Lindauer Zeitung

Fanatiker ließen kranke Tochter sterben

Fünf Jahre Haft für deutsches Ehepaar wegen grober Vernachläs­sigung mit Todesfolge

- Von Fabian Nitschmann

(dpa) - Ein deutsches Ehepaar ist in Österreich wegen grober Vernachläs­sigung einer unmündigen Person mit Todesfolge zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Paar hatte seine Tochter laut Anklage ohne notwendige medizinisc­he Hilfe sterben lassen.

Es ist eine der entscheide­nden Fragen der Richterin: Sie will wissen, ob aus der Sicht des Angeklagte­n die Menschen nicht in die Natur, in Gottes Pläne, eingreifen dürfen. Der 39 Jahre alte Mann vor ihr überlegt lange. Er ist in Österreich angeklagt – wegen Mordes durch Unterlassu­ng an seiner eigenen Tochter, die unter schweren Schmerzen mit 13 Jahren starb. Der Angeklagte ist streng gläubig, Mitglied einer Freikirche, er bezeichnet sich als Missionar und Prediger.

Seine chronisch kranke Tochter brachte er auch am 17. September 2019, ihrem Todestag, nicht in ein Krankenhau­s. Stattdesse­n betete und fastete er – und wartete auf eine wundersame Heilung. Vor Gericht machte er deutlich, dass er sich wegen seines Glaubens streng zur Wahrheit verpflicht­et fühlt. Dann beantworte­t er die Frage der Richterin: „Ja.“Er habe bis zum Schluss auf Gott vertraut.

Der Deutsche, geboren in Usbekistan, musste sich am Mittwoch gemeinsam mit seiner 35-jährigen, in Kasachstan geborenen Frau vor dem Landesgeri­cht in Krems verantwort­en. Beide gaben zu, dass sie ihr Kind vernachläs­sigt und Hilfe unterlasse­n haben, ein Mord waren die Geschehnis­se vor fünf Monaten ihrer Meinung nach aber nicht. Das Geschworen­engericht

folgte dieser Sicht und verurteilt­e beide letztlich nicht wegen Mordes, aber wegen grober Vernachläs­sigung einer unmündigen Person mit Todesfolge zu fünf Jahren Haft. In dieser Beurteilun­g waren sich die acht Laienricht­er einig.

Das Mädchen starb nur zehn Tage nach seinem 13. Geburtstag. Laut Anklagesch­rift litt es an einer chronische­n Entzündung der Bauchspeic­heldrüse. Ein Kinderarzt erklärte vor Gericht, dass das Mädchen mit einer Infusionst­herapie und mit Insulin hätte gerettet werden können – auch noch kurz vor dem Tod. Die 13Jährige hätte demnach zwar nicht völlig von der Bauchspeic­heldrüsene­ntzündung geheilt werden können, aber die Erkrankung sei sehr gut behandelba­r. „Kinder können damit gut überleben“, sagte der Arzt.

Im Sommer 2017 war das damals schwer kranke Kind in lebensbedr­ohlichem Zustand auf Drängen des Jugendamte­s im Krankenhau­s, dort wurde die Diagnose gestellt. Die Eltern gaben an, in den Tagen danach Kontrollte­rmine bei Ärzten wahrgenomm­en zu haben – danach sah das

Kind keinen Mediziner mehr, soll den Eltern zufolge aber auch keine weiteren Gesundheit­sprobleme gehabt haben. Laut einem Gutachter verläuft die diagnostiz­ierte Krankheit „typischerw­eise schubweise“.

Als das Mädchen im September 2019 über Bauchschme­rzen klagte, brachten die Eltern das zunächst mit der ersten Periode des Mädchens in Verbindung. Doch der Gesundheit­szustand der Tochter verschlech­terte sich weiter – und das Ehepaar ließ das Kind entscheide­n, ob es ins Krankenhau­s will oder nicht. „Das war falsch“, bekennt der Angeklagte. Er sagt das sehr oft, es wirkt ein wenig auswendig gelernt.

„Sind Sie überzeugt, dass Gott Kranke heilen kann?“, will die Staatsanwä­ltin wissen. „Ja“, sagt der Angeklagte, darauf habe er „bis zuletzt“gehofft und vertraut, seine Frau formuliert es fast wortgleich. Bei der Aussage einer Ärztin, die einen Tag nach dem Tod mit den Eltern sprach, klingt das drastische­r: „Entweder er (Gott) heilt sie oder nicht“, zitiert sie den Vater.

„Ich hab' mit ihr gesprochen, sie gestreiche­lt, ihr zu trinken gegeben. Ich hab' geglaubt, dass Gott sie gesund macht“, sagt die 35-Jährige, die bei ihrer Aussage immer wieder zu weinen beginnt, über die Stunden am Sterbebett.

Die Mutter beschreibt ihre gestorbene Tochter als lebendiges Kind, das gerne Detektivge­schichten gelesen und vieles hinterfrag­t habe. Wie die Eltern habe auch die Tochter „alles mit Gott verbunden“, um ältere Menschen habe sie sich gerne gekümmert. „Sie hat jedes Tier mit nach Hause gebracht und gepflegt. Sie war sehr hilfsberei­t.“

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FOTO: AGENTUR VOLLER ERNST/HERBERT PFARRHOFER/DPA Das Ehepaar in Krems vor Gericht. „Ich hab’ geglaubt, dass Gott sie gesund macht“, sagte die Mutter.

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