Kanzlerkandidatur der Union wieder offen
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer zieht zurück – Söder schließt Bewerbung aus
- Die CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbauer will auf Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz verzichten. Das teilte die 57-Jährige am Montag in Berlin mit. „Ich werde mich nicht um eine Kanzlerkandidatur bewerben“, sagte Kramp-Karrenbauer. Verteidigungsministerin wolle sie aber bleiben. Mit dem Schritt zieht die Politikerin auch Konsequenzen aus dem Debakel bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Dort hatte die CDU gegen den ausdrücklichen Rat der Parteichefin zusammen mit der AfD den
FDP-Mann Thomas Kemmerich gewählt und sich gegen die von KrampKarrenbauer geforderten Neuwahlen gestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedauerte die Entscheidung. Kramp-Karrenbauer will Parteichefin bleiben, bis die CDU einen Kanzlerkandidaten gefunden hat. Die Aufteilung der Ämter sei ein Fehler gewesen und schwäche die Union, sagte sie. „Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur müssen aus meiner Sicht am Ende in einer Hand liegen“, sagte sie.
Mit dem angekündigten Rückzug droht der CDU ein erneuter Machtkampf um Kanzlerkandidatur und Parteiführung. Unionspolitiker zollten Kramp-Karrenbauer Respekt und forderten schnelle Konsequenzen: Die CDU-Spitzenkandidatin für die baden-württembergische Landtagswahl, Susanne Eisenmann, sprach sich für eine schnelle Klärung der Kanzlerkandidatenfrage aus. Die CDU müsse wieder klares Profil entwickeln. „Das wird allerdings nur funktionieren, wenn wir uns als CDU die nächsten zehn Monate bis zum geplanten Bundesparteitag in Stuttgart nicht in Personaldiskussionen verstricken.“
CDU-Bundesvize und Landeschef Thomas Strobl bezeichnete die Entscheidung von Kramp-Karrenbauer als „honorig“. Präsidium und
Bundesvorstand müssten nun zügig einen geordneten Prozess festlegen, um den Kanzlerkandidaten zu bestimmen.
Kramp-Karrenbauer hatte sich 2018 knapp gegen Friedrich Merz und Jens Spahn durchgesetzt. Beide werden ebenso wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet als mögliche Bewerber gehandelt. CSU-Chef Markus Söder schloss eine Kanzlerkandidatur aus, dem Bayerischen Fernsehen erklärte der Ministerpräsident: „In Bayern ist mein Standort und mein Anker. Ich bin bei den bayerischen Wählerinnen und Wählern im Wort“, sagte Söder.
Fast könnte man meinen, es wäre gar nichts passiert. „Ich war die Parteivorsitzende. Ich bin die Parteivorsitzende und werde es auch auf absehbare Zeit auch bleiben“, sagt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) am Montagmittag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. An der Situation in der Großen Koalition habe sich erstmal „nichts geändert“, schiebt sie nach. Außer, dass sie in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr Kanzlerin werden, sondern in dieser Verteidigungsministerin bleiben will.
Dabei hat sich reichlich geändert, wie man am mit Journalisten proppevollen Innenraum der Parteizentrale sehen kann. Am Morgen hatte AKK nach einem Jahr und zwei Monaten an der Parteispitze zermürbt hingeschmissen, zuerst die Kanzlerin, dann das Präsidium informiert. Demnach will die Saarländerin die Suche der Partei nach einem Kanzlerkandidaten leiten.
Sobald dieser gefunden und gewählt ist – nach bisherigem Zeitplan bei einem Parteitag in Stuttgart im Dezember – will AKK auch das Parteichefamt an diesen möglichen Merkel-Nachfolger abgeben. So ist zumindest ihr Plan.
Denn Kanzleramt und Parteivorsitz gehören aus Sicht der früheren saarländischen Ministerpräsidentin zwingend zusammen. Das derzeitige Modell, bei dem die beiden Funktionen auf zwei Personen aufgeteilt sind – Merkel als Kanzlerin hier, Kramp-Karrenbauer als Parteichefin dort – hat sich demnach nicht bewährt. „Die ungeklärte Führungsfrage“
der Kanzlerkandidatur habe die Partei nicht zur Ruhe kommen lassen „und sollte nach dem Willen Einiger auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen“, sagt AKK. Die Entscheidung, nicht anzutreten, sei „seit einer geraumen Zeit in mir gereift und gewachsen“. Beobachter glauben, dass die CDU-Chefin nicht enden wollte wie die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, die im Juni 2019 ohne Perspektive abtrat und eine monatelang führungslose Bundespartei hinterließ.
Und auch wenn das Wort „Thüringen“in ihrem knapp elfminütigen Statement nur einmal fällt, hat der Abtritt doch viel mit der desaströsen Ministerpräsidentenwahl im Land zu tun. Dort hatte die Landtags-CDU vergangene Woche zusammen mit AfD und FDP den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – und die Parteichefin in Not gebracht.
Durchs „Stahlbad gegangen“
Immer wieder hatte diese die Thüringer vor und nach der Wahl daran erinnert, dass es laut CDU-Parteitagsbeschluss keine Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei gebe. Doch das beeindruckte die Landespolitiker kaum. Weder ließ sich die Fraktion davon abhalten, gegen Warnungen den FDP-Kandidaten zu wählen. Noch folgten sie der klaren Empfehlung aus Berlin, Neuwahlen anzustreben. Mehr noch: kurz nach der Rücktrittsankündigung AKKs forderten die ersten Thüringer ein Ende des Unvereinbarkeitsbeschlusses. Denn ohne gibt es keine Machtperspektive im Land.
Während AKK daran scheiterte, die Thüringer auf Linie zu bringen, schaffte die Kanzlerin Tatsachen: Von Afrika aus erklärte sie, die Kemmerichwahl müsse „rückgängig gemacht“werden. Und am Wochenende entließ sie den umstrittenen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte. Anlass: Ein Glückwunsch-Tweet an Kemmerich.
Thüringen ist für AKK nur ein Symptom für die „starken Fliehkräfte in unserer Gesellschaft und in unserer Volkspartei CDU“, sagt sie. „Wir müssen stark sein. Stärker als heute“, erklärt sie. Tatsächlich war sie wohl nicht stark genug: Als sie vor zwei Jahren Generalsekretärin geworden sei, habe sie gewusst, dass es hart wird, sagt AKK. „Und die letzten beiden Jahre haben dies bestätigt“, ergänzt sie.
„Annegret Kramp-Karrenbauer ist in den letzten Monaten durch ein Stahlbad gegangen. Von Anfang an war sie immer wieder auch Anfechtungen auch in der Partei ausgesetzt“, sagt Annette Widmann-Mauz. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und Chefin der Frauen-Union spricht von einem „bitteren Zermürbungsprozess“für die Parteichefin. Im angekündigten Rückzug sieht sie nun die Chance, dass sich die Partei auf die Sacharbeit konzentriert. Jetzt komme es auf jeden Einzelnen und jede Einzelne an, zur Sacharbeit zurückzufinden.
„Ruhe entsteht nicht durch Verordnung von oben, sondern ist die Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds“, ergänzt sie. Es sind Beschwörungsformeln, wie man sie immer wieder bei der SPD gehört hat. Tatsächlich ist der Frust über die Dauerdemontage der Parteichefin mit den Händen zu greifen. Ihm sei „schlecht“, sagt ein sichtlich empörter Elmar Brok.
Bei der Vorstandssitzung hinter verschlossenen Türen wird er deutlich und spricht Teilnehmern zufolge vom „Krebsgeschwür“Werteunion. Die sieht sich als „konservative Basisbewegung“der Unionsparteien und wirbt für die Annäherung an die AfD. Beim CDU-Arbeitnehmerflügel ist hingegen die Rede von „AfDHilfstruppen in unseren Reihen“, die teils nicht mal CDU-Mitglied sind.
Die Wortwahl vom „Krebsgeschwür“will zwar keiner offiziell teilen. Doch intern wird geschimpft über die „Spielchenspieler“, die die Suche nach einem Kanzlerkandidaten und die Grenze zur AfD (und auch zur Linkspartei) immer wieder infrage gestellt haben. Gleich mehrere CDU-Spitzenleute fordern klare Kante zur Werteunion, auch ein Unvereinbarkeitsbeschluss ist im Gespräch. Noch-Parteichefin KrampKarrenbauer macht nochmal klar, dass es keine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD geben könne. „Die AfD steht gegen alles, was uns als CDU ausmacht. Jede Annäherung an die AfD schwächt die CDU“, sagt sie. Teilnehmer berichten, dass Präsidium und Vorstand der BundesCDU weiter zur klaren Abgrenzung zur AfD stehen. In Sachen Unvereinbarkeit stehe man „noch nicht am Ende“, sagt ein Präsidiumsmitglied.
Kandidaten stehen bereit
Wieder am Anfang steht man hingegen bei der Kanzlerkandidaten- und Parteichefsuche. Dass die CDU diese bis in den Dezember verschleppen kann, wie es AKK an diesem Morgen vorschlägt, glaubt in Berlin kaum jemand. Zumal schon sehr genau geschaut wird, wie die möglichen Bewerber sich an diesem Tag schlagen.
Es fallen neben Bayerns CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine grundsätzliche „inhaltliche und personelle Aufstellung“der Schwesterpartei fordert, die Namen nordrhein-westfälischer CDU-Männer: Ministerpräsident Armin Laschet, der wegen des Sturms „Sabine“an diesem Tag nicht in Berlin ist. Der 2018 bei der Wahl gegen Kramp-Karrenbauer unterlegene Friedrich Merz, der AKK per Twitter Unterstützung bei der Nachfolgersuche verspricht. Gesundheitsminister Jens Spahn, der den Zusammenhalt der Partei beschwört und Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der die Hilfe der Bundestagsabgeordneten dazu verspricht.
Mag sein, dass AKK erstmal Parteivorsitzende bleibt. Doch der Abschied steht bereits fest. Es hat sich viel geändert an diesem Tag in Berlin. Auch wenn AKK anderes sagt.
„Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich jetzt ganz in den Dienst der Sache gestellt und will den Prozess zur inhaltlichen und personellen Aufstellung vor der Bundestagswahl leiten, ich finde das sehr ehrenhaft.“Thomas Bareiß, CDU-Abgeordneter Sigmaringen (Foto: dpa)
„Ich habe großes Verständnis für jeden Bürger, der in den letzten Tagen den Kopf geschüttelt hat. Insofern ist es richtig, dass die Vorsitzende jetzt für klare Verhältnisse sorgt. Die Entscheidung zum Verzicht kommt zum richtigen Zeitpunkt.“Thorsten Frei, CDU-Abgeordneter Villingen-Schwenningen (Foto: dpa)
„Ich bedauere die Entwicklung außerordentlich, aber das ist das Ergebnis einer Führungskrise in unserer Partei. Ich beobachte seit einiger Zeit, dass meine Partei um Orientierung ringt. Das und die jüngste Entwicklung machen mir große Sorgen.“Volker Kauder, CDU-Abgeordneter Tuttlingen (Foto: dre)
„Ich habe großen Respekt vor dieser überraschenden Entscheidung. Es ist aber richtig, dass Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz in eine Hand gehören, weil wir nur so mit unseren Vorschlägen für Deutschlands Zukunft Gehör finden.“Ronja Kemmer, CDU-Abgeordnete Ulm/Alb-Donau (Foto: oh)
„Ich habe großen Respekt für die Entscheidung von Annegret Kramp-Karrenbauer. (...) Armin Laschet und Friedrich Merz haben ihre Qualitäten, das steht außer Frage. Wir als CDU sollten aber ernsthaft diskutieren, ob in dieser Situation ein Generationenwechsel nicht sinnvoll wäre.“Susanne Eisenmann (Foto: oh) CDU-Spitzenkandidatin im Südwesten
„Ich bedaure die Entscheidung von AKK zum geordneten Rückzug vom Parteivorsitz ausdrücklich. Zugleich hat sie meinen größten Respekt. Sie bietet der CDU durch ihren bedachten Schritt die Möglichkeit eines geordneten Übergangs.“Roderich Kiesewetter, CDU-Abgeordneter Ostalb (Foto: dpa)