Zweifel am Zeitplan der CDU für die Kanzlerkandidatur
Oettinger fordert Klärung bis zum Sommer – Kretschmann sieht „krisenhafte Situation“
- Nach der Rücktrittsankündigung von CDU-Chefin Annegret KrampKarrenbauer wachsen in der Union die Zweifel an ihrem Zeitplan zur Suche nach einem Kanzlerkandidaten. Bislang sah dieser vor, dass die CDU erst im Dezember in Stuttgart ihren Kandidaten für die Nachfolge von Angela Merkel kürt.
Das ist der Schwesterpartei deutlich zu lang. Auch die Nachfolge von Kramp-Karrenbauer, die ihren Posten nach der Kandidatenkür abgeben will, müsse schneller geklärt werden, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am Dienstag. „Krisenhafte Situationen bewältigt man nicht durch das Zelebrieren der Krise, sondern durch Handeln“, erklärte er. Ähnlich äußerte sich Parteichef Markus Söder am Dienstagabend in Neu-Ulm. Söder betonte erneut, dass er sich selbst nicht als nächsten Kanzlerkandidaten der Union sehe. Sein Platz sei in München. „Das Schönste an Berlin ist der Weg nach Bayern“, sagte der CSU-Chef.
Jedoch häufen sich auch in der CDU die Stimmen, die vor einem monatelangem Vakuum an der Parteispitze warnen. Kramp-Karrenbauer werde den Prozess seines Erachtens zwar steuern, „aber er muss vor der Sommerpause zu einem Ergebnis kommen“, , sagte Günther Oettinger (CDU), der frühere Ministerpräsident Baden-Württembergs, der „Schwäbischen Zeitung“.
In Stuttgart zeigte sich Winfried Kretschmann besorgt. Deutschland sei bisher ein Hort der Stabilität in Europa gewesen, sagte der Ministerpräsident. Die Vorgänge in Thüringen hätten aber „einen Schub der Instabilität“erzeugt. CDU und FDP seien der perfiden Strategie der AfD auf den Leim gegangen. „Wir sind schon in einer krisenhaften Situation“, erklärte der Grünen-Politiker, fügte aber hinzu: „Krisen sind Momente der Entscheidung.“Dass der FDP-Politiker Thomas Kemmerich seinen Rücktritt als Ministerpräsident Thüringens erklärt habe, sei ein gutes Zeichen. „Nachdem, was da geschehen ist, hat erst mal die Demokratie erfolgreich interveniert.“
In puncto CDU zeigte sich Kretschmann, der mit den Christdemokraten im Südwesten regiert, zuversichtlich. Zwar habe nun auch die CDU – genau wie zuvor die SPD – eine Führungskrise. Er gehe aber davon aus, dass die Kanzlerin im Amt bleibe. Auch werde die CDU aus der Krise herausfinden. Die Grünen seien zwar eine starke Stütze im Parteiensystem, könnten aber weder SPD noch CDU ersetzen: „Da würden wir uns gewaltig übernehmen.“
- Aus Sicht von Günther Oettinger muss die Union bis Juli festlegen, wer für sie als Kanzlerkandidat nach der nächsten Bundestagswahl antritt. Eine von Teilen der Jungen Union geforderte Mitgliederbefragung lehnt der frühere badenwürttembergische Ministerpräsident und Ex-EU-Kommissar ab: Die Entscheidung müsse „über Gremiensitzungen und einen Parteitag“zustande kommen, sagte Oettinger im Gespräch mit Hendrik Groth und Ulrich Mendelin.
Herr Oettinger, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) will die Suche nach einem Kanzlerkandidaten bis in den Winter hinein steuern, erst im Dezember soll ein Bundesparteitag letztlich entscheiden. Glauben Sie, die Parteichefin hat die Autorität, den Prozess so lange zu steuern?
Meines Erachtens wird sie den Prozess steuern – aber er muss vor der Sommerpause zu einem Ergebnis kommen. CDU und CSU müssen über Gremiensitzungen und einen Parteitag bis Juli entscheiden, wer ihr Kanzlerkandidat für die kommende Bundestagswahl ist.
Eine Wurzel der aktuellen Probleme sind die Abgrenzungsbeschlüsse der CDU sowohl zur Linken als auch zur AfD. Das ist ein Problem insbesondere für die ostdeutschen CDU-Landesverbände. Wie sollen die mit den schwierigen Mehrheitsverhältnissen in ihren Landtagen umgehen?
Herrn Ramelow zu wählen, wäre falsch. Er ist zwar ein pragmatischer Regierungschef – aber auch ein führender Kopf der Linken, und damit der Nachfolgepartei der SED/PDS.
Aber ihn zu akzeptieren, indem man sich der Stimme enthält, halte ich für den richtigen Weg. Es wäre besser gewesen, die CDU-Landtagsfraktion in Thüringen hätte schon in der vergangenen Woche im dritten Wahlgang nicht den FDP-Kandidaten gewählt, sondern durch Enthaltung Herrn Ramelow geduldet.
Angela Merkel hat von Südafrika aus das Stimmverhalten der Thüringer CDU-Abgeordneten als „unverzeihlich“bezeichnet. Ist die Kanzlerin im Moment so etwas wie eine Interims-Parteichefin?
Die Parteichefin ist AKK. Und mit ihr verantwortlich sind die stellvertretenden Vorsitzenden. Auch sie müssen ihr Gewicht in die Waagschale legen.
In den vergangenen Jahren war eine Kanzlerschaft gegen die Union überhaupt nicht denkbar. Ändert sich das gerade?
Eine rot-rot-grüne oder grün-rot-rote Regierung kann ein mögliches Szenario nach der nächsten Bundestagswahl sein. Deswegen brauchen wir eine starke CDU und CSU, um dies schon rein rechnerisch zu verhindern.
AKK begründet ihren Rückzug damit, dass Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz in einer Hand liegen sollten. Was aber, wenn der nächste Kanzlerkandidat von der CSU käme?
Markus Söder wird Regierungschef in Bayern bleiben. Er muss sich bei der nächsten Landtagswahl behaupten. Deswegen glaube ich nicht, dass er Interesse hat, im nächsten Jahr als Kanzler zu kandidieren.
Alle anderen möglichen CDUKanzlerkandidaten kommen aus Nordrhein-Westfalen. Spielt die CDU Baden-Württemberg überhaupt noch eine Rolle im Machtgefüge der Union?
Ich war gerade am Montagabend in der baden-württembergischen Landesgruppe der CDU-Bundestagsfraktion zu Gast. Baden-Württemberg muss auch in der Generation nach Wolfgang Schäuble, unserem letzten großen Mann in der ersten Reihe der Bundespolitik, Anspruch auf führende Funktionen erheben.
Wen haben Sie da im Sinn?
Frau Widmann-Mauz ist eine sehr kompetente, erfahrene und noch immer junge Frau. Andreas Jung ist hochqualifiziert, und es gibt Thomas Bareiß und Steffen Bilger, beide sind Staatssekretäre.
Könnte es sein, dass am Ende eines langen Auswahlprozesses zur Kanzlerkandidatur das Ergebnis stehen wird, das Angela Merkel noch einmal zur Wahl antritt?
Das halte ich für nicht denkbar.