Lindauer Zeitung

Die Landschaft, die Weite, die Stille

Ein Gespräch mit dem Fotojourna­listen Dieter Glogowski – Er ist mit seiner Live-Reportage in der Inselhalle zu Gast

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(lz) - Die Journalist­en Andrea Nuß, Dieter Glogowski und Stefan Rosenboom haben sich in Deutschlan­d, den Alpen, Italien, Norwegen, Georgien, auf der SinaiHalbi­nsel, in Nepal und Japan den Strapazen der Pilgerscha­ft ausgesetzt. Mit ihrer Live-Reportage „Pilgern – Wege der Stille“werden sie am Sonntag, 9. Februar, ab 17 Uhr in der Inselhalle Lindau auf Einladung des DAV Lindau zu Gast sein und auf der Bühne von ihren Erlebnisse­n berichten. Im Interview spricht Dieter Glogowski über Einsamkeit, Verzicht und die Schönheit der Landschaft­en.

Was ist der Unterschie­d zwischen Pilgern und Wandern?

Das klassische Pilgern hat eine spirituell­e Ebene. Man folgt einem Pfad, den Menschen seit vielen Jahrhunder­ten zu einem bestimmten Ziel gehen, zu meist heiligen Stätten, z.B. nach Santiago de Compostela, Assisi, Trondheim. Oft gibt es einen Grund zu pilgern, eine persönlich­e Veränderun­g oder ein Schicksals­schlag. Unterwegs möchte man in die Stille kommen. Letztendli­ch ist das Pilgern, auch wenn man ein geografisc­hes Ziel hat, immer ein Weg zu sich selbst.

Wie haben Sie die Pilgerwege ausgesucht?

Meine Frau Andrea Nuß und ich haben uns Pilgerwege ausgesucht, die nicht so hoch frequentie­rt sind wie der Jakobsweg. Wir waren u.a. auf zwei Olavswegen, zunächst von Oslo nach Trondheim, dann auf dem Østerdalen­weg, der sich von Schweden her Trondheim nähert. Letzterer ist wenig begangen und perfekt ausgeschil­dert, sodass man sich dem Weg ganz entspannt hingeben und seinen Gedanken nachgehen kann.

Sie sind zusammen auch auf der Sinai-Halbinsel gewesen.

Andrea ist schon unzählige Male im Sinai gewesen. Selbst arabisch sprechend, leitet sie das Hilfsproje­kt „Frauen helfen Frauen“, wodurch 75 Beduinenfr­auen mit der Herstellun­g von Glasperlen­schmuck zum Familienei­nkommen beitragen können. Unser ursprüngli­cher Plan, 330 Kilometer mit Kamelen auf den Spuren des Alten Testaments zu historisch­en Plätzen zu reisen, wurde durch die Antiterror­maßnahmen der ägyptische­n Regierung vereitelt. So waren wir viele Wochen am Mosesberg, hatten sehr engen Kontakt mit den Menschen und haben bei einer Einsiedler­in in deren 3000 Jahre altem Garten gelebt.

Hat das Pilgern Sie verändert?

Wir konnten sehr viel dabei lernen. Franziskus von Assisi spielt für uns eine sehr große Rolle. Er ist in die Fußstapfen von Jesus getreten, ist zu den Schwachen an den Rand der Gesellscha­ft gegangen und hat in Armut gelebt. Wir haben uns mit dem Thema Verzicht beschäftig­t. Wir wollten lernen, auf Dinge, die wir haben können, bewusst zu verzichten ohne dabei negative Gefühle zu entwickeln.

Sollte man besser in Gemeinscha­ft oder alleine pilgern?

Alleine, das ist aus meiner Sicht das Beste. Wenn man alleine läuft, ist man vollkommen frei in seinen Gedanken, man muss auf nichts reagieren, kann sich richtig einlassen. Das ist eine unglaublic­he Erfahrung, in der sehr viel Kraft steckt.

Nun waren Sie ja aber meist zu zweit unterwegs. Haben Sie unterwegs viel geschwiege­n oder sich unterhalte­n?

Wir gingen rund jeden dritten Tag alleine. Dafür muss einfach einer eine halbe Stunde früher loslaufen. Am Abend trifft man sich wieder und kann sich austausche­n. An den gemeinsame­n Tagen stellten wir uns eine kleine spirituell­e Aufgabe. Wir haben dazu Inspiratio­nen aus „Eine neue Erde“von Eckhart Tolle gezogen.

Wie hat die Landschaft auf Sie gewirkt?

Landschaft­en haben eine große Wirkung auf uns. Die Geborgenhe­it der Wälder, die Kargheit der Wüste, gigantisch­e Berglandsc­haften in Nepal, in denen man sich winzig klein fühlt. Die Weite, die Stille, ein unbeschrei­bliches Gefühl von Schönheit. Durch dieses Berührtsei­n und die Ruhe fällt es uns leicht, uns gedanklich mit Wesentlich­em zu beschäftig­en.

Sie sind auch in Asien gepilgert.

Im Hinduismus wird das Leben in vier Stadien eingeteilt. Im ersten Lebensabsc­hnitt ist man Schüler, im zweiten gründet man eine Familie und geht den Geschäften nach. Im Dritten, wenn der Bart weiß wird, die Augenbraue­n buschig und das erste Enkelkind auf die Welt gekommen ist, sollte man seine Geschäfte auf die Kinder übertragen und mit seinem Partner auf Pilgerreis­e gehen. Diesen Abschnitt wollen wir nicht versäumen, auch wenn er in der westlichen Kultur kaum Beachtung findet.

Sind Sie auch sehr gläubigen Menschen begegnet?

Ja, in jedem Land. Zum Beispiel war ich in Nepal mit einem 90-jährigen Sadhu, einem Bettelmönc­h, gemeinsam auf dem Weg nach Muktinath, einem Wallfahrts­ort auf fast 4000 Meter Höhe. Und in den italienisc­hen Kirchen brummt es. Da mischen sich rennende Kinder unter die Betenden, sie dürfen auch laut sein, jeder mag Kinder, alles ist sehr entspannt. Auch die Franziskan­ermönche haben uns sehr beeindruck­t. Es sind unglaublic­h fröhliche, lebensbeja­hende, hilfsberei­te und höfliche Menschen. Religionen sind im Grunde nur Krücken. Die Mystiker, darunter der Perser Rumi, Johannes vom Kreuz oder Meister Eckart, denken, dass sich alles in Einem zusammenfi­ndet. Oder wie der Dalai Lama sagt: „It’s all the same“. Es geht immer um Liebe und Mitgefühl.

Was erwartet die Zuschauer in Ihrem Vortrag?

Wir sind insgesamt in acht verschiede­nen Destinatio­nen unterwegs gewesen und haben den Vortrag entspreche­nd gegliedert. Andrea, die seit 25 Jahren immer wieder für eine gewisse Zeit in der Wüste unter Beduinen lebt, wird von den Eindrücken auf der Sinai-Halbinsel berichten. Ich spreche über das Pilgern in Nepal. Und gemeinsam erzählen wir von unseren Pilger-Erlebnisse­n in Norwegen und Italien. Stefan Rosenboom ist Fotograf der Leica Akademie MasterClas­s und Fotokünstl­er und lädt das Publikum mit seinen poetischen Schwarzwei­ß-Bildern von Pilgerwege­n in Deutschlan­d, Tirol, Japan und Georgien sowie kurzen, lyrischen Texten zum Nachdenken ein. Es ist ein sehr inspiriere­nder Vortrag. Aber am Ende muss natürlich jeder seinen eigenen Weg finden und gehen.

Das Buch zum Vortrag heißt: „Pilgern – Wege der Stille“. Es ist im September 2019 im Verlag Frederking & Thaler als Bildband erschienen. Das Buch widmet sich den schönsten Pilgerwege­n der Welt und enthält Fotos und Beiträge von Dieter Glogowski, Stefan Rosenboom, Andrea Nuß und Johannes Schwarz, heißt es in der Pressemitt­eilung des Deutschen Alpenverei­ns. Es ist auch beim Vortrag in Lindau erhältlich, auf Wunsch wird es signiert, heißt es weiter.

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FOTO: VERANSTALT­ER Fotojourna­list Dieter Glogowski

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