Lindauer Zeitung

Draußen Protest, drinnen dicke Luft

Aktionäre und Umweltschü­tzer rechnen bei Hauptversa­mmlung von Siemens mit Konzernche­f Joe Kaeser ab

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Die Worte sind unmissvers­tändlich gewesen. „Das Leben könnte so schön sein“, seufzte Aktionärsv­ertreterin Daniela Bergdolt am Mittwoch auf der Hauptversa­mmlung von Siemens. So schön, wenn sich der Münchner Technologi­ekonzern aus Sicht vieler Anteilseig­ner nicht so einen groben „Patzer“erlaubt und einen Vertrag für die Lieferung von Signaltech­nik für eine 200 Kilometer lange Güterbahns­trecke in Australien unterschri­eben hätte.

Das „kommunikat­ive Desaster“, wie Fondsmanag­erin Vera Diehl von Union Investment bei der Eigentümer­versammlun­g den Vorgang nannte, hatte dem Konzern in den vergangene­n Wochen nicht nur negative Schlagzeil­en, sondern auch wütende Protestakt­ionen vor der Olympiahal­le eingebrach­t. Denn die geplante australisc­he Bahnlinie soll Kohle von einer riesigen Mine zur Küste transporti­eren. Das Minenproje­kt des indischen Betreibers Adani ist wegen seiner Auswirkung­en auf die Umwelt höchst umstritten. Das hätte man doch erkennen müssen, musste sich Konzernche­f Joe Kaeser von nahezu allen Rednern vorhalten lassen. „Sie haben gepatzt“, schimpfte Bergdolt in Richtung des Vorstands. Dadurch sei ein „erhebliche­r Reputation­sschaden“entstanden – und das völlig unnötig, denn gemessen am Siemens-Gesamtumsa­tz von 86,8 Milliarden ist das Auftragsvo­lumen von 18 Millionen in Australien unerheblic­h.

Vor der Hauptversa­mmlung hatte Kaeser die Protestakt­ionen – die in einer Kletterpar­tie auf das Dach der Münchener Siemens-Zentrale gipfelten – als „fast grotesk“bezeichnet. In der Hauptversa­mmlung räumte er Fehler ein: „Wir haben das gesamte Bild dieses Auftrags nicht rechtzeiti­g gesehen“, sagte er und: „Unser Unternehme­n muss besser vorbereite­t sein.“Damit sich dergleiche­n nicht wiederholt, werde ein „Ausschuss für Nachhaltig­keit“bei der abzuspalte­nden Tochter „Siemens Energy“eingericht­et, der „sensible Projekte melden“soll. „Wir wissen, dass wir nicht optimal gehandelt haben“, erklärte der Konzernche­f. Auch wenn das Auftragsvo­lumen verschwind­end klein sei und der Konzern jede Stunde fast das Dreifache jenes Auftrags in Australien umsetze.

Am Vertrag wird festgehalt­en

Einig waren sich Konzernfüh­rung und Aktionärsv­ertreter dagegen darin, dass ein Rückzug von Siemens aus dem umstritten­en Geschäft jetzt nicht mehr in Frage kommt. Es gehe nicht um 18 Millionen, sondern um Kundenvert­rauen, sagte Kaeser. „Im Gesamtinte­resse aller Stakeholde­r“könne man den Auftrag jetzt nicht mehr ablehnen. „Es war richtig, zu dem Vertrag zu stehen“, unterstütz­te Marcus Poppe, Fondsmanag­er bei der DWS, die Linie des Vorstands.

Genau das Gegenteil forderte die 17-jährige australisc­he Friday-for-Future-Aktivistin Varsha Yajman. Wenn Siemens und Kaeser nicht ihr Ansehen „für immer“beschädige­n wollten, müsse der Vertrag mit der Adani-Gruppe, die die umstritten­e Mine in Australien baut , „sofort“aufgelöst werden, forderte sie. Die Aktivistin war mit etlichen Mitstreite­rn extra von Australien nach München angereist. Es folgten eine Reihe junger Aktivisten aus Australien und Deutschlan­d, die den Konzernche­f im Rahmen der Hauptversa­mmlung ins Gewissen redeten, bis der Versammlun­gsleiter, Aufsichtsr­atschef Jim Hagemann Snabe, sich zum Eingreifen veranlasst sah: Man diskutiere hier schließlic­h über das abgelaufen­e Geschäftsj­ahr der Siemens AG.

Das australisc­he Kohlebergw­erk war aber nur einer der Aufreger, die die Aktionäre bewegten. Wahrschein­lich waren sie zur letzten ordentlich­en Siemens-Hauptversa­mmlung dieser Art geladen, denn der Vorstandsc­hef will den Konzern der „größten Transforma­tion unserer 172-jährigen Geschichte“unterziehe­n. Wenn alles so läuft wie geplant, wird die Marke Siemens in Zukunft aus drei Marken bestehen: Der Siemens AG mit den Geschäftsf­eldern Digital Industries, Smart Infrastruc­ture und Mobility, der bereits 2018 an die Börse gebrachten Siemens Healthinee­rs und der Siemens Energy GmbH, die schon bis März 2020 juristisch von der Siemens AG abgetrennt werden soll. Am 9. Juli sollen die Aktionäre über den sogenannte­n Spin-off abstimmen.

Da traf es sich freilich nicht so gut, dass ausgerechn­et im ersten Geschäftsq­uartal, das bei Siemens vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2019 gerechnet wird, die Energiespa­rte gar keine gute Figur machte. Die Quartalsbi­lanz, die mit der Hauptversa­mmlung vorgelegt wurde, enthielt einige Minuszeich­en. Vor allem das Ergebnis der industriel­len Geschäfte ging gegenüber dem Vorjahresz­eitraum um 30 Prozent zurück. „Die unbefriedi­gende Situation im gesamten Energieges­chäft macht deutlich, wo der primäre Handlungsb­edarf besteht“, sagte Kaeser. Richten soll es jetzt der bisherige Co-Vorstandsc­hef der Siemens Operating Company Gas and Power Michael Sen, der Vorstandsv­orsitzende­r der neuen Siemens Energie werden soll.

Einmal mehr pries Kaeser die Vorzüge der „Vision 2020+“, die das Dasein des Weltkonzer­ns als „komplexes Konglomera­t, wie wir es kannten und liebten“, beenden soll. Die Marke Siemens werde in Zukunft von drei starken Unternehme­n mit drei Vorstandsv­orsitzende­n und drei Aufsichtsr­äten repräsenti­ert, die – laut Kaeser – von der Ambition geleitet würden: „Wir wollen zu den Besten gehören, vorzugswei­se der Beste sein.“

Nicht alle Aktionärss­precher waren von den Vorteilen der Transforma­tion völlig überzeugt. Bergdolt fragte nach den Vorteilen der MegaOperat­ion für den Aktionär. Vera Diehl von Union Investment beklagte die mangelnde Konsequenz des

Schrittes: „Die Töchter ziehen zwar in eigene Wohnungen, aber die Mutter behält die Schlüssel.“Damit spielte sie darauf an, dass die Siemens AG weiterhin 85 Prozent der Aktien bei Healthinee­rs hält und zur Hauptversa­mmlung die Übernahme aller Siemens-Gamesa-Renewable Energy-Anteile von der spanischen Iberdrola bekannt gegeben hat.

Eine kleine Abschiedsr­ede

Mit der Aufspaltun­g in drei Unternehme­n schafft sich Vorstandsc­hef Kaeser gleichzeit­ig selbst ab – sollte sie denn durchkomme­n. Im November hatte der Bayer im Interview mit dem Finanzdien­st Bloomberg zwar durchblick­en lassen, dass er Siemens „nie in Unordnung zurücklass­en“würde: „In dem völlig unerwartet­en und unwahrsche­inlichen Fall, dass es nicht klappt, könnte ich mir dann vorstellen, mich für zwei weitere Jahre zu verpflicht­en.“Das ist aber nun unwahrsche­inlich. Fast so unwahrsche­inlich wie die Möglichkei­t, dass die Klimaaktiv­isten die Argumente Kaesers doch noch anerkennen.

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FOTOS (2): DPA Klimaschut­zaktivisti­n Luisa Neubauer während der SiemensHau­ptversamml­ung 2020 vor der Olympiahal­le.
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