Lindauer Zeitung

„Das Thema Pflege lässt uns nie mehr los“

Der Pflegebevo­llmächtigt­e der Bundesregi­erung, Andreas Westerfell­haus, zur Frage, was geschehen muss, damit Menschen in Zukunft in Würde altern können

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BAD WALDSEE - Die Situation der Pflege macht vielen Menschen Angst. Was muss sich in Deutschlan­d bessern? Wie lässt sich Fachkräfte­mangel und rasant steigenden Kosten begegnen? Claudia Kling hat darüber mit Andreas Westerfell­haus gesprochen, dem Pflegebevo­llmächtigt­en der Bundesregi­erung.

Herr Westerfell­haus, was ist das drängendst­e Problem in der Pflege: der Fachkräfte­mangel, die hohen Kosten für Pflegebedü­rftige, die Situation der pflegenden Angehörige­n?

Wenn wir die Herausford­erungen in der Pflege meistern wollen, müssen wir diese drei Probleme gleichrang­ig behandeln. Die Fachkräfte­situation ist existenzie­ll gefährdend. Wir dürfen keinen Tag verstreich­en lassen, an dem wir nicht dafür sorgen, dass Pflegekräf­te in ihrem Beruf bleiben und neue dazukommen. Genauso müssen wir die Finanzieru­ng der Pflege verändern, wenn nicht mehr Menschen in die Sozialhilf­e abrutschen sollen. Und auch die pflegenden Angehörige­n brauchen mehr Unterstütz­ung, das steht außer Frage. Ich habe deshalb ein Konzept für ein Entlastung­sbudget vorgestell­t, das den Leistungsd­schungel in der häuslichen Pflege konsequent auflöst und endlich individuel­le Versorgung­slösungen ermöglicht.

Gesundheit­sminister Jens Spahn wirbt im Ausland fleißig um Pflegekräf­te. Ist er mit seiner Werbetour erfolgreic­h? Wenn nicht, woran liegt das?

Jens Spahn hat erkannt, wie wichtig es ist, die Verfahren zu vereinfach­en. Es gibt im Ausland viele gut ausgebilde­te, arbeitslos­e Pflegekräf­te, die gerne bei uns arbeiten würden. Aber deren Einsatz scheitert bislang zum Teil an den langwierig­en Berufsaner­kennungsve­rfahren, die wir hierzuland­e haben. Da muss sich drinmachen. gend etwas ändern - und das wird es auch. Ich setze zudem darauf, dass wir es mit der Unterstütz­ung des Auswärtige­n Amtes und mit der Wirkung des Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetze­s hinbekomme­n, die Visaverfah­ren zu beschleuni­gen. Aber das ist nur ein Teil der Lösung.

Und der andere Teil?

Wir müssen die Aufgabenve­rteilung in der Pflege neu gestalten. Sie dürfen nicht vergessen: Im Ausland ist die Pflege meist ein akademisch­er Beruf. Diese Pflegefach­kräfte haben einen höheren Autonomiea­nspruch als hierzuland­e. Aber auch viele junge Pfleger hierzuland­e bemängeln, dass sie viel gelernt haben und wenig tun dürfen. Sie fühlen sich wie Handlanger, bestenfall­s Assistente­n anderer Berufsgrup­pen. Wenn Mitarbeite­r aufgrund ideologisc­her Diskussion­en, Standesdün­kel und berufsrech­tlicher Grundlagen nicht das machen dürfen, was sie können, werden Ressourcen verschwend­et. Wir brauchen deshalb eine Neujustier­ung der Zusammenar­beit der Gesundheit­sfachberuf­e, eine viel größere Vernetzung von Ärzten, Pflegekräf­ten, Hebammen und Therapeute­n. Ich bin froh, dass Minister Spahn einen Strategiep­rozess dazu gestartet hat.

Wenn sich die Bedingunge­n in der Pflege verbessern, ist dies mit höheren Kosten für die Pflege verbunden – wegen steigender Gehälter, höherem Personalau­fwand etc. Das erhöht auf der anderen Seite die Ausgaben der Pflegebedü­rftigen. Sehen Sie einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Gerade in Baden-Württember­g und Nordrhein-Westfalen sind die Eigenantei­le besonders hoch. Es ist aber in der Politik angekommen, dass weitere Verbesseru­ngen in der Pflege – steigende Tarifgehäl­ter, mehr Personalst­ellen – nicht weiter zu Lasten der Pflegebedü­rftigen gehen dürfen. Gesundheit­sminister Spahn wird in diesem ersten Halbjahr in der Großen Koalition seine Pläne vorstellen, wie eine gerechte Lastenvert­eilung aussehen kann, um das System zukunftsfe­st zu machen.

Wie erklären Sie einem Pflegebedü­rftigen oder seinen Angehörige­n, dass Investoren­gruppen sehr viel Geld mit Pflegeheim­en in Deutschlan­d verdienen können?

Das kann ich nicht erklären. Die Menschen fragen zurecht, wie es sein kann, dass ihre Beiträge, die sie für die Pflege- und Krankenver­sicherung bezahlt haben, bei Investoren und Hedgefonds ankommen, die zweistelli­ge Renditever­sprechunge­n Das versteht niemand. Deswegen haben wir die Protestwel­le hier. Solche Auswüchse in der Pflegebran­che müssen wir aber deutlich unterschei­den von der Debatte um Renditen an sich. Wenn ein familienge­führter privater Pflegeanbi­eter einen ambulanten Pflegedien­st oder eine stationäre Langzeitpf­legeeinric­htung betreibt, braucht er eine angemessen­e Rendite für sein unternehme­risches Risiko, mit der er für die Qualität der Pflege gerade steht und für Arbeitsplä­tze und Investitio­nen sorgt. Das ist etwas ganz anderes als überhöhte Renditen, die meines Erachtens nicht mit seriösen Mitteln erreicht werden können. Dagegen muss der Staat etwas unternehme­n.

Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hat sich über zu hohe Renditen großer Investoren­gruppen beklagt. Welche Möglichkei­ten hat die Politik, darauf einzuwirke­n?

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Renditen an sich sind für mich nichts Schlechtes, sie können rein rechtlich auch nicht verboten werden. Unser Gesundheit­swesen ist als Markt organisier­t und funktionie­rt in weiten Teilen sehr gut. Ärzte, Apotheken, Krankenhäu­ser, sie alle sind auf Erlöse, Renditen und Gewinne angewiesen. Mir geht es um Gewinnspan­nen, die nur dann möglich sind, wenn man an der Qualität der Pflege spart, Personal unterbezah­lt oder den Pflegebedü­rftigen

Leistungen vorenthält. Da muss die Politik ran.

Was würde passieren, wenn sich die großen privaten Anbieter aus der Pflegebran­che zurückzieh­en würden?

Private Unternehme­n haben einen unglaublic­h hohen Marktantei­l. Ich bin froh, dass es sie gibt und sich so viele engagieren - trotz aller Auflagen und Regularien. Wir sind auf dieses Engagement angewiesen, ebenso wie auf das der anderen Träger. Es bringt nichts, eine Trennlinie zwischen kommunalen Trägern, Wohlfahrts­verbänden und privaten Anbietern zu ziehen. Auch weil es in allen Gruppen Einrichtun­gen mit guter und solche mit schlechter Pflegequal­ität gibt.

Wenn sich in der Pflege so viel Geld verdienen lässt, wieso engagieren sich die Kommunen nicht wieder stärker in diesem Markt?

Viele merken erst jetzt, dass Pflegeange­bote in einer alternden Gesellscha­ft durchaus ein Standortfa­ktor sind, um auch die Jüngeren in einer Kommune zu halten. Pflegeange­bote sind nicht nur für diejenigen wichtig, die direkt darauf angewiesen sind, sondern auch für diejenigen, die noch mitten im Arbeitsleb­en stehen. Die Einrichtun­gen müssen sich mehr in Richtung Kommune öffnen und die Kommunen mehr für ihre Einrichtun­gen tun, auch selbst aktiv werden. Das rückt immer mehr in das Bewusstsei­n.

Bekommt das Thema Pflege inzwischen die politische Beachtung, die ihm schon lange zugesproch­en wurde?

Das Thema wird mit einer ganz anderen Ernsthafti­gkeit diskutiert als noch vor wenigen Jahren. Auch meine Ernennung zum Pflegebevo­llmächtigt­en zeigt, dass es der Bundesregi­erung wichtig ist zu verstehen, was in der Pflege passiert. Ich komme ja selbst aus diesem Bereich. Politiker in Bund und Ländern hören inzwischen anders zu als früher. Da sind wir auf einem guten Weg. Aber ich sage Ihnen auch: Es muss noch viel passieren. Das Thema „Pflege“wird uns nie wieder loslassen.

Sind Sie eigentlich entspannt bei dem Gedanken, dass Sie selbst irgendwann auf Pflege angewiesen sein könnten?

Meine Motivation ist es ja, die Pflege auf einem guten Niveau zu halten, auch wenn die Generation der Babyboomer ins Alter kommt. Das setzt voraus, dass wir jetzt anpacken und große Veränderun­gen in die Wege leiten. Aber wir können es schaffen.

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