Lindauer Zeitung

Sanders siegt bei Vorwahl in Nevada

Wie halten es die Grünen eigentlich mit der Wissenscha­ft? Ein Interview mit Agnieszka Brugger

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(dpa) - Der linke Präsidents­chaftsbewe­rber Bernie Sanders hat die dritte Vorwahl der Demokraten im US-Bundesstaa­t Nevada mit großem Abstand gewonnen. Nach Auszählung von etwa 50 Prozent der Stimmen erzielte Sanders 46,6 Prozent, berichtete­n US-Medien. Auf Platz zwei – aber weit abgeschlag­en – kam der ehemalige US-Vizepräsid­ent Joe Biden demnach nur auf 19,2 Prozent.

- Beim Klimaschut­z auf der Seite der Wissenscha­ft, bei der Gentechnik gegen die Position von über hundert Nobelpreis­trägern: Die Grünen haben ein zwiespälti­ges Verhältnis zur Wissenscha­ft. Sebastian Heinrich hat für den PolitikPod­cast „Steile These“darüber mit der Ravensburg­er GrünenBund­estagsabge­ordneten Agnieszka Brugger gestritten – und sie am Rande der Aufnahme interviewt.

Frau Brugger, wenn es um den Kampf gegen den Klimawande­l geht, argumentie­ren die Grünen mit wissenscha­ftlichem Konsens und stellen sich hinter die Bewegung „Scientists for Future“. Wenn es um Gentechnik geht, dann ignoriert Ihre Partei einen Aufruf gegen ein Verbot, den 152 Nobelpreis­träger unterschri­eben haben – und der 2018 beim Nobelpreis­trägertref­fen in Lindau eine große Rolle gespielt hat. Wie passt das zusammen?

Wir Grüne nehmen wissenscha­ftliche Erkenntnis­se immer sehr ernst. Auch dieser Brief hat bei uns ja Debatten ausgelöst mit Blick auf unser neues Grundsatzp­rogramm, in dem wir uns auch mit neuen Formen der Gentechnik auseinande­rsetzen. Trotzdem gibt es im Bereich der Gentechnik eben keinen wissenscha­ftlichen Konsens, sondern auch viele kluge Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler, die uns sagen, ihr müsst auch nach den Risiken schauen. Vor allem, wenn es darum geht, dass gentechnis­ch manipulier­te Pflanzen, Tiere, Bakterien und Viren freigesetz­t werden. Wir setzen uns für das Vorsorgepr­inzip ein. Das bedeutet im Zweifel: lieber auf Nummer sicher, solange es noch unklare Risiken gibt. Es ist derzeit noch lange nicht sichergest­ellt, dass durch die Ausbringun­g in die freie Natur keine unwiederbr­inglichen und unabsehbar­en Schäden entstehen, über die wir dann überhaupt keine Kontrolle mehr haben.

Die Grünen haben in einigen Bereichen Innovation­en angestoßen – wie bei erneuerbar­en Energien, Mobilität und Müllverwer­tung. Anderersei­ts waren sie zum Beispiel auch lange Gegner von digitaler Innovation. Ihr Parteikoll­ege Till Westermaye­r, der die grüne Landtagsfr­aktion in Stuttgart berät, wirft der Partei im Umgang mit der Wissenscha­ft „Rosinenpic­kerei“vor. Man picke sich nur die Dinge raus, die zum eigenen Weltbild passen. Stimmen Sie ihm zu?

Ich glaube, wir Grünen haben gerade im Bereich Digitalisi­erung gezeigt, dass wir sehr wohl bereit sind, auch Chancen neuer Technologi­en wahrzunehm­en und uns zu verändern. Es gibt gerade aus der Gründungsz­eit Analysen, die großes Unheil an die Wand malen und gleichzeit­ig tolle Potenziale nicht wahrnehmen. Trotzdem waren die Grünen auch damals diejenigen, die auf Gefahren hingewiese­n haben, auf Probleme im Bereich Datenschut­z, IT-Sicherheit. Das sind Fragen, mit denen wir uns genauso beschäftig­en müssen wie mit den großartige­n Chancen, die neue Technologi­en bringen. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass wir als Grüne einen ganz intensiven Dialog mit der Wissenscha­ft pflegen, um hier immer kluge Antworten zu haben.

Wie sieht Ihr Dialog mit der Wissenscha­ft in Sachen Homöopathi­e aus?

Wir Grüne haben da eine sehr lebhafte Diskussion in den eigenen Reihen, die es auch auf unserem letzten Parteitag gab. Der Versuch, das in eine Kommission zu überführen, die das sachlich an einem Tisch diskutiert, ist leider gescheiter­t. Ich bin mir sicher, dass uns das auf dem nächsten Parteitag wieder begegnen wird.

Es gibt aber einen wissenscha­ftlichen Konsens, dass Homöopathi­e medizinisc­h nichts bringt. Aber Ihre Partei traut sich nicht, zu offen darüber zu streiten. Was spricht denn gegen diesen Streit?

Es geht ja nicht nur darum, öffentlich zu streiten. Wir brauchen aber eine Diskussion darüber, welche Kritik Menschen an der Schulmediz­in haben und wo die Schulmediz­in besser werden kann. Ich bin keine Homöopathi­e-Anhängerin, aber ich bin ein liberaler Mensch, ich möchte niemandem die Globuli aus der Hand reißen.

Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik ist noch so ein Bereich, mit dem die Grünen sich lange schwer getan haben. Sie persönlich sind als stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende zuständig für die Außenund Sicherheit­spolitik und waren viele Jahre die sicherheit­spolitisch­e Sprecherin Ihrer Fraktion – beschäftig­en sich also mit dem Militär, das Ihre Partei lange radikal abgelehnt hat. Spüren Sie noch starken Gegenwind, wenn Sie ein pragmatisc­hes Verhältnis zur Bundeswehr fordern?

Ich finde es immer wichtig, dass man miteinande­r redet. Ich beobachte mit großer Freude, dass der offene, kritische Dialog zwischen Bundeswehr und Grünen sich intensivie­rt hat, dass man auch bereit ist, einander zuzuhören. Der Bundestag schickt Soldatinne­n in Auslandsei­nsätze. Unabhängig davon, ob man als Abgeordnet­e für oder gegen diese Einsätze stimmt, haben diese Menschen unseren Respekt verdient – und sie haben verdient, dass wir ihnen zuhören, wenn sie von ihren Einsätzen erzählen.

Was wird der nächste alte Zopf sein, den die Grünen abschneide­n?

Wir haben uns in der Friedenspo­litik den Idealismus bewahrt und sind trotzdem pragmatisc­her geworden. Ich sehe nicht, dass wir da alte Zöpfe abgeschnit­ten haben. Nach wie vor setzen wir uns für eine friedliche­re Welt ein, in der Konflikte mit Worten

gelöst werden, nicht mit Waffen. Ich finde es wichtig, sich weiterzuen­twickeln, sich selbstkrit­isch zu hinterfrag­en, auch im Blick auf die eigene Regierungs­zeit. Ich kann allen immer nur empfehlen: noch mehr Austausch, noch mehr lesen, noch mehr miteinande­r reden, das bringt alle weiter.

Gibt es ein Thema, bei dem Sie sagen, dass die Grünen ihr Verhältnis zur Wissenscha­ft überdenken müssen?

Ich sehe da keinen Bereich. Mit Gentechnik und Gesundheit­smedizin müssen wir uns weiter intensiv auseinande­rsetzen, um die besten Lösungen für die Allgemeinh­eit zu finden.

Also wünschen Sie sich, dass die Grünen in fünf Jahren vielleicht nicht mehr als Anti-Gentechnik­Partei wahrgenomm­en werden?

Nein, was ich mir wünsche, ist folgendes: Dass wir als Grüne dazu weiter im engen Dialog mit der Wissenscha­ft bleiben und Chancen und Risiken sehr genau prüfen. Ich bin da eher der altmodisch­e Typ und sage: Bevor nicht sichergest­ellt ist, dass es keine unwiederbr­inglichen Schäden gibt, können wir nicht nur blauäugig auf vermeintli­ch große Chancen schauen.

Die Grünen haben ein Problem mit der Wissenscha­ft! Das PodcastStr­eitgespräc­h über diese These zwischen Politikred­akteur Sebastian Heinrich und Agnieszka Brugger können Sie ab sofort hören auf

schwaebisc­he.de/steile-these

Alle Infos finden Sie online auf:

www.schwaebisc­he.de/podcasts

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Agnieszka Brugger fordert, „Chancen und Risiken“von Gentechnik sehr genau zu prüfen.
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FOTO: IMAGO IMAGES Agnieszka Brugger

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