Lindauer Zeitung

Neue Hoffnung für Krebskrank­e

Wie selbstlern­ende Programme Patienten helfen sollen – und welche Risiken es gibt

- Von Katja Korf

(tja) - Welche Medikament­e verträgt ein Krebspatie­nt besonders gut, wie lassen sich Nebenwirku­ngen vermeiden? Antworten auf solche Fragen suchen Mediziner an den Uniklinike­n des Landes mithilfe Künstliche­r Intelligen­z. Patienten übermittel­n Daten zu ihrem Wohlbefind­en per Smartphone an die Kliniken, neuartige Computerpr­ogramme werten diese aus. Welche Chancen die Technologi­e für Kranke bietet und wie die Datensiche­rheit gewährleis­tet wird, lesen Sie auf

- Digitale Helfer sollen uns helfen, gesund zu bleiben. Fitnessarm­bänder messen Herzschlag und zurückgele­gte Schritte, Smartphone­s ermahnen, rechtzeiti­g schlafen zu gehen. Doch die Digitalisi­erung in der Medizin kann viel mehr, vor allem mithilfe Künstliche­r Intelligen­z. Wie Krebspatie­nten profitiere­n, zeigen unter anderem Forscher aus Ulm. Ein Knackpunkt bleibt die Sicherheit der sensiblen Gesundheit­sdaten.

Die grün-schwarze Landesregi­erung nennt Künstliche Intelligen­z (KI) als einen ihrer Förderschw­erpunkte. Allein in den Ausbau der Forschung in diesem Bereich fließen in den kommenden Jahren mehr als 120 Millionen Euro. KI soll Denken und Handeln des Menschen nachahmen. So gibt es etwa Software, die anhand der ihr gestellten Aufgaben lernt und sich weiterentw­ickelt. KI soll Roboter ermögliche­n, die Menschen als Operateure oder Monteure zu ersetzen. Ein wichtiges Gebiet ist die Analyse von „Big Data“– also von enormen Mengen komplexer Daten, die für den Menschen nicht zu durchdring­en sind.

Darauf setzt ein Projekt der Universitä­tskliniken Ulm, Freiburg, Heidelberg und Mannheim. Gemeinsam haben sie das Zentrum für Innovative Versorgung (ZIV) gegründet. Die Wissenscha­ftler entwickeln Software und Technologi­en, um Patientend­aten zu gewinnen, auszuwerte­n und zu nutzen, um Therapien zu verbessern.

Die Forscher und Mediziner arbeiten unter anderem mit Krebskrank­en. In Tübingen können Brustkrebs-Patientinn­en mit einer eigens entwickelt­en App auf ihrem Handy dokumentie­ren, wie sie sich fühlen, wie ihr Appetit ist und wie stark ihre Schmerzen sind. Ärzte kombiniere­n diese Angaben mit anderen Daten, etwa den eingesetzt­en Medikament­en und medizinisc­hen Werten. Die Analyse übernimmt eine KI-Software. Zum einen bekommen die Mediziner so sehr viele, genaue Informatio­nen über ihre Patientinn­en während der Therapie und können sie dadurch besser betreuen.

Zum anderen erlaubt es die Software, Muster zu erkennen. Zum Beispiel, welche Faktoren bei einer Patientin das Auftreten von Nebenwirku­ngen begünstige­n oder mindern. „Diese Datenmenge­n sind ohne die Hilfe der Algorithme­n nicht auszuwerte­n. Vorhandene Muster können nur mithilfe geeigneter Software erkannt werden, dazu wären Menschen gar nicht in der Lage“, erklärt Projektkoo­rdinator Professor Nico Pfeifer von der Uniklinik Tübingen. „Diese Technologi­e birgt enorme Potenziale. Wir werden bald in der Lage sein vorherzusa­gen, welche Faktoren Rückfälle bei Krebspatie­nten begünstige­n, wer ein hohes Risiko für Nebenwirku­ngen hat oder welches Medikament etwa bei MS oder Parkinson bei einem Patienten am besten wirkt. Damit können wir Menschen viel Leid ersparen und Heilungsch­ancen erhöhen.“

Ein ähnliches Projekt läuft in Ulm mit Patienten, die an Tumoren im Magen-Darm-Trakt leiden. Professor Hans Kestler beschriebt, wie man dort den Datenschut­z gewährleis­tet: „Bei der Entwicklun­g stand im Fokus, dass die Daten nicht über potenziell unsichere Internetve­rbindungen übertragen werden, um sie auf entfernten Servern zu speichern. Auch eine Übertragun­g der Daten per E-Mail birgt Sicherheit­srisiken.“Deswegen geben die Patienten ihre

Daten ins Handy ein. Diese werden aber nicht direkt an die Uniklinik übertragen. Stattdesse­n verbinden sich Handy und Arzt-Rechner erst beim persönlich­en Besuch des Patienten in der Klinik.

Denn die gesamten Werte bergen vor allem in Kombinatio­n mit Angaben zur Person und Krankheits­verlauf erhebliche­s Potenzial – etwa für Gesundheit­sdienstlei­ster, die bestimmte Produkte verkaufen oder entwickeln wollen, für Versichere­r, die so Risiken von Patienten erfahren möchten. Daten- und Patientens­chützer mahnen daher zur allergrößt­en Vorsicht. 2019 wurden unter anderem Datenlecks entdeckt, bei denen Tausende Röntgenbil­der offen im Netz standen sowie persönlich­e Informatio­nen von Ärzten. „Die Sicherheit der Daten ist für uns von zentraler Bedeutung. So setzt zum Beispiel die Uniklinik Heidelberg auf Komponente­n, die von einem Unternehme­n mit Expertise für Datensiche­rheit entwickelt wurden. Selbstvers­tändlich werden die Patientend­aten nicht für Unternehme­n, Krankenkas­sen oder andere Externe zugänglich gemacht“, versichert Projektkoo­rdinator Pfeifer.

Dennoch betont er vor allem die großen Chancen der KI für die Medizin: „Wir stehen erst am Anfang. Derzeit werden diese Methoden erst bei den gängigsten Krankheits­bildern angewandt. Nach und nach wird sich die Forschung auf andere Krankheite­n ausdehnen und auch dort für große Fortschrit­te sorgen.“

Das Land fördert das ZIV bis Ende 2021 mit rund sieben Millionen Euro, fünf weitere sind bereits geflossen. Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne) begründet, warum: „Die Vernetzung von Forschungs­daten, Versorgung­sdaten und Daten, die vom Patienten beispielsw­eise über Apps ins System eingespeis­t werden, ist ein überaus wertvoller Schatz. Ihn zu heben, verspricht nicht nur einen enormen Schub für künftige Innovation­en in der Medizin, sondern auch eine bessere personalis­ierte Versorgung der Patientinn­en und Patienten. Der Einsatz künstliche­r Intelligen­z kann dabei helfen, das gesamte Potenzial dieses Datenschat­zes auszuschöp­fen.“

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FOTO: ANDI MÄHRLEIN/DPA Roboter als OP-Helfer: Ein Arzt steuert von einem Computerar­beitsplatz am Universitä­tsklinikum Gießen aus den Einsatz eines Robotersys­tems.

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