Landwirt dankt Tierschützern
Richter im Schweineskandal-Prozess sieht im vorinstanzlichen Urteil „schwerwiegende handwerkliche Mängel“
- Überraschende Wendung im Berufungsprozess vor dem Landgericht Ulm um die verheerenden Zustände in einem Merklinger Schweinemastbetrieb: Der angeklagte Landwirt ließ seine Verteidigerin eine von ihm verfasste Erklärung vorlesen. In dieser dankte er der Tierschutzorganisation „Soko Tierschutz“im Allgemeinen und dem Aktivisten Friedrich Mülln im Besonderen. Folgendes ließ er verlesen: „Ich möchte mich bei der Soko Tierschutz und Herrn Mülln bedanken, dass sie die Zustände öffentlich gemacht haben. Wer weiß, wie es sonst mit mir und meiner Familie weitergegangen wäre.“
Weiter hieß es in der Einlassung: „Meine Familie darf nicht für meine Taten verantwortlich gemacht werden. Bitte lassen Sie meine Familie in Ruhe, sie hat genug durchgemacht durch mich.“Die ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Taten, ließ er verkünden, räume er voll umfänglich ein.
Der 56-jährige Landwirt war am 15. März 2019 vor dem Ulmer Amtsgericht zu einer Höchststrafe von drei Jahren Haft sowie einem lebenslangen Tierhaltungsverbot verurteilt worden. Das Gericht wolle in dem „krassesten“Fall von Tierquälerei in der Bundesrepublik Deutschland aber ein „Exempel statuieren“, sagte damals Richter Oliver Chama in seiner Urteilsverkündung. Mehr als 1600 Tiere hätten sterben müssen, weil sie behandelt wurden „wie der letzte Dreck“. Chama sprach von „Massentierhölle“statt Massentierhaltung. Er wolle mit diesem Urteil abschrecken und einer „organisierten Agrarkriminalität“vorbeugen: „Gesetze gelten auch im Schweinestall“, sagte er – da würden sich auch die persönlichen Umstände des Angeklagten nicht strafmildernd auswirken.
Gerade diese Strafmilderungsgründe habe das Amtsgericht aber nicht ausreichend berücksichtigt, argumentierte sowohl die Verteidigerin des Landwirtes als auch die Staatsanwaltschaft. Beide legten unabhängig voneinander Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Beide hatten sich für deutlich mildere Strafen ausgesprochen: Die Staatsanwaltschaft forderte zwei Jahre Haft, die Verteidigung nur ein Jahr und acht Monate – in beiden Fällen sollte die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden.
Bei einem Berufungsverfahren wird das Urteil durch ein übergeordnetes Gericht, in diesem Fall das Landgericht, in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht überprüft. Dazu tritt das Gericht gegebenenfalls in die Beweisaufnahme ein, bewertet also Beweise und Indizien, Dokumente und Zeugenaussagen für sich neu – und fällt möglicherweise ein anderes Urteil als die Vorinstanz. Neben dem Rechtsmittel der Berufung gibt es auch das der Revision. Dabei gibt es keine weitere Untersuchung der Umstände des Falles, lediglich das angefochtene Urteil wird auf Rechtsfehler geprüft.
Zu Beginn des Berufungsverfahrens am Ulmer Landgericht attestiert Richter Tobias Maestle dem erstinstanzlichen Urteil „schwerwiegende
handwerkliche Mängel“. „Deswegen wäre eine Revision vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wahrscheinlich erfolgreich gewesen“, sagte er.
Ein gerichtlich bestellter Gutachter soll klären, ob sich der Landwirt in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit befand, als er die von ihm eingeräumten Taten beging. In seiner Erklärung erwähnte er jedenfalls mehrere schwerste Schicksalsschläge, die er nie habe bewältigen können. Auch habe er sich keine professionelle Hilfe von Therapeuten geholt. „Es musste schließlich alles weitergehen“, lässt er sich von seiner Anwältin zitieren. So habe er unter anderem den Suizid seines jüngeren Bruders als auch später den Suizid seines Vaters miterlebt beziehungsweise danach die Familie zusammenhalten müssen. Ein einschneidendes Erlebnis sei auch die Vernichtung
des Bauernhofes durch einen Blitzschlag im Jahr 2012 gewesen. Obwohl er Feuerwehrmann war, habe er den Flammen hilflos gegenübergestanden und schwere Brandverletzungen erlitten.
„Raum, Schwächen zuzulassen, gab es nicht“, sagte er. Er habe „ein Heile-Welt-Bild für die Familie erlogen und erstunken“, das er schließlich nicht mehr aufrechterhalten konnte, bis ihn die Tierschützer anzeigten.
Friedrich Mülln, der Tierschützer, der im Oktober 2016 mit seinen heimlich aufgenommenen Videos und Bildern die schockierenden Zustände in dem Mastbetrieb aufdeckte, sagte vor Gericht: „Ich bin einiges gewöhnt, aber sowas habe ich noch nie gesehen.“Er hatte den Betrieb mehrfach nachts „besichtigt“, Bilder und Videos gemacht und zwei Kameras versteckt aufgestellt. Das Bildmaterial
wurde im Gericht gezeigt.
In einer besonders verstörenden Sequenz ist zu sehen, wie der Landwirt zwei Ferkel mit einem Vorschlaghammer tötet. Das Ganze geschieht zwischen zwei Ställen neben einigen toten Schweinen, die von einer schwarzen Plastikplane notdürftig abgedeckt werden. Der Tierschützer spricht auch von konstantem Leid, das den Tieren zugefügt wurde, beispielsweise durch die wegen Überbelegung zu engen Ställe und die wegen einer defekten Lüftungsanlage mit Ammoniak gesättigte Luft. Zudem hätten sehr viele Tiere schwere Verletzungen wie abgebissene Schwänze und Ohren aufgewiesen.
Rund 75 Tierschützer demonstrierten am Mittwoch vor dem Gerichtsgebäude an der Ulmer Olgastraße. Sie fordern weiterhin eine Haftstrafe.