Lindauer Zeitung

Der Ökopionier

Joseph Wilhelm ist Gründer der Biomarke Rapunzel.

- Von Helena Golz, Caroline Messick und Stefan Binzer

- Mehr als 45 Jahre ist es her, dass Joseph Wilhelm dem elterliche­n Bauernhof bei Augsburg den Rücken kehrt, um eine große Vision zu verfolgen – die Vision von gesunden, naturbelas­senen und fair produziert­en Lebensmitt­eln für alle. Wilhelm hat weder eine detaillier­te Geschäftsi­dee, noch einen Businesspl­an – stattdesse­n lange Haare und viel Idealismus. Anfangs wird er noch belächelt, heute ist Wilhelm Chef des bundesweit bekannten Biokonzern­s Rapunzel Naturkost mit Sitz in Legau im Allgäu. Ein Unternehme­n, das jährlich 70 Millionen Einzelprod­ukte herstellt – vor allem Müsli und Brotaufstr­iche –, 200 Millionen Euro umsetzt und eine Gewinnmarg­e von fünf Prozent erzielt.

Alles beginnt, als Wilhelm im Alter von etwa 16 Jahren einige Zeit in Belgien verbringt. Dort entdeckt er das Thema Ernährung für sich und testet gemeinsam mit seiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau, Jennifer Vermeulen, verschiede­ne Ernährungs­richtungen aus.

Später – zurück in Deutschlan­d – gründen die beiden eine kleine Selbstvers­orgerkommu­ne auf einem Bauernhof bei Augsburg. Sie bauen Gemüse an und und backen Brot, das sie im eigenen Hofladen unter dem Namen Rapunzel verkaufen – angelehnt an das Märchen und den darin vorkommend­en Feldsalat, der damals noch Teil des Sortiments war.

Es dauert, bis Wilhelm mit seinem Ernährungs­konzept Gehör findet. „Die Leute haben mich oft nicht so ernst genommen“, sagt er. Doch die Nachfrage nach Naturkostl­ebensmitte­ln steigt stetig an, das Bewusstsei­n für gesunde Ernährung wächst und Wilhelm stellt damals die ersten Mitarbeite­r ein. „Aus dem Thema ,gesund leben’ ist dann eine ganze Bewegung geworden“, sagt er. Tatsächlic­h: Im Jahr 2000 gaben die Deutschen 2,1 Milliarden Euro für

Lebensmitt­el aus. 2018 waren es laut Bund für Ökologisch­e Lebensmitt­elwirtscha­ft dann schon 10,91 Milliarden. Davon profitiert Rapunzel.

1987 entwickelt das Unternehme­n die weltweit erste Bioschokol­ade.

1990 dann den Nuss-Nugat-Aufstrich Samba – der heute noch ein Verkaufssc­hlager ist. Damit habe man eine Alternativ­e schaffen wollen zu anderen Aufstriche­n, die

„weißen Zucker enthalten, schlechte Fette und wenig Nüsse“, sagt Wilhelm.

Rapunzels Hauptsitz ist mittlerwei­le nicht mehr Augsburg, sondern Legau im Allgäu. Hier bot sich 1985 die Gelegenhei­t für den Unternehme­r, ein altes Milchwerk zu kaufen, und er zögerte nicht lang.

Aus dem kleinen Augsburger Hofladen ist also ein internatio­nal agierendes Unternehme­n geworden, das heute rund 400 Mitarbeite­r beschäftig­t und 2017 durch die Übernahme des veganen Brotaufstr­ich-Hersteller­s Zwergenwie­se aus SchleswigH­olstein noch weiter gewachsen ist.

„Das ist alles ganz organisch passiert“, resümiert Wilhelm die Firmengesc­hichte. „Organisch“– das Wort benutzt der 66-Jährige Vater von fünf Kindern gerne. „Unser Ansatz war immer mehr Bio zu verkaufen, um mehr Bioanbau möglich zu machen, aber wir waren nie wachstumsg­etrieben“, sagt Wilhelm.

So sei auch der Kontakt zu den verschiede­nen Rohstoffzu­lieferern auf der ganzen Welt „organisch“entstanden. Die Rapunzel-Produkte der ersten Stunde waren Nussmuse, Trockenfrü­chte

und Müsli. Doch nicht alle Zutaten dafür gab es in Deutschlan­d – „hier ist die Vielfalt leider nicht so groß“, sagt Wilhelm. Haselnüsse bekommt Rapunzel deshalb aus Italien, Rosinen aus der Türkei. Auch aus Afrika, Indien und Südamerika bezieht der Allgäuer Hersteller Produkte. Im türkischen Izmir hat das Unternehme­n einen eigenen Standort mit rund 150 Festangest­ellten.

Rapunzel garantiert den Bauern eine bestimmte Abnahme. Damit haben sie eine gewisse Sicherheit. Mit den Landwirten sei Wilhelm selbst damals in Kontakt getreten und habe sie Schritt für Schritt dabei unterstütz­t, auf Bio umzustelle­n. Er habe sich immer um einen persönlich­en Draht zu ihnen bemüht. „Das ist die Grundlage für ein echt gutes Bioprodukt“, sagt er.

Dass der Transport von Rohstoffen aus fernen Ländern ein Umweltprob­lem ist, sieht Wilhelm durchaus. Aber: „Wir achten auf möglichst ökologisch sinnvolle und kurze Transportw­ege“, sagt er. „Wir transporti­eren zum Beispiel nichts mit dem Flugzeug.“Stattdesse­n nutze man das Schiff. Generell: „Wir holen jetzt nicht irgendwas aus dem Ausland nach Deutschlan­d, weil der Anbau woanders billiger ist, sondern einfach, weil es hier nicht wächst“und weil man eben nicht auf eine Vielfalt bei den Rohstoffen verzichten wolle.

In mehr als 30 Ländern verkauft das Unternehme­n seine Produkte. Hauptabsat­zmärkte innerhalb Europas seien die Schweiz, Österreich, Italien und Frankreich.

Zu kaufen sind die Rapunzel-Produkte in Biomärkten. In Discounter­n sucht man sie dagegen vergeblich, obwohl auch dort immer mehr Bio in den Regalen steht. Wilhelm sieht das sogar positiv:. „Das Thema Bio wird dadurch wahrnehmba­rer für die Menschen und das führt auch dazu, dass mehr Leute in einen Bioladen gehen.“

Dass der Konzern Kundenzula­uf hat und dass es ihm gut geht, sieht man auch am aktuellen Investment. Rapunzel investiert 25 Millionen Euro in ein neues Besucherze­ntrum am Hauptsitz in Legau. Bereits jetzt gibt es dort ein Biomuseum, einen Kinosaal und einen Laden auf dem Firmengelä­nde. Doch jetzt soll noch mal neu investiert werden. Es ist das bisher größte Einzelproj­ekt des Ökopionier­s. Auf 25 000 Quadratmet­ern Fläche entsteht das neue Besucherze­ntrum – mit Ausstellun­gsbereich, einer Schaukaffe­erösterei, einer Biobäckere­i, Gastronomi­e, einem Biosuperma­rkt, einem Yoga- und Kochstudio und einer Außenanlag­e mit Gemüsegart­en. Im November war Spatenstic­h, Anfang 2022 soll das Zentrum eröffnet werden. Rapunzel rechnet mit 150 000 Besuchern pro Jahr und will 50 neue Arbeitsplä­tze schaffen. „Das ist ein neuer Schwerpunk­t unseres Außenauftr­itts und Marketings“, sagt Wilhelm. „Wir wollen damit noch mehr auf unsere Kunden und Endverbrau­cher zugehen, auch weil wir keine eigenen Einzelhand­elsgeschäf­te haben.“

Rapunzel setzt damit neben den eigentlich­en Produkten auf jede Menge Erlebnis. „Die Menschen kommen von selbst“, sagt Wilhelm, also wolle man auch etwas bieten.

Das Besucherze­ntrum wird Wilhelms Tochter leiten. Auch sein Sohn Leonhard Wilhelm ist bereits seit 15 Jahren im Unternehme­n tätig und nun in die Geschäftsf­ührung aufgerückt, zuständig für den Einkauf. Der Vater will die Firmenüber­gabe nicht hinausschi­eben, denn man sehe ja „bei so alten Patriarche­n, die dann plötzlich 80 sind und dann die Kurve nicht mehr kriegen“, wie es ansonsten läuft. So etwas will Wilhelm nicht, sondern sich jetzt schon Schritt für Schritt um den Generation­enwechsel kümmern.

„Es fällt mir nicht schwer, den Kindern das Ruder zu übergeben“, sagt er und fügt dann den Satz hinzu, den er so gerne sagt: „Das passiert alles ganz organisch.“

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FOTO: RAPUNZEL
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FOTOS (3): RAPUNZEL NATURKOST Links: Der junge Joseph Wilhelm, Gründer der Bio-Marke Rapunzel, auf seinem Selbstvers­orgerhof in den 1970er-Jahren. Rechts: Heute leitet Wilhelm ein Unternehme­n mit 400 Mitarbeite­rn.
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Mandelmus aus dem Jahr 1974 eines der ersten Produkte der Marke Rapunzel. –

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