Lindauer Zeitung

„Übernächti­gt, erschöpft, verstört“

Am 13. Februar jährt sich zum 75. Mal die Bombardier­ung von Dresden – Der Ravensburg­er Günter Peitz überlebte das Inferno als Siebenjähr­iger

- Von Sibylle Emmrich

- An den Faschingsd­ienstag vor 75 Jahren kann sich Günter Peitz noch genau erinnern. Der Journalist und langjährig­e Redakteur der „Schwäbisch­en Zeitung“Ravensburg (1969-2001) war damals, am 13. Februar 1945, gut sieben Jahre alt und vergnügte sich – im sechsten Kriegsjahr – kostümiert auf den Straßen in seinem Dresdner Heimatvier­tel Striesen. Die folgende Nacht sollte Dresden den Untergang im Inferno des Bombenkrie­gs bringen – und Günter Peitz das jähe Ende einer unbeschwer­ten Kindheit. „Von 22.13 bis 22.28 Uhr fielen die ersten Bomben. 244 britische LancasterB­omber der No. 5 Bomber Group zerstörten die Gebäude mit 529 Luftminen und 1800 Spreng- und Brandbombe­n mit insgesamt 900 Tonnen Gewicht.“(zitiert nach Wikipedia, Luftangrif­f auf Dresden).

„Der Abendhimme­l war sternenkla­r. Von meinem Vater ist überliefer­t, dass er besorgt nach oben blickte und in dunkler Vorahnung prophezeit­e: ‚Heute könnten die kommen’“. Vater Peitz, als Bauunterne­hmer „unabkömmli­ch“gestellt, hatte beim Bau von Lazarettbu­nkern in der Kriegshafe­nstadt Kiel schon einige Bombenangr­iffe erlebt. Er glaubte offenbar nicht daran, dass die barocke Kunststadt an der Elbe den Krieg unversehrt überstehen könnte. Und als dann um 21.45 Uhr Fliegerala­rm ertönte, die ersten von den britischen Bombern zur Orientieru­ng abgeworfen­en „Christbäum­e“den Nachthimme­l erhellten, wusste er Bescheid. „Da war ein fürchterli­ches Dröhnen in der Luft, und dann kamen die Einschläge“, erinnert sich der heute 82jährige Günter Peitz.

Die Familie – Mutter, Vater, der siebenjähr­ige Günter und seine dreijährig­e Schwester – flüchtete mit der Hausgemein­schaft in den Luftschutz­keller. „Bombeneins­chläge, die immer näher rückten, erschütter­ten das mehrgescho­ssige Haus bis in seine Grundfeste­n. Ich sah leere Blumentöpf­e auf einem Kellersims regelrecht hüpfen“: 75 Jahre später hat Günter Peitz immer noch schrecklic­he Bilder vor Augen. Wie die Familie nach dem ersten Angriff das Haus mit ein paar Habseligke­iten verließ, obwohl die eigene Wohnung da noch nicht brannte. „An das Löschen der vielen Brände war nicht zu denken. Als wir auf die Straße herauskame­n, sah ich zwar ein Feuerwehra­uto, aber es war bereits ausgeglüht. Die Dresdner Feuerwehr stand auf verlorenem Posten“, resümiert Günter Peitz. „Die Flammen der brennenden Innenstadt nach der ersten Angriffswe­lle waren im weiten Umkreis am Himmel zu sehen. Manche Brände loderten noch vier Tage lang. Um 1.23 Uhr begann die

zweite Angriffswe­lle mit 529 britischen Lancaster-Bombern ... Sie warfen bis 1.54 Uhr insgesamt 650 000 Stabbrandb­omben – 1500 Tonnen ... Ihre Bomben trafen auch die Elbwiesen und den Großen Garten, wohin viele Dresdner nach der ersten Welle geflüchtet waren.“

Vater Peitz wusste als Baumeister, dass Luftschutz­bunker schlimme Fallen sein können. Zum einen hatte er den eigenen Keller mit vielen Holzstütze­n so stabilisie­rt, dass die Kellerdeck­e auch nach dem kompletten Einsturz des mehrgescho­ssigen Hauses noch standhielt. Zum anderen scheuchte er Nachbarn, die verängstig­t in ihren Kellerlöch­ern ausharrten, heraus. Ihnen drohte sonst der Hitzeschoc­k oder der Erstickung­stod. Doch wer sich heraustrau­te, war den detonieren­den Bomben und dem Feuersturm ausgesetzt.

„Wir haben überlebt“, sagt Günter Peitz und schildert ein gespenstis­ches Szenario, als die Familie zunächst in Richtung Großer Garten flüchtete. Überall loderten Feuer, die Drähte der Straßenbel­euchtung glühten. Da kam die zweite Angriffswe­lle. „Wir flüchteten in einen fremden Keller, überlebten auch dort, wieder raus ...“Letztlich endete die Flucht quer durch Dresden auf einem Lagerplatz der väterliche­n Baufirma, wo die Familie in einer primitiven Baubaracke Unterschlu­pf fand. „Den Nachtangri­ffen folgte am 14. Februar von 12.17 bis 12.31 Uhr ein Tagesangri­ff von 311 bis 316 B-17-Bombern der US-Army-Air-Forces und zwischen 100 und 200 Begleitjäg­ern. Sie warfen ... 1800 Sprengbomb­en und 136 800 Stabbrandb­omben.“

„Übernächti­gt, erschöpft, verstört“überlebte Familie Peitz auch diesen dritten Bombenangr­iff. Günter Peitz erinnert sich: „Unser Vater befahl uns, unter einen hohen Stoß aufgeschic­hteter alter Eisenbahns­chienen zu kriechen. Bombeneins­chläge rückten bedrohlich nahe.

Der Stoß schwankte gefährlich.“Über eine kurze Zwischenst­ation in der nicht ausgebombt­en kleinen Wohnung der Großeltern ging es dann für Günter Peitz mit Mutter und Schwester in einem überfüllte­n Zug in Richtung Erzgebirge, wo sie in einem Dorf bei Bauern in der Dachkammer Unterschlu­pf fanden.

„Das Schlimmste war für mich, dass meine Märklin-Eisenbahn verbrannt ist“, die wollte er später aus den Ruinen des zerbombten Elternhaus­es ausbuddeln. Ohne Erfolg. Fast nichts ist geblieben aus der Zeit vor jenem 13. Februar 1945. Die Diagnose von Sohn und Schwiegert­ochter, dass er immer noch traumatisi­ert sei, lässt Günter Peitz nicht gelten. „Ich habe doch ein schönes Leben gehabt“, sagt der Optimist. Habe er doch das Glück gehabt – nach Flucht aus der DDR noch vor dem Mauerbau – im schönen Oberschwab­en heimisch zu werden.

Nach Dresden zieht es ihn kaum mehr. Aber wenn der 13. Februar naht, dann werden doch schrecklic­he Erinnerung­en wach. Besonders jetzt, 75 Jahre später. Und dass neue und unverbesse­rliche alte Nazis sich des Gedenkens an die Bombardier­ung Dresdens bemächtige­n wollten, erbost ihn besonders: „Ich gehöre zu den Dresdnern, die das total ablehnen, dass die Rechten das vereinnahm­en.“

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FOTOS: AKG-IMAGES/SEM Fast vollständi­g zerstört wurde die Dresdner Innenstadt zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 bei Luftangrif­fen der westlichen Alliierten. Bis zu 25 000 Menschen kamen dabei ums Leben.
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Günter Peitz erinnert sich noch genau an die Bombardier­ung seiner Heimatstad­t vor 75 Jahren.

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