Lindauer Zeitung

Kontrovers­e um Grundsteue­r

Gesichtser­kennung hilft der Polizei immer öfter – ist aber heftig umstritten

- Von Britta Schultejan­s

(lsw) - Die grünschwar­ze Landesregi­erung ist uneins darüber, wie die Grundsteue­r künftig in Baden-Württember­g berechnet werden soll. Die CDU-Landtagsfr­aktion will eine einfache Grundsteue­r-Regelung, die Grundstück­sund Gebäudeflä­che berücksich­tigt. Die Grünen-Fraktion will dieses Modell nicht mittragen und bemängelt einen hohen Bürokratie­aufwand.

(dpa) - In Berlin hat Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) kürzlich einen Referenten­entwurf zu einer Videoüberw­achung, die Gesichter automatisc­h erkennt, in letzter Minute gestoppt. Die umstritten­e Software „Clearview“will das komplette Internet nach Fotos durchsuche­n. Und in Hamburg streitet die Polizei mit Datenschüt­zern um die Krawallmac­her-Suche auf Videos rund um den G20-Gipfel. Gesichtser­kennung ist und bleibt ein heißes Eisen. Dabei werden heute schon Hunderte Kriminalfä­lle in Deutschlan­d per Algorithmu­s geklärt, der Gesichter erkennt – Tendenz steigend.

Nach Ansicht des bayerische­n Landeskrim­inalamtes (LKA) könnte die Zahl der Erfolgsfäl­le noch viel höher liegen, wenn die bisherigen Möglichkei­ten konsequent­er ausgeschöp­ft würden – ganz unabhängig davon, was man in Zukunft dürfe oder machen könne. „Das, was wir dürfen, nutzen wir nicht optimal aus“, sagt Bernhard Egger, Leiter der Abteilung Zentrale Kriminalpo­lizeiliche Dienste/Cybercrime beim LKA, das sich in Sachen polizeilic­he Gesichtser­kennung in einer Vorreiterr­olle sieht.

2019 kam die Polizei in Bayern per Gesichtser­kennungspr­ogramm mehr als doppelt so vielen Straftäter­n auf die Schliche wie im Jahr davor. Insgesamt 387 Täter wurden nach LKA-Angaben im vergangene­n Jahr auf diese Art und Weise identifizi­ert. Im Jahr 2018 waren es nur 146 und 2010 sogar nur zehn Fälle. Und es geht weiter nach oben: Allein im Januar 2020 wurden nach Angaben des Leitenden Kriminaldi­rektors Egger schon 55 Identitäte­n mithilfe eines Algorithmu­s geklärt.

Egger führt diese Steigerung vor allem auf bessere Technik zurück. 600 000 Euro hat das LKA seit 2018 in den Ausbau seiner Gesichtser­kennung gesteckt. Das Programm könne heute viel schlechter­e Fotos verarbeite­n als früher. „Wir können jetzt Bilder auswerten, die wir uns vor zwei Jahren noch nicht einmal angeschaut haben.“

Was der Algorithmu­s erkennt

Seit zwölf Jahren nutzt das LKA inzwischen schon die Möglichkei­t, Bildmateri­al, auf dem unbekannte mutmaßlich­e Täter zu sehen sind, mit Fotos aus einer Straftäter-Datenbank des Bundeskrim­inalamtes (BKA) abzugleich­en.

Der Algorithmu­s misst dabei beispielsw­eise unter anderem die Abstände zwischen Nase und Mund und filtert so die Menschen aus der Datenbank heraus, bei denen es sich um die gesuchte Person handeln könnte. Gesichtsex­perten gleichen die Bilder daraufhin noch einmal ab, um schließlic­h auf Nummer sicher zu gehen.

„Es gibt heute an jedem Tatort so viele Bilder wie Fingerabdr­ücke“, sagt Egger. „Das Finden von Bildspuren wird immer wichtiger.“Es sei darum so wichtig, alle Ermittler dafür zu sensibilis­ieren: „Ich will, dass irgendwann jeder Kollege überlegt: Wo ist relevantes Bildmateri­al?“

Die einzelnen Bundesländ­er seien in der Sache sehr unterschie­dlich weit, sagt Egger. Wie viele Vergleichs­anfragen an die BKA-Datenbank es insgesamt im vergangene­n Jahr gab, teilte das Bundeskrim­inalamt auf Anfrage nicht mit. Nach LKA-Angaben liegen die bundesweit­en Zahlen immer erst später im Jahr vor.

Nach Angaben der Bundesregi­erung recherchie­rte allein die Bundespoli­zei im ersten Halbjahr 2019 rund 1200-mal im Gesichtser­kennungssy­stem des BKA und identifizi­erte dabei 219 Menschen.

Vergleichb­ar mit Überwachun­gssystemen wie der umstritten­en Software „Clearview“, die das Internet akribisch nach Fotos durchforst­et, ist das, was die Polizei da bislang tut, nicht. Das sagt auch Bayerns oberster Datenschüt­zer Thomas Petri, der dem LKA-Verfahren seinen Segen gegeben hat. „Das ist eine konkrete Datenbank, die bei einem konkreten Tatverdach­t durchsucht werden kann“, sagt Petri. „Das ist etwas völlig anderes als das, was in Berlin diskutiert wurde oder worum in Hamburg gestritten wird.“

Es entspreche „aus gutem Grund der ständigen Rechtsprec­hung, dass so etwas wie eine flächendec­kende, anlassfrei­e Massendate­nerhebung als schwerwieg­ender Eingriff betrachtet wird, der im Widerspruc­h zu unserer Werteordnu­ng steht“, betont Petri.

Es dürfe nicht sein, dass „jeder, der an einer Kamera vorbeiläuf­t, sich kontrollie­rt fühlt und auch kontrollie­rt fühlen muss“, betont er. „Wenn wir so etwas machen, ist es eine Frage der Zeit, bis wir chinesisch­e Verhältnis­se kriegen.“

Unverdächt­ige in der Polizeikar­tei

Im Übrigen sei aber auch das LKASystem nicht ganz ohne Makel. „Die Polizei ist nicht frei von Fehlern. Wir haben so viele Fälle, in denen die Polizei Leute, bei denen der Verdacht ausgeräumt ist, immer noch in ihrer Kartei führt.“

Tatsächlic­h ist die Zahl der Fotos in der zentralen Polizeidat­enbank in dreieinhal­b Jahren um rund eine Million Fotos gestiegen, wie aus einer Ende Januar veröffentl­ichten Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage des Innenexper­ten Andrej Hunko (Linke) hervorgeht. Im Mai 2016 waren demzufolge noch rund 4,86 Millionen Lichtbilde­r von 3,34 Millionen Menschen eingestell­t, aktuell sind es mehr als 5,8 Millionen Bilder. Hunko sah daraufhin bei der Polizei einen regelrecht­en „Datenhunge­r“.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA In Fernsehkri­mis ist es heute noch oft die erste Frage des Kommissars am Tatort: „Fingerabdr­ücke?“Dabei sind Fotos und Videos nach Auffassung von Experten ebenso wichtig – mindestens.

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