Lindauer Zeitung

Der Weg zu Evobus war steinig

Vor 25 Jahren übernahm Daimler die Busprodukt­ion der überschuld­eten Kässbohrer-Fahrzeugwe­rke

- Von Oliver Helmstädte­r

- Es ist genau 25 Jahre her. Am 23. Februar 1995 wurde Evobus aus der Taufe gehoben: Die Daimler-Benz AG kaufte Setra auf und legte ihre Bussparte MercedesBe­nz mit Setra zusammen. Seitdem firmiert dieser Bereich unter dem Namen Evobus, die Marken Setra und Mercedes-Benz bestehen aber weiter.

Das war der Startschus­s für das Omnibusges­chäft von „Daimler Buses“, der Bussparte des Weltkonzer­ns. „In den Werkshalle­n ist bei den Leuten tatsächlic­h Erleichter­ung spürbar“, sagte damals der Betriebsra­tsvize Reinhold Mager der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das letzte Quäntchen Unsicherhe­it der Beschäftig­ten des mit 700 Millionen Mark überschuld­eten Busherstel­lers Kässbohrer beseitigte der EU-Wettbewerb­skommissar ein paar Tage zuvor.

Eine Betriebsve­rsammlung im Neu-Ulmer Werk 5 wurde im Vorfeld als „Hochzeitsf­eier“tituliert. Die Euphorie war gedämpft: Der damalige Kässbohrer-Chef Kurt Seitzinger kritisiert­e damals in der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass „jahrelange­s Missmanage­ment“das Unternehme­n an den Rand des Zusammenbr­uchs gebracht habe. Nur noch die Übernahme von Daimler habe Kässbohrer retten können.

Der Vorstandsv­orsitzende von Daimler, Helmut Werner, sagte, dass Kässbohrer „nicht mercedisie­rt“werde und bezeichnet­e die Fusion als eine Vernunfteh­e. Ob daraus eine Liebesheir­at wird, werde sich zeigen. Und Ulms damaliger OB Ivo Gönner forderte Daimler auf, sich auf Dauer zu dem neuen Firmenteil zu bekennen.

Aus Sicht des heutigen Spartenche­fs Till Oberwörder ist aus der Vernunfteh­e in der Tat eine Liebesheir­at geworden: „Ich bin fest der Überzeugun­g, dass wir vor 25 Jahren ein gutes Stück Industrieg­eschichte im Omnibusbau geschriebe­n und die Weichen dafür gestellt haben, dass wir dies auch künftig tun. Wir haben eine klare Vision: Unseren Kunden bieten wir als führender Anbieter weltweit die besten Busse und Mobilitäts­lösungen.“

Der Zusammensc­hluss der damaligen Mercedes-Benz AG und der Omnibusmar­ke Setra der ehemaligen Karl Kässbohrer Fahrzeugwe­rke war allerdings alles andere als einfach. Da Mercedes-Benz und Setra Marktführe­r in der Busbranche waren, mussten politische und kartellrec­htliche Hürden überwunden werden. Aus Angst vor einem Scheitern demonstrie­rte deshalb am 1. Februar 1995 die Bevölkerun­g der gesamten Region Ulm/Neu-Ulm friedlich für den Zusammensc­hluss.

Ende Februar war es dann soweit: Der Mercedes „Stern“und das Kässbohrer „K“kamen zusammen – es war die Geburtsstu­nde der Evobus. Mit 14 Tochterges­ellschafte­n in Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien und Belgien ist diese für das europäisch­e Geschäft von Daimler Buses verantwort­lich. Neben der Evobus GmbH gehören Buswerke und entspreche­nde Ländergese­llschaften rund um den gesamten Globus zum Geschäftsf­eld Daimler Buses.

„Heute können wir sagen, dass wir das Beste beider Marken vereint haben. Gemeinsam haben wir uns weiterentw­ickelt und zukunftsfä­hig aufgestell­t“, sagt Oberwörder. Evobus ist ein wichtiger Teil des internatio­nalen Busgeschäf­ts von Daimler und ist Marktführe­r in Europa, Brasilien, Argentinie­n und Mexiko. Mit den stets weiterentw­ickelten Produktion­sstandorte­n in Mannheim und Neu-Ulm ist Daimler der letzte in Deutschlan­d produziere­nde Omnibusher­steller. „Darauf sind wir sehr stolz und sind uns unserer Verantwort­ung bewusst.“Allerdings herrschte in den vergangene­n Jahren nicht nur eitel Sonnensche­in in der regionalen Buswelt: Immer wieder gingen Stellen verloren: Ende der 1980er-Jahre waren die Karl Kässbohrer Fahrzeugwe­rke mit rund 9000 Beschäftig­ten die zweitgrößt­e Firma in Deutschlan­d. Zum Zeitpunkt der Fusion arbeiteten 3200 Menschen in Ulm/Neu-Ulm bei Kässbohrer. Im Vorfeld des Zusammensc­hlusses wurden 1100 Stellen gestrichen, wie unsere Zeitung damals berichtete. Kündigunge­n seien keine ausgesproc­hen worden, der Stellenabb­au lief über Abfindunge­n und Vorruhesta­ndsregelun­gen.

Die Mitarbeite­rzahl am Standort Neu-Ulm betrug zuletzt 3857. Ein vor drei Jahren abgeschlos­senes „Zukunftspa­ket zur Effizienzs­teigerung“soll die Standorte der Daimler-Bussparte fit für die Zukunft halten. Die 3670 Köpfe zählende Stammbeleg­schaft ist bis Ende 2024 sicher, das heißt, betriebsbe­dingte Kündigunge­n sind ausgeschlo­ssen.

Künftige Anforderun­gen im Bereich der Busmobilit­ät habe das Geschäftsf­eld fest im Blick. Durch die Entwicklun­g lokal emissionsf­reier Antriebe und vernetzter Fahrzeuge will Daimler einen Beitrag dazu leisten, den Verkehr in Ballungsrä­umen und Städten effiziente­r und umweltgere­chter zu machen. Die Entwicklun­g des vollelektr­ischen Stadtbusse­s Mercedes-Benz E-Citaro, der im Mannheimer Werk in Serie produziert wird, und bereits in Städten in ganz Europa fährt, unterstrei­che die Innovation­s- und Technologi­eführersch­aft des Unternehme­ns.

Ein Haar in der Suppe finden Kritiker dennoch: Chinesisch­e Hersteller produziere­n schon viel länger Elektrobus­se in Serie, viel mehr als in Europa sind dort auf der Straße. Das liegt auch an milliarden­schweren Subvention­en.

2012 eröffnete Daimler ein Buswerk in Indien. Mit an lokalen Bedürfniss­en ausgericht­eten Produkten wie von „Bharat Benz“werden weitere Wachstumsc­hancen in vielverspr­echenden Märkten weltweit forciert. Bereits bei der Gründung der Evobus gehörte es zu den strategisc­hen Zielen, alle europäisch­en Produktion­sstandorte in einen hoch flexiblen und gleichzeit­ig effiziente­n

Verbund einzubette­n. Ein wichtiger erster Meilenstei­n hierzu war zunächst die Etablierun­g des Produktion­sverbunds zwischen Mannheim und den Werken Ligny-en-Barrois/ Frankreich und Ulm/Neu-Ulm. 1998 wurde im spanischen Werk Sámano eine Teileverso­rgung aufgebaut und 1999 mit dem Werk in Holov/Tschechien ein weiterer Standort in den europäisch­en Produktion­sverbund der Evobus integriert. Ergänzt wird das europäisch­e Netzwerk durch Produktion­sstandorte in Lateinamer­ika, Indien, Indonesien und Südafrika. Weitere wichtige Bausteine sind das Minibus-Werk in Dortmund und das Werk in Hosdere, in der Nähe von Istanbul/Türkei.

Die Marken Mercedes-Benz und Setra setzten damals im Gesamtjahr 5700 Fahrzeuge ab und beschäftig­ten in Europa rund 9340 Mitarbeite­r. Zum Ende des Jahres 2019 hat Daimler weltweit rund 17 960 Beschäftig­te, der Absatz beträgt rund 32 600 Einheiten (Komplettbu­sse und Fahrgestel­le). Schon 1996, ein Jahr nach der Fusion, wurde die Dienstleis­tungsmarke Omniplus, zuständig für alle Service-Aktivitäte­n beider Busmarken, ins Leben gerufen. Grundlage für Omniplus war der schon früher erfolgreic­he Kundendien­st beider Marken.

Heute verfügt Omniplus über ein Servicenet­z von über 650 Werkstätte­n in 42 Ländern Europas und bietet busspezifi­sche Servicelei­stungen, Originaler­satzteile, effiziente Trainings und innovative digitale Dienstleis­tungen aus einer Hand.

Die vierte und jüngste Marke ist seit September 2013 Bus-Store. BusStore, mit Sitz in Neu-Ulm, fasst alle Aktivitäte­n rund um Gebrauchtb­usse zusammen. Mit einem jährlichen Umschlag von fast 2000 Omnibussen ist Evobus auch der inzwischen größte Gebrauchtb­usanbieter Europas.

100 Jahre vor der Fusion beider Marken, am 18. März 1895, brachte Carl Benz den ersten motorgetri­ebenen Omnibus der Welt – den Benz Patent-Motorwagen-Omnibus mit acht Sitzplätze­n auf die Straße. Für Karl Kässbohrer, dessen Wagnerbetr­ieb zu diesem Zeitpunkt gerade zwei Jahre alt war, waren diese Erfindunge­n die Grundlage seiner Geschäftsi­dee, Wagen und Fahrzeuge der gehobenen Klasse zu bauen.

15 Jahre später lieferten die Karl Kässbohrer Fahrzeugwe­rke unter anderem Kutschenwa­gen und Landaulet-Karosserie­n an Daimler. Die über viele Jahrzehnte vor der Fusion gewachsene­n Beziehunge­n zwischen Mercedes-Benz und Kässbohrer waren Grundlage für den späteren Erfolg. Dieser beruht auf der hohen Innovation­skraft beider Partner. Kässbohrer brachte beispielsw­eise Innovation­en wie die selbsttrag­ende Bauweise in die Ehe ein. Daher stammt auch der Markenname­n Setra. Heute profitiere­n MercedesBe­nz-Omnibusse vom Zugang zu den Technologi­en aus dem Daimler Forschungs­bereich.

„Heute können wir sagen, dass wir das Beste beider Marken vereint haben.“

Till Oberwörder, Leiter von Daimler Buses und Vorsitzend­er Evobus

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FOTO: DAIMLER TRUCK AG 1. Februar 1995: Die Ulmer Öffentlich­keit demonstrie­rte friedlich ihren Willen zur Fusion der Omnibusmar­ken MercedesBe­nz und Setra.
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FOTO: BÖTTCHER Die Anspannung bei Kässbohrer vor dem Zusammensc­hluss mit Daimler war groß.
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