Es bleibt stürmisch
Orkantief bringt Chaos im Verkehr – Schäden fallen aber nicht so schlimm aus wie befürchtet
Das Orkantief „Sabine“ist am Montag über BadenWürttemberg hinweggezogen. Bäume wurden entwurzelt, wie hier in Freiburg, Straßen gesperrt und Dächer abgedeckt. Mindestens ein Autofahrer wurde schwer verletzt. Zehntausende Pendler steckten zudem fest und kamen nicht zur Arbeit. Insgesamt fielen die Sturmschäden aber geringer aus als befürchtet. Allerdings soll es auch am Dienstag stürmisch bleiben.
Die Angst vor „Sabine“war groß, doch das Chaos war am Montag nicht so heftig wie befürchtet. Die Warnungen vor dem Orkantief hatten dramatisch geklungen – schuld war vor allem „Lothar“.
„Der Deutsche Wetter Dienst (DWD) warnt inzwischen früher, häufiger und flächendeckender vor Unwettern“, sagt Roland Roth, Betreiber der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried und Wetterexperte der „Schwäbischen Zeitung“. Das habe vor allem mit dem Orkan „Lothar“zu tun, der 1999 verheerende Schäden angerichtet hatte. Allein in BadenWürttemberg gab es 13 Tote. Der geschätzte Versicherungsschaden betrug rund sechs Milliarden Euro.
Dem DWD wurde danach vorgeworfen, zu spät vor dem Unwetter gewarnt zu haben. „Diesem Vorwurf will sich der DWD nicht mehr aussetzen“, so Roth. Das sei nachvollziehbar. Was hingegen über „Sabine“teilweise in den sozialen Medien verbreitet worden sei, findet Roth unseriös – so etwa den Begriff „Monstersturm“, der aus seiner Sicht überzogen ist. Roth sagt aber auch: „Harmlos war das nicht. Ich glaube, es ist nicht so viel passiert, weil gewarnt wurde. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen am Montag sonst unvorsichtig in den Tag gegangen wären.“Einen Sturm wie „Sabine“gebe es etwa alle fünf Jahre. In Biberach wurden Windgeschwindigkeiten von 109,4 Kilometer pro Stunde gemessen, in Amtzell waren es 112,7.
Mit dem Klimawandel habe „Sabine“nicht direkt etwas zu tun. „Allerdings wird es wohl der zweitwärmste Winter seit Beginn unserer Messungen 1968.“Die Durchschnittstemperatur der Wintermonate liege schon jetzt bei 2,7 bis 2,8 Grad und damit nur wenig unter den 3,2 Grad aus dem Jahr 2006/2007. Wenn nun bei höheren Temperaturen eine Kaltfront komme, passiere eben mehr: „Aus einem ,normalen’ Tiefdruckgebiet wird heute dann schneller ein Sturmtief als vor 30 bis 40 Jahren.“
Stürmisch soll es auch die nächsten Tage bleiben.
Den Verkehr traf das Orkantief deutschlandweit schwer. Die Deutsche Bahn konnte ihren Fernverkehr am Montag erst allmählich wieder anrollen lassen, nachdem die Züge seit Sonntag bundesweit sicherheitshalber gestoppt worden waren. Zugleich empfahl das Unternehmen, bis Dienstag geplante Fahrten im Fernverkehr auf einen anderen Tag zu verschieben. Hunderte Flüge wurden annulliert, unter anderem in München und Stuttgart.
Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen mussten Einsatzkräfte mehr als 7100mal ausrücken, es gab 13 Verletzte, wie das Landesinnenministerium mitteilte. Ein 17-Jähriger wurde in Paderborn von einem herabfallenden Ast am Kopf getroffen und lebensgefährlich verletzt. In nahezu ganz Deutschland berichteten die Leitstellen der Polizei von einer Vielzahl an umgestürzten Bäumen, die zum Teil auf geparkte Autos gestürzt waren. Straßen wurden gesperrt, Dächer abgedeckt. Bauzäune wurden umgerissen, Werbetafeln umhergeweht. In vielen Regionen hielten sich die Schäden aber in Grenzen. In Frankfurt knickte ein Baukran ab, sein Ausleger krachte in das Dach des Doms.
Verhältnismäßig glimpflich ging es in Baden-Württemberg und Bayern zu. Nur einige Menschen erlitten Verletzungen, ein Autofahrer wurde schwer verletzt.
Größer waren die Auswirkungen auf Reisepläne in Süddeutschland: So wurden am Münchner Flughafen bis zum Nachmittag schon 630 von 1050 Flügen annulliert, die eigentlich am Montag in München hätten starten und landen sollen, wie ein Sprecher sagte. Der Flughafen in Stuttgart hatte bereits am Wochenende vorgesorgt und Flüge gestrichen. Nach Angaben eines Sprechers wurden insgesamt mehr als 75 Starts und Landungen abgesagt.
In Bayern ist auch am Dienstag noch mit Zugausfällen und Verspätungen zu rechnen: Vor allem im
Werdenfelser Land rund um Garmisch-Partenkirchen und im Allgäu seien immer noch Bahnstrecken blockiert, teilte die DB am späten Montagnachmittag mit. Pendler brauchten zum Wochenbeginn starke Nerven und Geduld. Zehntausende steckten fest, kamen nicht zur Arbeit oder blieben gleich im Homeoffice zu Hause.
Für große Teile Deutschlands hatte der DWD die zweithöchste Unwetterwarnstufe herausgegeben, im Schwarzwald galt in einigen Regionen sogar die höchste der vier Warnstufen. Auf dem Feldberg erreichte der Wind Geschwindigkeiten von bis zu 177 Stundenkilometern. Die Lifte standen dort still. Auf dem Bodensee wurde der Fährbetrieb vorübergehend eingestellt.
Für Einsatzkräfte gab es am Montag viel zu tun. Die Feuerwehren im Landkreis Ravensburg wurden zu mehr als 200 Einsatzstellen gerufen, wie Kreisbrandmeister Oliver Surbeck sagte. Sturmtief Sabine sorgte auch für zahlreiche Stromausfälle, wie Netze-BW-Sprecher Ulrich Stark mitteilte. Im Bereich Oberschwaben-Bodensee-Heuberg hat es in der Nacht von Sonntag auf Montag und am Montag 40 größere Stromausfälle
gegeben. Grund dafür waren vor allem Schäden an Mittelspannungsleitungen durch umgestürzte Bäume. Mehrere Hundert Betriebsmonteure waren in dem Gebiet im Einsatz, um die Schäden zu beheben. Im Landkreis Ravensburg war vor allem der Osten betroffen, im westlichen Landkreis, im Schussental sowie im Bodenseekreis blieb es dagegen eher ruhig.
Vor dem Risiko umstürzender Bäume und herabbrechender Äste warnte Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU). „Wer jetzt die Wälder betritt, begibt sich in Lebensgefahr“, so Hauk, dessen Ministerium auch für den Wald im Land zuständig ist. Auch beim Fahren auf Straßen, die durch oder entlang von Wäldern führen, sei besondere Vorsicht angezeigt. „In den kommenden Tagen und Wochen werden zahlreiche Waldgebiete durch die Aufräumungsarbeiten gesperrt sein. Die Bürger sind gehalten, diese Sperrungen zu ihrem eigenen Schutz unbedingt zu beachten, aber auch um die Arbeiten nicht zu behindern“, betont Hauk.
Private Waldbesitzer, die von Sturmschäden in ihren Wäldern betroffen seien, sollten sich nicht vorschnell an die Aufarbeitung ihrer Schadhölzer machen, sondern den Kontakt zu ihrer zuständigen unteren Forstbehörde suchen und sich dort Rat einholen. „Die Aufarbeitung von Sturmholz ist sehr gefährlich und gehört in die Hände von Profis mit den entsprechenden Maschinen. Bei der Aufarbeitung von Sturmholz passieren immer wieder teils schwere Unfälle. Hier geht Sicherheit vor Schnelligkeit“, so Hauk.
Nicht nur für den Menschen stellt das Orkantief eine Herausforderung dar, die Vorsichtsmaßnahmen nötig macht. Am Affenberg in Salem hatte Roland Hilgartner, Affenforscher und Leiter des Tierparks, bereits in der vorigen Woche einige Bäume gefällt, die dem Sturm unter Umständen nicht standgehalten hätten. Die rund 200 Berberaffen sind das ganze Jahr über draußen. „Die Tiere haben ein gutes Gespür für Wetter, sie begeben sich dann an die windabgewandte Seite des Hügels“, sagt Hilgartner.
Mit winterlichen Temperaturen kommen die Affen klar: „Sie haben jetzt ihr dichtes Winterfell.“Wenn es kalt ist, bilden die Affen Kuschelgruppen und nehmen die Kleinsten dabei in die Mitte. „In den Gebirgsregionen von Marokko, aus denen die Affen kommen, ist es im Winter kälter und schneereicher als hier.“Ein Teil der Störche, die ebenfalls auf dem Affenberg heimisch sind, ist schon wieder zurück. „Wenn es richtig heftig ist, legen sie sich ab, um dem Sturm möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten“, so Hilgartner. Und das Damwildgehege befinde sich ohnehin im windabgewandteren Bereich.
Die Stuttgarter Wihelma hatte am Montag normal geöffnet. „Hier weht ein ordentliches Lüftchen, aber nichts im Vergleich zu dem, was andernorts los war“, sagt Harald Knitter, der im Zoo der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit leitet. In der Nacht zum Montag habe man alle Tiere, die als potenziell gefährlich gelten – Raubtiere, aber auch
Menschenaffen – vorsichtshalber in den Innengehegen gelassen. Auch in der Nacht zum Dienstag blieb diese Vorsichtsmaßnahme in Kraft. So solle verhindert werden, dass die Tiere ausbrechen könnten, wenn etwa ein Baum ins Gehege fallen und so den Weg nach draußen ebnen sollte. „Solange die Reviere aber über Tag mit Tierpflegerinnen und -pflegern besetzt und damit unter Beobachtung sind, gestatten wir auch diesen Tieren Auslauf in den Außengehegen.“Andere Ausflugsziele blieben hingegen geschlossen, so etwa der Tierpark Hellabrunn in München, der Zoo in Nürnberg, die Nationalparkzentren im Bayerischen Wald und die Parkanlagen der Bayerischen Schlösserverwaltung.
Des einen Leid, des anderen Freud: „Ein Traumwetter“, meint Michael Schulz am Montagmorgen. Eine Sichtweise, die für den Moment Rätsel aufgibt. Immerhin tobt sich gerade das Sturmtief „Sabine“aus. Das Rätsel löst sich aber schnell: Schulz steht bei Wasserburg am Bodenseeufer. Der Sturm treibt mächtige Wellen vor sich her – und der junge Mann macht sich bereit, mit seinem Surfbrett ins Wasser zu gehen. „So heftig hab’ ich die Wellen hier selten erlebt“, sagt er begeistert. Sportskameraden von ihm schießen bereits mit ihren Brettern übers Wasser. Schulz hat sich extra beruflich „freigeschaufelt“, um dabei zu sein. Neben ihm macht sich der örtliche Surfschulbetreiber Markus Rhomberg auf den Weg zu den Wellen. „Bei so einem Wetter“, betont er begeistert, „muss man einfach rausgehen. Dies ist viel zu selten.“
Als normaler Passant am Ufer hat man hingegen eher andere Gedanken im Kopf: Hoffentlich bläst es einen nicht weg. Zuvor hat es eine Böe fast geschafft. Von vorne kommend, erzwang sie mindestens zehn Rückwärtsschritte.