Echt bayerisch
Zum Tod des Regisseurs Joseph Vilsmaier
RAVENSBURG - Echt sollte immer alles aussehen bei ihm, und am liebsten erzählte er Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte: Joseph Vilsmaier hat mit „Herbstmilch“, „Rama dama“oder „Schlafes Bruder“die Gattung des Heimatfilms neu erfunden und wurde damit zu einem der erfolgreichsten deutschen Regisseure geworden. Allein „Herbstmilch“haben 1989 2,5 Millionen Besucher gesehen. Am Dienstag ist Joseph Vilsmaier im Alter von 81 Jahren in München im Kreise seiner drei Töchter gestorben.
Seine Karriere als Filmemacher begann spät. Der gebürtige Münchner hat zunächst als Techniker beim Filmkamerahersteller Arri gearbeitet. Nebenher studierte er Klavier, spielte in einer Jazzband. Alsbald erwarb er sich einen guten Ruf als Kameramann und wurde von den Bavaria-Studios für viele Produktionen gebucht wie die Ruhrgebietssaga „Rote Erde“(1983, 1989), „Ein Stück Himmel“und einige „Tatort“-Folgen.
Dann 1989 der Wechsel ins Regiefach. Ein 50-jähriger Debütant. Die Szene, gemeint sind Kollegen wie Kritiker, reagierte skeptisch. Und bis heute spricht man mit einer gewissen Herablassung vom „Handwerker Vilsmaier“.
Der avantgardistische, intellektuelle neue deutsche Autorenfilm hat Vilsmaier nie gereizt. Er wollte Realismus pur. Und weil er sich als Bayer in und mit Bayern besonders gut auskannte, ist es kein Zufall, dass viele seiner Geschichten im Alpenländischen spielen. Die Erinnerungen der Bäuerin Anna Wimschneider, die Mitte der 1980er-Jahre zum gefeierten Bestseller wurden, schienen genau das Richtige zu sein für ihn. Möglichst originalgetreu sollte alles sein – die Ausstattung, die Sprache. Dana Vávrová, Vilsmaiers aus Tschechien stammende Ehefrau, musste für ihre Rolle als Anna perfekt Bayerisch lernen. Das bald nur noch als Duo auftretende Paar trieb die Suche nach möglichst großer Wirklichkeitsnähe im nächsten Film auf die Spitze: In „Rama dama“(1991), jener Trümmerzeitschmonzette aus dem zerstörten München, wird die echte Geburt von Vilsmaiers und Vávrovás Tochter Theresa zum Filmmaterial.
Es sind oft historische Themen, die Vilsmaier angepackt hat, sei es den Untergang der 6. Armee in „Stalingrad“oder die Deportation der Berliner Juden im Jahre 1943. „Der letzte Zug“, 2006 nach einem Drehbuch von Atze Brauner entstanden, war bei der Kritik besonders umstritten. Während es die „taz“zynisch fand, wie Vilsmaier von dieser Eisenbahnfahrt in den Tod erzählt, lobten andere „die trotzige Verweigerung von Historisierung“(„Die Welt) und nannten den Film „nicht naiv, sondern mutig, nicht romantisch, sondern realistisch“(„Der Spiegel“).
Selbst wenn Vilsmaier Literatur verfilmte – und er tat das mit Werken von Erich Kästner („Charlie & Louise“), Robert Schneider („Schlafes Bruder“) und Adalbert Stifter („Bergkristall“) – ist doch immer erkennbar, dass er selbst Märchen wirklich aussehen lassen wollte. Das ging so weit, dass er sein Publikum zur Premiere seiner schneereichen „Bergkristall“-Adaption ins ebensolche Vorarlberg lockte. Auf 1400 Metern Höhe lief in einer eiskalten Novembernacht des Jahres 2004 der Film über eine Großleinwand auf dem Muttersberg. Mehr als 2000 Menschen hatten sich damals diesem Kältetest unterzogen.
In Vorarlberg hat Vilsmaier auch sein gewiss ambitioniertestes Werk gedreht: Für die Verfilmung von Robert Schneiders Romandebüt „Schlafes Bruder“ließ Vilsmaier im Garneratal südlich von Gaschurn das Filmdorf Eschberg entstehen. Den Außenseiter Johannes Elias Alder, der das absolute Gehör besitzt und ein musikalisches Genie ist, spielte André Eisermann. Aber auch die übrigen Rollen waren – wie oft bei diesem Regisseur – mit der damaligen Creme der deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler besetzt von Ben Becker über Paulus Manker bis zu Michael Mendl und Eva Mattes. 15 Millionen Mark hat die Produktion 1995 gekostet. Das war damals eine Hausnummer! Der Bayerische, der Deutsche und der Österreichische Filmpreis belohnten die große Anstrengung. Darüber hinaus war „Schlafes Bruder“für den Golden Globe nominiert.
Zum absoluten Publikumsrenner entwickelte sich zwei Jahre später der Film der „Comedian Harmonists“. Über drei Millionen Zuschauer sahen das flott und süffig in Szene gesetzte Porträt des A-CappellaChores. Die sechs Hauptdarsteller – Ben Becker, Heino Ferch, Heinrich Schafmeister, Ulrich Noethen, Max Tidof und Kai Wiesinger – wurden bei ihrer Promotiontour durch Deutschland selbst wie Popstars gefeiert. Auch bei Adrian Kutter in Biberach machten sie damals halt. Und auch hier war das Publikum völlig aus dem Häuschen, als die schon leicht angesäuselten jungen Herren eine Kostprobe ihrer Gesangskünste gaben.
Seine bayerischen Wurzeln hat Joseph Vilsmaier, den seine Freunde „Sepp“nannten, nie verleugnet. Eine Neuverfilmung der „Geschichte vom Brandner Kaspar“war da fast schon naheliegend. Franz Xaver Kroetz spielte den Kaspar, Michael Herbig den Boandlkramer. Angeblich hat Herbig die Rolle so viel Spaß gemacht, dass er Vilsmaier überzeugen konnte, eine Fortsetzung zu drehen. „Der Boandlkramer und die ewige Liebe“mit Hape Kerkeling als Teufel soll im November ins Kino kommen. Seiner Heimat hat Joseph Vilsmaier in den letzten Jahren durch große Dokumentationen wie „Bavaria – Traumreise durch Bayern“oder „Bayern – sagenhaft“ein Denkmal gesetzt.
Vilsmaier war ein rastloser Arbeiter. Vielleicht wollte er damit auch über den frühen Tod seiner Frau hinwegkommen. Dana Vávrová, mit der er drei Töchter hat, war 2009 mit gerade 41 Jahren an Krebs gestorben. Dennoch hat Vilsmaier nicht mit seinem Schicksal gehadert. „Mein Leben war Fasching“, sagte er einmal in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.