Guter Wasserstoff, böser Wasserstoff
Das Gas ist eine Voraussetzung für die Energiewende – Experten streiten um die Gewinnung
- Als Energieträger für Industrie, Verkehr und Heizen soll Wasserstoff in einer umweltfreundlichen Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Hier sind sich Politiker, Forscher und Unternehmen weitgehend einig. Doch derzeit entbrennt ein Streit darüber, wie das Gas zu gewinnen ist. In Fachkreisen haben die verschiedenen Methoden dabei ihre jeweiligen Spitznamen erhalten. Die Rede ist von grauem, blauem, oder grünem Wasserstoff – plus einigen weiteren Farben wie Türkis und Schwarz. Diese Bezeichnungen sind dabei rein symbolisch gemeint: Der Brennstoff an sich ist stets farb- und geruchlos.
Noch in diesem Monat will die Bundesregierung ihre offizielle Wasserstoffstrategie vorstellen. Das verschärft den Streit, denn Vertreter aller Seiten hoffen auf eine Weichenstellung in ihrem Sinne. Das Wirtschaftsministerium hat seinen Entwurf für die nationale Strategie dabei bereits fertiggestellt. Jetzt sollen die anderen Ministerien Änderungen einbringen.
Der Plan des Wirtschaftsministeriums sieht vor, nicht nur Wasserstoff aus Ökostrom, den „grünen“Wasserstoff, einzusetzen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit soll auch die blaue Variante eine Rolle spielen. Die Gewinnungsmethode, die dahintersteckt, ist jedoch umstritten: Der blaue Wasserstoff wird in Raffinerien aus Erdgas abgespalten. Denn Methan, der Hauptbestandteil des Erdgases, ist eine Verbindung aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Der Kohlenstoff lässt sich chemisch abtrennen.
Dabei entsteht zunächst das, was die Experten „grauen“Wasserstoff nennen. Denn bei der Abspaltung wird Kohlendioxid frei, das bekannte Treibhausgas. Wenn dieses Nebenprodukt in die Umwelt gelangt, schadet es dem Klima. „Blau“wird der Wasserstoff erst durch den nächsten Schritt. Die Pläne sehen vor, das Kohlendioxid in unterirdische Lagerstätten zu pressen. Dort soll es für alle Ewigkeit bleiben, ohne zum Treibhauseffekt beizutragen.
Dieser blaue Wasserstoff gilt dem Wirtschaftsministerium zwar nicht als ideale, aber doch als gute Teillösung für den Übergang. Schließlich muss der Wasserstoff irgendwo herkommen, wenn die Abkehr von der Ölwirtschaft schnell gehen soll. Und Erdgas steht reichlich zur Verfügung. Im vergangenen Oktober hat das Wirtschaftsministerium den blauen Wasserstoff daher ausdrücklich als „CO2-neutralen Energieträger“eingeordnet.
Das Umweltministerium hat jedoch Zweifel an dem Verfahren, wie in Berlin zu hören ist. Die Nutzung von Erdgas markiere eben keine Abkehr von den fossilen Brennstoffen. Es sei grundsätzlich besser, von Anfang an vor allem auf grünen Wasserstoff zu setzen. Zur Herstellung von grünem Wasserstoff wird Wasser in seine Bestandteile zerlegt. Übrig bleibt Sauerstoff. Die Energiequelle dafür soll reiner Ökostrom sein. Der grüne Wasserstoff würde also aus Anlagen in der Nähe von Windparks und Solarfeldern kommen.
Eine neue Studie des Energieversorgers Greenpeace Energy gibt nun den Kritikern des blauen Wasserstoffs
recht. Die Nachteile fangen demnach schon bei der Förderung an: Methan selbst ist ein starkes Treibhausgas – und bei der Erdgasproduktion entweicht immer etwas davon in die Luft. Der Transport der Gase – ob in Pipelines oder auf Tankern - wiederum verbraucht viel Energie.
In der Summe entstehen zwar nur ein Drittel der Emissionen, die derzeit bei der herkömmlichen Herstellung aus dem deutschen Strommix anfallen. Es handelt sich aber immer noch um eine beträchtliche Menge an klimaschädlichen Substanzen, die im Zusammenhang mit blauem Wasserstoff freiwerden.
Die Aufbewahrung des Kohlendioxids sieht Greenpeace Energy ebenfalls kritisch. Sie füllt Lagerstätten, die unsere Zivilisation künftig möglicherweise viel nötiger braucht – beispielsweise, um Gase aus anderen Prozessen loszuwerden.
Greenpeace Energy befürchtet nun, dass die Pläne des Wirtschaftsministeriums der Entwicklung des grünen Wasserstoffs schaden. „Das
Projekt der Energiewende steht vor wichtigen politischen Weichenstellungen“, so die Studie zu den Umweltfolgen des blauen Wasserstoffs. Wenn einmal die Investitionen in die Erdgas-Abspaltung und CO2-Einlagerung erfolgt sind, falle die Korrektur zur Herstellung aus Ökostrom umso schwerer. Der blaue Wasserstoff ist nach dieser Lesart nur ein Trick der petrochemischen Industrie, die Nutzung von Erdgas möglichst lange am Leben zu halten.
Ein klarer Befürworter der Idee des blauen Wasserstoffs ist dagegen der große Gasnetzbetreiber Open Grid Europe aus Essen. Das Unternehmen kann sich vorstellen, seine Leitungen künftig zum Transport von Wasserstoff zu verwenden. Um der Industrie in kurzer Zeit genug von dem Rohstoff zur Verfügung stellen zu können, sei jedoch die massenhafte Gewinnung aus Erdgas unverzichtbar. Der Ökostrom reicht schließlich bisher nicht ansatzweise, um den Bedarf an Elektrizität zu decken – von Überschüssen zur Wasserstoffherstellung ganz zu schweigen.