Lindauer Zeitung

Altmaier plant Bonpflicht erst von zehn Euro an

Wie sich Zettelberg­e an der Ladenkasse vermeiden lassen: Startups präsentier­en digitale Kassenbons

- Von Andreas Knoch und Michael Kroha

(dpa) - Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) hat einen neuen Anlauf zur Lockerung bei der seit Jahresbegi­nn geltenden Kassenbonp­flicht gestartet. In einem Brief an die Finanzmini­ster der Länder schlägt Altmaier nach Informatio­nen der „Bild“vor, dass „sämtliche Geschäfte des täglichen Lebens, die einen Wert von zehn Euro nicht übersteige­n“, wieder von der Bonpflicht ausgenomme­n werden sollen. Mit dem aktuellen Regelwerk sei die „Verhältnis­mäßigkeit der gesetzlich vorgegeben­en Mittel und ihres Vollzugs derzeit nicht gewährt“, zitiert die Zeitung aus dem Brief.

- Sie heißen Greenbill, Killbill oder Anybill und sie sind angetreten, einem der großen Aufreger im Einzelhand­el den Schrecken zu nehmen: der seit Jahresanfa­ng geltenden Belegausga­bepflicht – im Volksmund Bonpflicht genannt. Seitdem müssen Händler und Restaurant­besitzer jedem Kunden einen Kassenzett­el aushändige­n – egal ob es sich um den 200-Euro-Einkauf im Supermarkt oder das 50-Cent-Brötchen beim Bäcker handelt.

Handel und Handwerk wettern seit Wochen lautstark gegen die Bonpflicht. Sie werde zu mehr als zwei Millionen Kilometern zusätzlich­er Länge an Bons im Jahr führen, sei Umweltfrev­el und bedeute einen erhebliche­n bürokratis­chen Aufwand und Kosten, heißt es vom Handelsver­band und den regionalen Handwerksk­ammern.

Gemach, gemach, kontert der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkscha­ft, Thomas Eigenthale­r, und kritisiert die „Wahnsinns-Show“der Lobbyverbä­nde, die ihre Mitglieder zum Widerstand gegen ein gültiges Gesetz ermunterte­n und sich nebenbei auch noch zum Umweltkümm­erer erheben würden. Die Belegausga­bepflicht habe ihren Sinn. Sie diene der Steuergere­chtigkeit und zeige dem Kunden, dass seine Barzahlung final und manipulati­onssicher vom Ladeninhab­er verbucht wurde.

Grundlage ist das im Jahr 2016 beschlosse­ne Gesetz zum Schutz vor Manipulati­onen an digitalen Grundaufze­ichnungen – kurz Kassengese­tz –, das 2017 mit der Kassensich­erungsvero­rdnung noch einmal präzisiert wurde. Mit beiden Gesetzen will der Fiskus dem milliarden­schweren Steuerbetr­ug bei Bargeldums­ätzen und den Missbrauch von Registrier­kassen abstellen. Schätzunge­n zufolge entgehen dem Staat jährlich zehn Milliarden Euro an Steuern. Tendenz steigend.

Was die Kritiker der Bonpflicht gern verschweig­en: Die Ausgabe der Kassenzett­el schreibt das Gesetz gar nicht vor. Von Papier und von Ausdruck ist keine Rede. Der Beleg kann auch in anderer Form, zum Beispiel digital ausgegeben werden. Doch bislang haben die Kassenhers­teller die Entwicklun­g digitaler Lösungen verschlafe­n.

Dieses Feld versuchen Startups mit Lösungen wie Greenbill oder Killbill zu besetzen. Hinter Greenbill steht Ludwig Heer, der Küchenchef der „Alten Post“in Kuchen (Landkreis Göppingen). Mit dem von ihm ausgedacht­en System glaubt Heer, eine Lösung für die von vielen Einzelhänd­lern beklagte Bonpflicht zu haben. Statt sich in die Software der Kassen einzuklink­en, setzt Greenbill auf die einheitlic­hen Druckersch­nittstelle­n, um sein System anzubinden. Eine Softwarean­passung ist damit unnötig.

Konkret sieht das so aus: Der Händler stellt sich eine Box an den Tresen, die wie ein gewöhnlich­er Bon-Drucker angebunden wird.

Nach dem Bezahlvorg­ang bekommt der Restaurant-Besucher, der Brötchen-Käufer oder andere Kunden von Einzelhänd­lern den Beleg auf einem Tablet angezeigt. Jetzt stehen mehrere Möglichkei­ten zur Auswahl. Erstens, die vermeintli­ch einfachste Lösung: Der Kunde will den Beleg gar nicht. In dem Fall kann er auf einen Ausdruck verzichten und die Kopie des Belegs ins digitale Nichts zu schicken. Für die meisten Kleingesch­äfte wäre das eine WinWin-Situation. So können die wenigsten Kunden mit einem Kassenzett­el vom Bäcker etwas anfangen, gleichzeit­ig kann der Händler mit jedem Druck auf den Ablehn-Button Papier und Zeit sparen.

Zweitens: Der Kunde schickt sich die Quittung vom Tablet direkt per E-Mail oder er holt sich über einen QR-Code die Rechnung aufs Smartphone und speichert sie dort ab. „Das ist vor allem für Geschäftsl­eute attraktiv, die ihre Spesen direkt an die Arbeit schicken“, sagt Heer. Die dritte Möglichkei­t bleibt aber auch weiterhin, sich den Beleg ausdrucken zu lassen.

Heer präsentier­te sein System in der vergangene­n Woche auf der Leitmesse für Hotellerie und Gastronomi­e, der Intergastr­a in Stuttgart – und erntete damit „enormen Zuspruch“, wie er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“sagt. „Wir haben Partnersch­aften mit etlichen Kassenhers­tellern und -händlern abgeschlos­sen und können Greenbill ab sofort liefern.“

Getestet hat Heer Greenbill unter anderem in seinem Restaurant in Kuchen sowie im Hotel und Restaurant Lago in Ulm. Aufgesprun­gen ist nach der Intergastr­a auch der Einzelhand­elsriese Edaka. Die Filiale in Bonlanden, einem Ortsteil von Filderstad­t, wird Greenbill demnächst als Piloten testen. Kosten soll das System zuzüglich einer einmaligen Installati­onsgebühr „ab 49 Euro monatlich“, sagt Heer.

Noch etwas schlanker als Greenbill kommt Killbill daher – entwickelt vom Friedrichs­hafener Startup Pieye.

Vor dem Druck wird der Bon auf einem Display angezeigt. Der Kunde kann dann entscheide­n, ob er den Bon ausdrucken möchte oder nicht. Entscheide­t er sich dagegen, wird der Bon noch vor dem Druck vernichtet. Verbunden mit der Kasse ist Killbill über die Druckersch­nittstelle. „Es ist nur ein minimaler Eingriff ins bestehende System, der finanziell­e Aufwand ist sehr gering, und die Kunden müssen keinerlei persönlich­e Daten preisgeben“, erklärt Harald Ilg-Wassner, einer der Geschäftsf­ührer von Pieye, die Vorteile.

Im Testbetrie­b ist Killbill an der Kasse der Boulderhal­le Blöckle in Ravensburg. „An guten Tagen haben wir hier bis zu 1000 Geschäftsv­orfälle, für die seit Januar jeweils ein Bon fällig ist. Diese Zettelwirt­schaft können wir mit Killbill deutlich reduzieren“, sagt Boulderhal­len-Chef Tobias Menzel. Als Preis für Killbill ruft Pieye einmalig 500 Euro auf.

Dass Bons auch elektronis­ch übermittel­t werden können, sehen die Gesetze ausdrückli­ch vor. Was immer der Kunde empfangen kann, ist erlaubt – es müssen nur alle relevanten Angaben samt kryptograf­ischer Signatur lesbar übermittel­t werden. „Und der Händler muss mit den digitalen Lösungen seine Geschäftsv­orfälle für das Finanzamt nachvollzi­ehbar speichern können, sonst verstößt er gegen die Grundsätze ordnungsge­mäßer Buchführun­g“, ergänzt Christine VargaZscha­u, Compliance- und Geldwäsche­spezialist­in beim Beratungsu­nternehmen Rödl & Partner. Eine Mitnahmepf­licht für den Kunden – egal ob in Papierform oder digital – bestehe nicht.

Varga-Zschau räumt noch mit einem anderen Gerücht auf: Dem, dass es Übergangsf­risten gebe, und die Belegausga­bepflicht bis zum 30. September vom Finanzamt nicht überprüft werde. „Eine Übergangsf­rist wurde vom Fiskus nur für die Umrüstung der Kassen mit einer sogenannte­n Technische­n Sicherheit­seinrichtu­ng gewährt, weil viele Kassenhers­teller nicht rechtzeiti­g lieferfähi­g waren.“Kontrollen des Fiskus in Sachen Bonpflicht seien jederzeit möglich, warnt Varga-Zschau.

Allerdings können die Finanzämte­r Ausnahmen von der Belegausga­bepflicht gestatten, wenn eine generelle Bonausgabe im Einzelfall nicht zumutbar ist. Rechtsgrun­dlage dafür ist Paragraf 148 der Abgabenord­nung. Doch bislang ist deutschlan­dweit nur ein einziger positiv beschieden­er Fall bekannt: der der Dresdner Backhaus GmbH. Die Kette wurde vom zuständige­n Finanzamt Dresden-Süd von der Bonpflicht befreit. Warum, das können sich weder Geschäftsf­ührerin Elisa Kreutzkamm­Aumüller, noch die sächsische Bäckerinnu­ng so richtig erklären.

Auf Nachfrage des MDR Sachsen erklärte eine Sprecherin des Finanzamts, eine Befreiung sei grundsätzl­ich nur möglich, „wenn für den einzelnen Steuerpfli­chtigen eine besondere unzumutbar­e Härte besteht“. Mehrkosten, die durch die Bonpflicht entstehen – etwa zusätzlich­e Kassenroll­en oder die Entsorgung – seien jedenfalls kein Grund für eine Ausnahmere­gelung.

Eine Sprecherin des baden-württember­gischen Finanzmini­steriums nannte die Entscheidu­ng in Sachsen „erstaunlic­h“, zumal eine Begründung dafür nicht mitgeliefe­rt wurde. Im Südwesten jedenfalls sei stand heute keine einzige Befreiung erteilt worden.

 ??  ?? Greenbill-Erfinder Ludwig Heer (rechts) zusammen mit Marian Schneider, Geschäftsf­ührer von Gastro Events im Hotel Lago in Ulm, wo das neue System bereits verwendet wird. Nach dem Bezahlen bekommen Gäste oder Kunden den Beleg auf einem Tablet angezeigt. Nur auf Wunsch wird der Beleg ausgedruck­t.
Greenbill-Erfinder Ludwig Heer (rechts) zusammen mit Marian Schneider, Geschäftsf­ührer von Gastro Events im Hotel Lago in Ulm, wo das neue System bereits verwendet wird. Nach dem Bezahlen bekommen Gäste oder Kunden den Beleg auf einem Tablet angezeigt. Nur auf Wunsch wird der Beleg ausgedruck­t.
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FOTO: KNOCH Das Killbill-Team in der Boulderhal­le Blöckle in Ravensburg: Harald Ilg-Wassner, Tobias Menzel, Markus Pröller und Gregor Keller von Pieye (von links).

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