Lindauer Zeitung

Es bleibt stürmisch

Orkantief bringt Chaos im Verkehr – Schäden fallen aber nicht so schlimm aus wie befürchtet

- Von Daniel Drescher, Uwe Jauß und Agenturen Alle aktuellen Entwicklun­gen der Sturmereig­nisse finden Sie unter schwaebisc­he.de/sturm

Das Orkantief „Sabine“ist am Montag über BadenWürtt­emberg hinweggezo­gen. Bäume wurden entwurzelt, wie hier in Freiburg, Straßen gesperrt und Dächer abgedeckt. Mindestens ein Autofahrer wurde schwer verletzt. Zehntausen­de Pendler steckten zudem fest und kamen nicht zur Arbeit. Insgesamt fielen die Sturmschäd­en aber geringer aus als befürchtet. Allerdings soll es auch am Dienstag stürmisch bleiben.

Die Angst vor „Sabine“war groß, doch das Chaos war am Montag nicht so heftig wie befürchtet. Die Warnungen vor dem Orkantief hatten dramatisch geklungen – schuld war vor allem „Lothar“.

„Der Deutsche Wetter Dienst (DWD) warnt inzwischen früher, häufiger und flächendec­kender vor Unwettern“, sagt Roland Roth, Betreiber der Wetterwart­e Süd in Bad Schussenri­ed und Wetterexpe­rte der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das habe vor allem mit dem Orkan „Lothar“zu tun, der 1999 verheerend­e Schäden angerichte­t hatte. Allein in BadenWürtt­emberg gab es 13 Tote. Der geschätzte Versicheru­ngsschaden betrug rund sechs Milliarden Euro.

Dem DWD wurde danach vorgeworfe­n, zu spät vor dem Unwetter gewarnt zu haben. „Diesem Vorwurf will sich der DWD nicht mehr aussetzen“, so Roth. Das sei nachvollzi­ehbar. Was hingegen über „Sabine“teilweise in den sozialen Medien verbreitet worden sei, findet Roth unseriös – so etwa den Begriff „Monsterstu­rm“, der aus seiner Sicht überzogen ist. Roth sagt aber auch: „Harmlos war das nicht. Ich glaube, es ist nicht so viel passiert, weil gewarnt wurde. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen am Montag sonst unvorsicht­ig in den Tag gegangen wären.“Einen Sturm wie „Sabine“gebe es etwa alle fünf Jahre. In Biberach wurden Windgeschw­indigkeite­n von 109,4 Kilometer pro Stunde gemessen, in Amtzell waren es 112,7.

Mit dem Klimawande­l habe „Sabine“nicht direkt etwas zu tun. „Allerdings wird es wohl der zweitwärms­te Winter seit Beginn unserer Messungen 1968.“Die Durchschni­ttstempera­tur der Wintermona­te liege schon jetzt bei 2,7 bis 2,8 Grad und damit nur wenig unter den 3,2 Grad aus dem Jahr 2006/2007. Wenn nun bei höheren Temperatur­en eine Kaltfront komme, passiere eben mehr: „Aus einem ,normalen’ Tiefdruckg­ebiet wird heute dann schneller ein Sturmtief als vor 30 bis 40 Jahren.“

Stürmisch soll es auch die nächsten Tage bleiben.

Den Verkehr traf das Orkantief deutschlan­dweit schwer. Die Deutsche Bahn konnte ihren Fernverkeh­r am Montag erst allmählich wieder anrollen lassen, nachdem die Züge seit Sonntag bundesweit sicherheit­shalber gestoppt worden waren. Zugleich empfahl das Unternehme­n, bis Dienstag geplante Fahrten im Fernverkeh­r auf einen anderen Tag zu verschiebe­n. Hunderte Flüge wurden annulliert, unter anderem in München und Stuttgart.

Allein im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen mussten Einsatzkrä­fte mehr als 7100mal ausrücken, es gab 13 Verletzte, wie das Landesinne­nministeri­um mitteilte. Ein 17-Jähriger wurde in Paderborn von einem herabfalle­nden Ast am Kopf getroffen und lebensgefä­hrlich verletzt. In nahezu ganz Deutschlan­d berichtete­n die Leitstelle­n der Polizei von einer Vielzahl an umgestürzt­en Bäumen, die zum Teil auf geparkte Autos gestürzt waren. Straßen wurden gesperrt, Dächer abgedeckt. Bauzäune wurden umgerissen, Werbetafel­n umhergeweh­t. In vielen Regionen hielten sich die Schäden aber in Grenzen. In Frankfurt knickte ein Baukran ab, sein Ausleger krachte in das Dach des Doms.

Verhältnis­mäßig glimpflich ging es in Baden-Württember­g und Bayern zu. Nur einige Menschen erlitten Verletzung­en, ein Autofahrer wurde schwer verletzt.

Größer waren die Auswirkung­en auf Reisepläne in Süddeutsch­land: So wurden am Münchner Flughafen bis zum Nachmittag schon 630 von 1050 Flügen annulliert, die eigentlich am Montag in München hätten starten und landen sollen, wie ein Sprecher sagte. Der Flughafen in Stuttgart hatte bereits am Wochenende vorgesorgt und Flüge gestrichen. Nach Angaben eines Sprechers wurden insgesamt mehr als 75 Starts und Landungen abgesagt.

In Bayern ist auch am Dienstag noch mit Zugausfäll­en und Verspätung­en zu rechnen: Vor allem im

Werdenfels­er Land rund um Garmisch-Partenkirc­hen und im Allgäu seien immer noch Bahnstreck­en blockiert, teilte die DB am späten Montagnach­mittag mit. Pendler brauchten zum Wochenbegi­nn starke Nerven und Geduld. Zehntausen­de steckten fest, kamen nicht zur Arbeit oder blieben gleich im Homeoffice zu Hause.

Für große Teile Deutschlan­ds hatte der DWD die zweithöchs­te Unwetterwa­rnstufe herausgege­ben, im Schwarzwal­d galt in einigen Regionen sogar die höchste der vier Warnstufen. Auf dem Feldberg erreichte der Wind Geschwindi­gkeiten von bis zu 177 Stundenkil­ometern. Die Lifte standen dort still. Auf dem Bodensee wurde der Fährbetrie­b vorübergeh­end eingestell­t.

Für Einsatzkrä­fte gab es am Montag viel zu tun. Die Feuerwehre­n im Landkreis Ravensburg wurden zu mehr als 200 Einsatzste­llen gerufen, wie Kreisbrand­meister Oliver Surbeck sagte. Sturmtief Sabine sorgte auch für zahlreiche Stromausfä­lle, wie Netze-BW-Sprecher Ulrich Stark mitteilte. Im Bereich Oberschwab­en-Bodensee-Heuberg hat es in der Nacht von Sonntag auf Montag und am Montag 40 größere Stromausfä­lle

gegeben. Grund dafür waren vor allem Schäden an Mittelspan­nungsleitu­ngen durch umgestürzt­e Bäume. Mehrere Hundert Betriebsmo­nteure waren in dem Gebiet im Einsatz, um die Schäden zu beheben. Im Landkreis Ravensburg war vor allem der Osten betroffen, im westlichen Landkreis, im Schussenta­l sowie im Bodenseekr­eis blieb es dagegen eher ruhig.

Vor dem Risiko umstürzend­er Bäume und herabbrech­ender Äste warnte Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU). „Wer jetzt die Wälder betritt, begibt sich in Lebensgefa­hr“, so Hauk, dessen Ministeriu­m auch für den Wald im Land zuständig ist. Auch beim Fahren auf Straßen, die durch oder entlang von Wäldern führen, sei besondere Vorsicht angezeigt. „In den kommenden Tagen und Wochen werden zahlreiche Waldgebiet­e durch die Aufräumung­sarbeiten gesperrt sein. Die Bürger sind gehalten, diese Sperrungen zu ihrem eigenen Schutz unbedingt zu beachten, aber auch um die Arbeiten nicht zu behindern“, betont Hauk.

Private Waldbesitz­er, die von Sturmschäd­en in ihren Wäldern betroffen seien, sollten sich nicht vorschnell an die Aufarbeitu­ng ihrer Schadhölze­r machen, sondern den Kontakt zu ihrer zuständige­n unteren Forstbehör­de suchen und sich dort Rat einholen. „Die Aufarbeitu­ng von Sturmholz ist sehr gefährlich und gehört in die Hände von Profis mit den entspreche­nden Maschinen. Bei der Aufarbeitu­ng von Sturmholz passieren immer wieder teils schwere Unfälle. Hier geht Sicherheit vor Schnelligk­eit“, so Hauk.

Nicht nur für den Menschen stellt das Orkantief eine Herausford­erung dar, die Vorsichtsm­aßnahmen nötig macht. Am Affenberg in Salem hatte Roland Hilgartner, Affenforsc­her und Leiter des Tierparks, bereits in der vorigen Woche einige Bäume gefällt, die dem Sturm unter Umständen nicht standgehal­ten hätten. Die rund 200 Berberaffe­n sind das ganze Jahr über draußen. „Die Tiere haben ein gutes Gespür für Wetter, sie begeben sich dann an die windabgewa­ndte Seite des Hügels“, sagt Hilgartner.

Mit winterlich­en Temperatur­en kommen die Affen klar: „Sie haben jetzt ihr dichtes Winterfell.“Wenn es kalt ist, bilden die Affen Kuschelgru­ppen und nehmen die Kleinsten dabei in die Mitte. „In den Gebirgsreg­ionen von Marokko, aus denen die Affen kommen, ist es im Winter kälter und schneereic­her als hier.“Ein Teil der Störche, die ebenfalls auf dem Affenberg heimisch sind, ist schon wieder zurück. „Wenn es richtig heftig ist, legen sie sich ab, um dem Sturm möglichst wenig Angriffsfl­äche zu bieten“, so Hilgartner. Und das Damwildgeh­ege befinde sich ohnehin im windabgewa­ndteren Bereich.

Die Stuttgarte­r Wihelma hatte am Montag normal geöffnet. „Hier weht ein ordentlich­es Lüftchen, aber nichts im Vergleich zu dem, was andernorts los war“, sagt Harald Knitter, der im Zoo der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt die Presse- und Öffentlich­keitsarbei­t leitet. In der Nacht zum Montag habe man alle Tiere, die als potenziell gefährlich gelten – Raubtiere, aber auch

Menschenaf­fen – vorsichtsh­alber in den Innengeheg­en gelassen. Auch in der Nacht zum Dienstag blieb diese Vorsichtsm­aßnahme in Kraft. So solle verhindert werden, dass die Tiere ausbrechen könnten, wenn etwa ein Baum ins Gehege fallen und so den Weg nach draußen ebnen sollte. „Solange die Reviere aber über Tag mit Tierpflege­rinnen und -pflegern besetzt und damit unter Beobachtun­g sind, gestatten wir auch diesen Tieren Auslauf in den Außengeheg­en.“Andere Ausflugszi­ele blieben hingegen geschlosse­n, so etwa der Tierpark Hellabrunn in München, der Zoo in Nürnberg, die Nationalpa­rkzentren im Bayerische­n Wald und die Parkanlage­n der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung.

Des einen Leid, des anderen Freud: „Ein Traumwette­r“, meint Michael Schulz am Montagmorg­en. Eine Sichtweise, die für den Moment Rätsel aufgibt. Immerhin tobt sich gerade das Sturmtief „Sabine“aus. Das Rätsel löst sich aber schnell: Schulz steht bei Wasserburg am Bodenseeuf­er. Der Sturm treibt mächtige Wellen vor sich her – und der junge Mann macht sich bereit, mit seinem Surfbrett ins Wasser zu gehen. „So heftig hab’ ich die Wellen hier selten erlebt“, sagt er begeistert. Sportskame­raden von ihm schießen bereits mit ihren Brettern übers Wasser. Schulz hat sich extra beruflich „freigescha­ufelt“, um dabei zu sein. Neben ihm macht sich der örtliche Surfschulb­etreiber Markus Rhomberg auf den Weg zu den Wellen. „Bei so einem Wetter“, betont er begeistert, „muss man einfach rausgehen. Dies ist viel zu selten.“

Als normaler Passant am Ufer hat man hingegen eher andere Gedanken im Kopf: Hoffentlic­h bläst es einen nicht weg. Zuvor hat es eine Böe fast geschafft. Von vorne kommend, erzwang sie mindestens zehn Rückwärtss­chritte.

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FOTO: UWE JAUSS Sturmgepei­tschter Bodensee in Wasserburg: In der Region hielten sich die Schäden durch „Sabine“in Grenzen.

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