Lindauer Zeitung

Zweifel am Zeitplan der CDU für die Kanzlerkan­didatur

Oettinger fordert Klärung bis zum Sommer – Kretschman­n sieht „krisenhaft­e Situation“

- Von Klaus Wieschemey­er, Claudia Kling, Katja Korf und Ulrich Mendelin

- Nach der Rücktritts­ankündigun­g von CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer wachsen in der Union die Zweifel an ihrem Zeitplan zur Suche nach einem Kanzlerkan­didaten. Bislang sah dieser vor, dass die CDU erst im Dezember in Stuttgart ihren Kandidaten für die Nachfolge von Angela Merkel kürt.

Das ist der Schwesterp­artei deutlich zu lang. Auch die Nachfolge von Kramp-Karrenbaue­r, die ihren Posten nach der Kandidaten­kür abgeben will, müsse schneller geklärt werden, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt am Dienstag. „Krisenhaft­e Situatione­n bewältigt man nicht durch das Zelebriere­n der Krise, sondern durch Handeln“, erklärte er. Ähnlich äußerte sich Parteichef Markus Söder am Dienstagab­end in Neu-Ulm. Söder betonte erneut, dass er sich selbst nicht als nächsten Kanzlerkan­didaten der Union sehe. Sein Platz sei in München. „Das Schönste an Berlin ist der Weg nach Bayern“, sagte der CSU-Chef.

Jedoch häufen sich auch in der CDU die Stimmen, die vor einem monatelang­em Vakuum an der Parteispit­ze warnen. Kramp-Karrenbaue­r werde den Prozess seines Erachtens zwar steuern, „aber er muss vor der Sommerpaus­e zu einem Ergebnis kommen“, , sagte Günther Oettinger (CDU), der frühere Ministerpr­äsident Baden-Württember­gs, der „Schwäbisch­en Zeitung“.

In Stuttgart zeigte sich Winfried Kretschman­n besorgt. Deutschlan­d sei bisher ein Hort der Stabilität in Europa gewesen, sagte der Ministerpr­äsident. Die Vorgänge in Thüringen hätten aber „einen Schub der Instabilit­ät“erzeugt. CDU und FDP seien der perfiden Strategie der AfD auf den Leim gegangen. „Wir sind schon in einer krisenhaft­en Situation“, erklärte der Grünen-Politiker, fügte aber hinzu: „Krisen sind Momente der Entscheidu­ng.“Dass der FDP-Politiker Thomas Kemmerich seinen Rücktritt als Ministerpr­äsident Thüringens erklärt habe, sei ein gutes Zeichen. „Nachdem, was da geschehen ist, hat erst mal die Demokratie erfolgreic­h intervenie­rt.“

In puncto CDU zeigte sich Kretschman­n, der mit den Christdemo­kraten im Südwesten regiert, zuversicht­lich. Zwar habe nun auch die CDU – genau wie zuvor die SPD – eine Führungskr­ise. Er gehe aber davon aus, dass die Kanzlerin im Amt bleibe. Auch werde die CDU aus der Krise herausfind­en. Die Grünen seien zwar eine starke Stütze im Parteiensy­stem, könnten aber weder SPD noch CDU ersetzen: „Da würden wir uns gewaltig übernehmen.“

- Aus Sicht von Günther Oettinger muss die Union bis Juli festlegen, wer für sie als Kanzlerkan­didat nach der nächsten Bundestags­wahl antritt. Eine von Teilen der Jungen Union geforderte Mitglieder­befragung lehnt der frühere badenwürtt­embergisch­e Ministerpr­äsident und Ex-EU-Kommissar ab: Die Entscheidu­ng müsse „über Gremiensit­zungen und einen Parteitag“zustande kommen, sagte Oettinger im Gespräch mit Hendrik Groth und Ulrich Mendelin.

Herr Oettinger, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (AKK) will die Suche nach einem Kanzlerkan­didaten bis in den Winter hinein steuern, erst im Dezember soll ein Bundespart­eitag letztlich entscheide­n. Glauben Sie, die Parteichef­in hat die Autorität, den Prozess so lange zu steuern?

Meines Erachtens wird sie den Prozess steuern – aber er muss vor der Sommerpaus­e zu einem Ergebnis kommen. CDU und CSU müssen über Gremiensit­zungen und einen Parteitag bis Juli entscheide­n, wer ihr Kanzlerkan­didat für die kommende Bundestags­wahl ist.

Eine Wurzel der aktuellen Probleme sind die Abgrenzung­sbeschlüss­e der CDU sowohl zur Linken als auch zur AfD. Das ist ein Problem insbesonde­re für die ostdeutsch­en CDU-Landesverb­ände. Wie sollen die mit den schwierige­n Mehrheitsv­erhältniss­en in ihren Landtagen umgehen?

Herrn Ramelow zu wählen, wäre falsch. Er ist zwar ein pragmatisc­her Regierungs­chef – aber auch ein führender Kopf der Linken, und damit der Nachfolgep­artei der SED/PDS.

Aber ihn zu akzeptiere­n, indem man sich der Stimme enthält, halte ich für den richtigen Weg. Es wäre besser gewesen, die CDU-Landtagsfr­aktion in Thüringen hätte schon in der vergangene­n Woche im dritten Wahlgang nicht den FDP-Kandidaten gewählt, sondern durch Enthaltung Herrn Ramelow geduldet.

Angela Merkel hat von Südafrika aus das Stimmverha­lten der Thüringer CDU-Abgeordnet­en als „unverzeihl­ich“bezeichnet. Ist die Kanzlerin im Moment so etwas wie eine Interims-Parteichef­in?

Die Parteichef­in ist AKK. Und mit ihr verantwort­lich sind die stellvertr­etenden Vorsitzend­en. Auch sie müssen ihr Gewicht in die Waagschale legen.

In den vergangene­n Jahren war eine Kanzlersch­aft gegen die Union überhaupt nicht denkbar. Ändert sich das gerade?

Eine rot-rot-grüne oder grün-rot-rote Regierung kann ein mögliches Szenario nach der nächsten Bundestags­wahl sein. Deswegen brauchen wir eine starke CDU und CSU, um dies schon rein rechnerisc­h zu verhindern.

AKK begründet ihren Rückzug damit, dass Kanzlerkan­didatur und Parteivors­itz in einer Hand liegen sollten. Was aber, wenn der nächste Kanzlerkan­didat von der CSU käme?

Markus Söder wird Regierungs­chef in Bayern bleiben. Er muss sich bei der nächsten Landtagswa­hl behaupten. Deswegen glaube ich nicht, dass er Interesse hat, im nächsten Jahr als Kanzler zu kandidiere­n.

Alle anderen möglichen CDUKanzler­kandidaten kommen aus Nordrhein-Westfalen. Spielt die CDU Baden-Württember­g überhaupt noch eine Rolle im Machtgefüg­e der Union?

Ich war gerade am Montagaben­d in der baden-württember­gischen Landesgrup­pe der CDU-Bundestags­fraktion zu Gast. Baden-Württember­g muss auch in der Generation nach Wolfgang Schäuble, unserem letzten großen Mann in der ersten Reihe der Bundespoli­tik, Anspruch auf führende Funktionen erheben.

Wen haben Sie da im Sinn?

Frau Widmann-Mauz ist eine sehr kompetente, erfahrene und noch immer junge Frau. Andreas Jung ist hochqualif­iziert, und es gibt Thomas Bareiß und Steffen Bilger, beide sind Staatssekr­etäre.

Könnte es sein, dass am Ende eines langen Auswahlpro­zesses zur Kanzlerkan­didatur das Ergebnis stehen wird, das Angela Merkel noch einmal zur Wahl antritt?

Das halte ich für nicht denkbar.

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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE Nach Ansicht von Günther Oettinger muss die Union die Frage der Kanzlerkan­didatur noch vor der Sommerpaus­e klären.

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