„Daten-Tsunami“behindert europäischen Kampf gegen Extremisten
Sicherheitsbehörden beobachten eine wachsende Gefahr von rechts, doch beim Datenaustausch gibt es Probleme
Die Gefahr durch den Rechtsextremismus in Deutschland wächst nach Einschätzung von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesverfassungsschutz. Die Zahl der rechtsextremistischen Gefährder dürfte weit höher sein als bisher bekannt, sagte BKA-Präsident Holger Münch am Mittwoch beim Europäischen Polizeikongress in Berlin. Bisher gehen die Behörden von „nur“53 rechten Gefährdern aus, bei den Islamisten seien es mehr als zehnmal so viele. Gefährder sind Personen, denen die Polizei einen Anschlag oder andere Gewalttaten zutraut. Anhand der Biografien von Rechtsterroristen soll die Beurteilung bis Ende 2021 neu geregelt werden. Das ist wohl auch eine Lehre aus dem Mord an dem Kassler Regierungspräsidenten Lübcke und dem Angriff auf die Synagoge in Halle. In beiden Fällen hatten die Ermittler die mutmaßlichen Täter nicht als Gefährder eingestuft.
Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang schätzte, dass von den etwa 24 100 Rechtsextremisten in Deutschland etwa 12 700 gewaltbereit sind. Neben dem islamistischen Terror gehe die größte Gefahr im Land vom Rechtsextremismus aus, sagte Haldenwang. Demnach hat sich die rechte Szene weiter vernetzt und aufgespalten und reicht vom neokonservativen Hipster bis zum klassischen Skinhead. Die unterschiedlichen Milieus bedienten sich am „Wühltisch rechtsradikalen bis rechtsextremistischen Gedankenguts“, warnte Haldenwang. Eine große Bedeutung in der Radikalisierung spielt demnach Hass und Hetze im
Internet. Münch kündigte an, die Kriminalität im Internet stärker zu bekämpfen. Das BKA wolle eine entsprechende Zentralstelle aufbauen. Die Akteure sollten „aus der Anonymität gerissen“werden, sagte er. Anfang 2021 solle ein Pilotprojekt starten, das zügig ausgebaut werden soll. Münch rechnet mit „sechsstelligen Fallzahlen“.
Polizei im Daten-Tsunami
Die Zunahme von Hasskriminalität, Extremismus und Rechtsextremismus ist kein rein deutsches Phänomen. Vor diesem Hintergrund kündigte ein Vertreter des Bundesinnenministeriums an, nach Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 den Datenaustausch zwischen den Ländern verbessern zu wollen.
Das ist auch wohl dringend nötig, denn Menge ist nicht gleich Qualität. „Wir haben einen Tsunami an Daten“, kritisierte der EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove.
Der Chef des österreichischen Bundeskriminalamts, Franz Lang, wagte eine düstere Prognose: Nach dem nächsten Anschlag in Europa werde sich erneut herausstellen, dass es über den Täter im Vorfeld Informationen gegeben habe. Man müsse „die vielen, vielen Daten, die wir alle haben, zusammenführen“, appellierte Lang an seine europäischen Kollegen. Dann werde europaweit eine „hohe fünfstellige Zahl“von Personen auffallen, glaubt er.
Bis dahin ist es aber noch weit: Zwar präsentierten am Rande des Kongresses IT-Firmen Programme zur Zusammenführung von Daten aus Internetnetzwerken, Polizeidateien, Überwachungskameras und Autosensoren. Technisch machbar ist vieles, doch rechtlich und ethisch gibt es viele Grenzen. Auch beim internationalen Austausch hapert es, denn es herrscht Misstrauen vor der Weitergabe: „Wir alle haben Angst vor den riesigen Datencontainern in Brüssel, wo wir alles verklappen sollen“, sagte Lang.