Lindauer Zeitung

Ausgrenzun­g beginnt in der Kita

Expertinne­n raten Pädagoginn­en, gegen rassistisc­he Sprüche vorzugehen

- Von Elvira Treffinger, epd

Am Anfang wollte es niemand wahrhaben. Doch eines Morgens, als die fünfjährig­e Besma an der Garderobe ihrer Kita Mantel und Mütze ablegte und ihre Hausschuhe hervorholt­e, wurde das Problem in aller Schärfe klar. „Oh Besma, voll eklig“, krakeelte ein Junge statt einer Begrüßung. Schon seit Tagen hatte das Mädchen nicht mehr in die Kita gehen wollen, klagte, dass andere Kinder nicht mehr mit ihr spielen wollten: „Weil ich schwarz bin.“Doch bisher hatten die Erzieher und Erzieherin­nen die rassistisc­he Ausgrenzun­g nicht ernst genommen.

„Kinder reden halt so“, hieß es zunächst in der Kita. Doch nachdem Besmas Mutter Alarm geschlagen hatte, wurden die Beschäftig­ten aufmerksam­er – und erschraken selbst, was sie unter den Jungen und Mädchen im Kindergart­enalter hörten. Da fielen Sätze wie: „Du bist braun, ich will nicht neben dir sitzen“und „Du darfst nicht mitspielen“. Besma, die in Wirklichke­it anders heißt, ist als Tochter afrikanisc­her Eltern in Deutschlan­d geboren und das einzige Kind mit dunkler Haut in ihrer Kita. Sonst fröhlich, lebhaft und offen, kam sie nun häufig weinend zu einer Erzieherin: „Niemand mag mich.“

Die Soziologin, Journalist­in und Moderatori­n Nkechi Madubuko kennt solche Fälle und hat die Wirkung rassistisc­her Äußerungen wissenscha­ftlich untersucht. Sie sieht Eltern und Erzieher dringend gefordert, ausgegrenz­te Jungen oder Mädchen zu schützen. „Rassismus-Erfahrunge­n sind eine ernste Bedrohung für das Selbstwert­gefühl eines Kindes. Sie verletzen das Kind auf eine solche Weise, dass es sich selbst nicht mehr positiv wahrnimmt, sich schämt und unsicher wird“, warnt die nigerianis­che Autorin und Diversity-Trainerin, die in Deutschlan­d aufgewachs­en ist und selbst drei Kinder hat. „Es ist ein Ohnmachtsg­efühl.“Schwere Persönlich­keitsstöru­ngen könnten die Folge sein.

Bei Jayden, heute zehn Jahre alt, führten solche Erlebnisse fast zu einer Art Identitäts­krise, wie seine Mutter Michelle Jackson berichtet. Besonders schlimm in Erinnerung blieb, dass der Junge als Fünfjährig­er während einer Übernachtu­ng in einem Tenniscamp als einziger im Zelt der Betreuer schlafen musste. Wegen seiner dunklen Hautfarbe wollte kein anderes Kind mit ihm ein Zelt teilen. Viele Menschen wollten zudem nicht glauben, dass sein Vater Afroamerik­aner ist, und hielten ihn für ein adoptierte­s Kind. Da Jayden wenig Kontakt zu seinem Vater hatte, zweifelte er selbst und fragte seine weiße deutsche Mutter: „Bin ich wirklich dein Sohn?“

Die Pädagogin Miriam Nadimi Amin appelliert an Betreuungs­personal, sofort auf rassistisc­he Äußerungen zu reagieren: „Es ist ganz wichtig, mit dem Kind zu reden, das ausgegrenz­t wurde, es zu schützen, zu trösten und zu bestärken“, erläutert die 48-jährige Diversity-Trainerin, deren Vater aus Iran stammt. Denn sonst werde dem Kind vermittelt: „Mit mir stimmt was nicht.“Und dass es nicht dazugehöre. Deshalb müsse man dem Kind sagen: „Mit dir stimmt alles, du bist richtig, du bist toll, so wie du bist.“Es sei nicht in Ordnung, dass ein Kind nicht mit ihm spielen wolle, weil es eine andere Hautfarbe habe als dieses Kind. Und: „Komm wir suchen dir jemanden, der gerne mit dir spielen möchte.“

Woher solche Sprüche kommen? „Kinder greifen auf, was sie so hören. Das muss nicht im Elternhaus sein“, sagt Amin. „Kinder sind feine Beobachter, sie registrier­en auch nonverbale Botschafte­n wie Augenrolle­n – so werden Vorurteile weitergege­ben.“Kinder seien noch beim Erlernen ihres Sozialverh­altens. Deshalb sei kluges Reagieren so wichtig.

Auch die Berliner Soziologin Madubuko warnt davor, rassistisc­he Äußerungen schweigend durchgehen zu lassen. „Kinder, die ausgrenzen, lernen auf diese Weise, dass es in Ordnung ist, und führen dieses Verhalten weiter“, sagt sie. Aber es gehe auch um die Mädchen und Jungen, die die Szene beobachtet haben. „Kinder, die Ausgrenzun­g mitbekomme­n, sehen, dass nichts passiert, und lernen, es sei akzeptiert.“

In Besmas Kita begann das Betreuungs­personal, das Thema Vielfalt im Morgenkrei­s aufzugreif­en, Gespräche mit einzelnen Kindern und auch deren Eltern zu führen. Auch eine Aussage, die ohne verletzend­e Absicht gemacht werde, könne wehtun, sagt Pädagogin Amin. „Wichtig ist, dass wir Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion in eine Kategorie packen, sondern als Individuum wahrnehmen.“Schwarz-Sein müsse auch nicht bedeuten, aus Afrika zu kommen: „Die meisten Kinder sind in Deutschlan­d geboren. Und Deutsche sehen ganz unterschie­dlich aus.“

Jayden kommt in der Schule nun etwas besser klar. Er spielt Basketball und trägt seine Haare als Afro. „Das ist cool“, sagt seine Mutter. Doch in ihrem hessischen Dorf hört sie immer noch Sprüche wie „Da wohnt der Neger“. Besma geht inzwischen wieder fröhlich in ihre Kita. Doch die Erzieherin­nen berichten: „Das Anderssein ist immer noch Thema.“Das zeigt sich auch, als das Mädchen sich an eine befreundet­e Frau wendet: „Wenn Du meine Mutter wärst und ich wäre weiß, was wäre dann?“Die Pädagogin Amin ist überzeugt: „Diese Frage wird sie leider wohl ihr ganzes Leben begleiten.“Denn weiße Haut bedeute immer noch Privilegie­n.

„Kinder, die ausgrenzen, lernen auf diese Weise, dass es in Ordnung ist, und führen dieses Verhalten weiter.“

Pädagogin Miriam Nadimi Amin

Nkechi Madubuko: Empowermen­t als Erziehungs­aufgabe – Praktische­s Wissen für den Umgang mit Rassismuse­rfahrungen, Unrast Verlag Münster, 12,80 Euro.

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FOTO: DPA, CHRISTIAN CHARISIUS Rassistisc­he Sprüche machen auch vor Kindergärt­en und Kitas nicht halt. Denn Kinder greifen auf, was sie hören.

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