Der Ökopionier
Joseph Wilhelm ist Gründer der Biomarke Rapunzel.
- Mehr als 45 Jahre ist es her, dass Joseph Wilhelm dem elterlichen Bauernhof bei Augsburg den Rücken kehrt, um eine große Vision zu verfolgen – die Vision von gesunden, naturbelassenen und fair produzierten Lebensmitteln für alle. Wilhelm hat weder eine detaillierte Geschäftsidee, noch einen Businessplan – stattdessen lange Haare und viel Idealismus. Anfangs wird er noch belächelt, heute ist Wilhelm Chef des bundesweit bekannten Biokonzerns Rapunzel Naturkost mit Sitz in Legau im Allgäu. Ein Unternehmen, das jährlich 70 Millionen Einzelprodukte herstellt – vor allem Müsli und Brotaufstriche –, 200 Millionen Euro umsetzt und eine Gewinnmarge von fünf Prozent erzielt.
Alles beginnt, als Wilhelm im Alter von etwa 16 Jahren einige Zeit in Belgien verbringt. Dort entdeckt er das Thema Ernährung für sich und testet gemeinsam mit seiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau, Jennifer Vermeulen, verschiedene Ernährungsrichtungen aus.
Später – zurück in Deutschland – gründen die beiden eine kleine Selbstversorgerkommune auf einem Bauernhof bei Augsburg. Sie bauen Gemüse an und und backen Brot, das sie im eigenen Hofladen unter dem Namen Rapunzel verkaufen – angelehnt an das Märchen und den darin vorkommenden Feldsalat, der damals noch Teil des Sortiments war.
Es dauert, bis Wilhelm mit seinem Ernährungskonzept Gehör findet. „Die Leute haben mich oft nicht so ernst genommen“, sagt er. Doch die Nachfrage nach Naturkostlebensmitteln steigt stetig an, das Bewusstsein für gesunde Ernährung wächst und Wilhelm stellt damals die ersten Mitarbeiter ein. „Aus dem Thema ,gesund leben’ ist dann eine ganze Bewegung geworden“, sagt er. Tatsächlich: Im Jahr 2000 gaben die Deutschen 2,1 Milliarden Euro für
Lebensmittel aus. 2018 waren es laut Bund für Ökologische Lebensmittelwirtschaft dann schon 10,91 Milliarden. Davon profitiert Rapunzel.
1987 entwickelt das Unternehmen die weltweit erste Bioschokolade.
1990 dann den Nuss-Nugat-Aufstrich Samba – der heute noch ein Verkaufsschlager ist. Damit habe man eine Alternative schaffen wollen zu anderen Aufstrichen, die
„weißen Zucker enthalten, schlechte Fette und wenig Nüsse“, sagt Wilhelm.
Rapunzels Hauptsitz ist mittlerweile nicht mehr Augsburg, sondern Legau im Allgäu. Hier bot sich 1985 die Gelegenheit für den Unternehmer, ein altes Milchwerk zu kaufen, und er zögerte nicht lang.
Aus dem kleinen Augsburger Hofladen ist also ein international agierendes Unternehmen geworden, das heute rund 400 Mitarbeiter beschäftigt und 2017 durch die Übernahme des veganen Brotaufstrich-Herstellers Zwergenwiese aus SchleswigHolstein noch weiter gewachsen ist.
„Das ist alles ganz organisch passiert“, resümiert Wilhelm die Firmengeschichte. „Organisch“– das Wort benutzt der 66-Jährige Vater von fünf Kindern gerne. „Unser Ansatz war immer mehr Bio zu verkaufen, um mehr Bioanbau möglich zu machen, aber wir waren nie wachstumsgetrieben“, sagt Wilhelm.
So sei auch der Kontakt zu den verschiedenen Rohstoffzulieferern auf der ganzen Welt „organisch“entstanden. Die Rapunzel-Produkte der ersten Stunde waren Nussmuse, Trockenfrüchte
und Müsli. Doch nicht alle Zutaten dafür gab es in Deutschland – „hier ist die Vielfalt leider nicht so groß“, sagt Wilhelm. Haselnüsse bekommt Rapunzel deshalb aus Italien, Rosinen aus der Türkei. Auch aus Afrika, Indien und Südamerika bezieht der Allgäuer Hersteller Produkte. Im türkischen Izmir hat das Unternehmen einen eigenen Standort mit rund 150 Festangestellten.
Rapunzel garantiert den Bauern eine bestimmte Abnahme. Damit haben sie eine gewisse Sicherheit. Mit den Landwirten sei Wilhelm selbst damals in Kontakt getreten und habe sie Schritt für Schritt dabei unterstützt, auf Bio umzustellen. Er habe sich immer um einen persönlichen Draht zu ihnen bemüht. „Das ist die Grundlage für ein echt gutes Bioprodukt“, sagt er.
Dass der Transport von Rohstoffen aus fernen Ländern ein Umweltproblem ist, sieht Wilhelm durchaus. Aber: „Wir achten auf möglichst ökologisch sinnvolle und kurze Transportwege“, sagt er. „Wir transportieren zum Beispiel nichts mit dem Flugzeug.“Stattdessen nutze man das Schiff. Generell: „Wir holen jetzt nicht irgendwas aus dem Ausland nach Deutschland, weil der Anbau woanders billiger ist, sondern einfach, weil es hier nicht wächst“und weil man eben nicht auf eine Vielfalt bei den Rohstoffen verzichten wolle.
In mehr als 30 Ländern verkauft das Unternehmen seine Produkte. Hauptabsatzmärkte innerhalb Europas seien die Schweiz, Österreich, Italien und Frankreich.
Zu kaufen sind die Rapunzel-Produkte in Biomärkten. In Discountern sucht man sie dagegen vergeblich, obwohl auch dort immer mehr Bio in den Regalen steht. Wilhelm sieht das sogar positiv:. „Das Thema Bio wird dadurch wahrnehmbarer für die Menschen und das führt auch dazu, dass mehr Leute in einen Bioladen gehen.“
Dass der Konzern Kundenzulauf hat und dass es ihm gut geht, sieht man auch am aktuellen Investment. Rapunzel investiert 25 Millionen Euro in ein neues Besucherzentrum am Hauptsitz in Legau. Bereits jetzt gibt es dort ein Biomuseum, einen Kinosaal und einen Laden auf dem Firmengelände. Doch jetzt soll noch mal neu investiert werden. Es ist das bisher größte Einzelprojekt des Ökopioniers. Auf 25 000 Quadratmetern Fläche entsteht das neue Besucherzentrum – mit Ausstellungsbereich, einer Schaukaffeerösterei, einer Biobäckerei, Gastronomie, einem Biosupermarkt, einem Yoga- und Kochstudio und einer Außenanlage mit Gemüsegarten. Im November war Spatenstich, Anfang 2022 soll das Zentrum eröffnet werden. Rapunzel rechnet mit 150 000 Besuchern pro Jahr und will 50 neue Arbeitsplätze schaffen. „Das ist ein neuer Schwerpunkt unseres Außenauftritts und Marketings“, sagt Wilhelm. „Wir wollen damit noch mehr auf unsere Kunden und Endverbraucher zugehen, auch weil wir keine eigenen Einzelhandelsgeschäfte haben.“
Rapunzel setzt damit neben den eigentlichen Produkten auf jede Menge Erlebnis. „Die Menschen kommen von selbst“, sagt Wilhelm, also wolle man auch etwas bieten.
Das Besucherzentrum wird Wilhelms Tochter leiten. Auch sein Sohn Leonhard Wilhelm ist bereits seit 15 Jahren im Unternehmen tätig und nun in die Geschäftsführung aufgerückt, zuständig für den Einkauf. Der Vater will die Firmenübergabe nicht hinausschieben, denn man sehe ja „bei so alten Patriarchen, die dann plötzlich 80 sind und dann die Kurve nicht mehr kriegen“, wie es ansonsten läuft. So etwas will Wilhelm nicht, sondern sich jetzt schon Schritt für Schritt um den Generationenwechsel kümmern.
„Es fällt mir nicht schwer, den Kindern das Ruder zu übergeben“, sagt er und fügt dann den Satz hinzu, den er so gerne sagt: „Das passiert alles ganz organisch.“