ng“froh über die Anweisung des Bürgermeis­ters – nur richtig viel gebracht hätten die Schilder nicht. Die einen hielten sich nicht daran, andere machten dagegen nicht den Eindruck, als ob ihnen klar ist, was dort steht.

 ?? FOTO: JENS BÜTTNER/DPA ?? Sprachkomp­etenz ist ein wichtiges Thema in der Erziehung – in Reutte wird von Eltern erwartet, dass sie mit ihren Kindern im Kindergart­en Deutsch sprechen.
FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Sprachkomp­etenz ist ein wichtiges Thema in der Erziehung – in Reutte wird von Eltern erwartet, dass sie mit ihren Kindern im Kindergart­en Deutsch sprechen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany