Der Weg zu Evobus war steinig
Vor 25 Jahren übernahm Daimler die Busproduktion der überschuldeten Kässbohrer-Fahrzeugwerke
- Es ist genau 25 Jahre her. Am 23. Februar 1995 wurde Evobus aus der Taufe gehoben: Die Daimler-Benz AG kaufte Setra auf und legte ihre Bussparte MercedesBenz mit Setra zusammen. Seitdem firmiert dieser Bereich unter dem Namen Evobus, die Marken Setra und Mercedes-Benz bestehen aber weiter.
Das war der Startschuss für das Omnibusgeschäft von „Daimler Buses“, der Bussparte des Weltkonzerns. „In den Werkshallen ist bei den Leuten tatsächlich Erleichterung spürbar“, sagte damals der Betriebsratsvize Reinhold Mager der „Schwäbischen Zeitung“. Das letzte Quäntchen Unsicherheit der Beschäftigten des mit 700 Millionen Mark überschuldeten Busherstellers Kässbohrer beseitigte der EU-Wettbewerbskommissar ein paar Tage zuvor.
Eine Betriebsversammlung im Neu-Ulmer Werk 5 wurde im Vorfeld als „Hochzeitsfeier“tituliert. Die Euphorie war gedämpft: Der damalige Kässbohrer-Chef Kurt Seitzinger kritisierte damals in der „Schwäbischen Zeitung“, dass „jahrelanges Missmanagement“das Unternehmen an den Rand des Zusammenbruchs gebracht habe. Nur noch die Übernahme von Daimler habe Kässbohrer retten können.
Der Vorstandsvorsitzende von Daimler, Helmut Werner, sagte, dass Kässbohrer „nicht mercedisiert“werde und bezeichnete die Fusion als eine Vernunftehe. Ob daraus eine Liebesheirat wird, werde sich zeigen. Und Ulms damaliger OB Ivo Gönner forderte Daimler auf, sich auf Dauer zu dem neuen Firmenteil zu bekennen.
Aus Sicht des heutigen Spartenchefs Till Oberwörder ist aus der Vernunftehe in der Tat eine Liebesheirat geworden: „Ich bin fest der Überzeugung, dass wir vor 25 Jahren ein gutes Stück Industriegeschichte im Omnibusbau geschrieben und die Weichen dafür gestellt haben, dass wir dies auch künftig tun. Wir haben eine klare Vision: Unseren Kunden bieten wir als führender Anbieter weltweit die besten Busse und Mobilitätslösungen.“
Der Zusammenschluss der damaligen Mercedes-Benz AG und der Omnibusmarke Setra der ehemaligen Karl Kässbohrer Fahrzeugwerke war allerdings alles andere als einfach. Da Mercedes-Benz und Setra Marktführer in der Busbranche waren, mussten politische und kartellrechtliche Hürden überwunden werden. Aus Angst vor einem Scheitern demonstrierte deshalb am 1. Februar 1995 die Bevölkerung der gesamten Region Ulm/Neu-Ulm friedlich für den Zusammenschluss.
Ende Februar war es dann soweit: Der Mercedes „Stern“und das Kässbohrer „K“kamen zusammen – es war die Geburtsstunde der Evobus. Mit 14 Tochtergesellschaften in Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien und Belgien ist diese für das europäische Geschäft von Daimler Buses verantwortlich. Neben der Evobus GmbH gehören Buswerke und entsprechende Ländergesellschaften rund um den gesamten Globus zum Geschäftsfeld Daimler Buses.
„Heute können wir sagen, dass wir das Beste beider Marken vereint haben. Gemeinsam haben wir uns weiterentwickelt und zukunftsfähig aufgestellt“, sagt Oberwörder. Evobus ist ein wichtiger Teil des internationalen Busgeschäfts von Daimler und ist Marktführer in Europa, Brasilien, Argentinien und Mexiko. Mit den stets weiterentwickelten Produktionsstandorten in Mannheim und Neu-Ulm ist Daimler der letzte in Deutschland produzierende Omnibushersteller. „Darauf sind wir sehr stolz und sind uns unserer Verantwortung bewusst.“Allerdings herrschte in den vergangenen Jahren nicht nur eitel Sonnenschein in der regionalen Buswelt: Immer wieder gingen Stellen verloren: Ende der 1980er-Jahre waren die Karl Kässbohrer Fahrzeugwerke mit rund 9000 Beschäftigten die zweitgrößte Firma in Deutschland. Zum Zeitpunkt der Fusion arbeiteten 3200 Menschen in Ulm/Neu-Ulm bei Kässbohrer. Im Vorfeld des Zusammenschlusses wurden 1100 Stellen gestrichen, wie unsere Zeitung damals berichtete. Kündigungen seien keine ausgesprochen worden, der Stellenabbau lief über Abfindungen und Vorruhestandsregelungen.
Die Mitarbeiterzahl am Standort Neu-Ulm betrug zuletzt 3857. Ein vor drei Jahren abgeschlossenes „Zukunftspaket zur Effizienzsteigerung“soll die Standorte der Daimler-Bussparte fit für die Zukunft halten. Die 3670 Köpfe zählende Stammbelegschaft ist bis Ende 2024 sicher, das heißt, betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen.
Künftige Anforderungen im Bereich der Busmobilität habe das Geschäftsfeld fest im Blick. Durch die Entwicklung lokal emissionsfreier Antriebe und vernetzter Fahrzeuge will Daimler einen Beitrag dazu leisten, den Verkehr in Ballungsräumen und Städten effizienter und umweltgerechter zu machen. Die Entwicklung des vollelektrischen Stadtbusses Mercedes-Benz E-Citaro, der im Mannheimer Werk in Serie produziert wird, und bereits in Städten in ganz Europa fährt, unterstreiche die Innovations- und Technologieführerschaft des Unternehmens.
Ein Haar in der Suppe finden Kritiker dennoch: Chinesische Hersteller produzieren schon viel länger Elektrobusse in Serie, viel mehr als in Europa sind dort auf der Straße. Das liegt auch an milliardenschweren Subventionen.
2012 eröffnete Daimler ein Buswerk in Indien. Mit an lokalen Bedürfnissen ausgerichteten Produkten wie von „Bharat Benz“werden weitere Wachstumschancen in vielversprechenden Märkten weltweit forciert. Bereits bei der Gründung der Evobus gehörte es zu den strategischen Zielen, alle europäischen Produktionsstandorte in einen hoch flexiblen und gleichzeitig effizienten
Verbund einzubetten. Ein wichtiger erster Meilenstein hierzu war zunächst die Etablierung des Produktionsverbunds zwischen Mannheim und den Werken Ligny-en-Barrois/ Frankreich und Ulm/Neu-Ulm. 1998 wurde im spanischen Werk Sámano eine Teileversorgung aufgebaut und 1999 mit dem Werk in Holov/Tschechien ein weiterer Standort in den europäischen Produktionsverbund der Evobus integriert. Ergänzt wird das europäische Netzwerk durch Produktionsstandorte in Lateinamerika, Indien, Indonesien und Südafrika. Weitere wichtige Bausteine sind das Minibus-Werk in Dortmund und das Werk in Hosdere, in der Nähe von Istanbul/Türkei.
Die Marken Mercedes-Benz und Setra setzten damals im Gesamtjahr 5700 Fahrzeuge ab und beschäftigten in Europa rund 9340 Mitarbeiter. Zum Ende des Jahres 2019 hat Daimler weltweit rund 17 960 Beschäftigte, der Absatz beträgt rund 32 600 Einheiten (Komplettbusse und Fahrgestelle). Schon 1996, ein Jahr nach der Fusion, wurde die Dienstleistungsmarke Omniplus, zuständig für alle Service-Aktivitäten beider Busmarken, ins Leben gerufen. Grundlage für Omniplus war der schon früher erfolgreiche Kundendienst beider Marken.
Heute verfügt Omniplus über ein Servicenetz von über 650 Werkstätten in 42 Ländern Europas und bietet busspezifische Serviceleistungen, Originalersatzteile, effiziente Trainings und innovative digitale Dienstleistungen aus einer Hand.
Die vierte und jüngste Marke ist seit September 2013 Bus-Store. BusStore, mit Sitz in Neu-Ulm, fasst alle Aktivitäten rund um Gebrauchtbusse zusammen. Mit einem jährlichen Umschlag von fast 2000 Omnibussen ist Evobus auch der inzwischen größte Gebrauchtbusanbieter Europas.
100 Jahre vor der Fusion beider Marken, am 18. März 1895, brachte Carl Benz den ersten motorgetriebenen Omnibus der Welt – den Benz Patent-Motorwagen-Omnibus mit acht Sitzplätzen auf die Straße. Für Karl Kässbohrer, dessen Wagnerbetrieb zu diesem Zeitpunkt gerade zwei Jahre alt war, waren diese Erfindungen die Grundlage seiner Geschäftsidee, Wagen und Fahrzeuge der gehobenen Klasse zu bauen.
15 Jahre später lieferten die Karl Kässbohrer Fahrzeugwerke unter anderem Kutschenwagen und Landaulet-Karosserien an Daimler. Die über viele Jahrzehnte vor der Fusion gewachsenen Beziehungen zwischen Mercedes-Benz und Kässbohrer waren Grundlage für den späteren Erfolg. Dieser beruht auf der hohen Innovationskraft beider Partner. Kässbohrer brachte beispielsweise Innovationen wie die selbsttragende Bauweise in die Ehe ein. Daher stammt auch der Markennamen Setra. Heute profitieren MercedesBenz-Omnibusse vom Zugang zu den Technologien aus dem Daimler Forschungsbereich.
„Heute können wir sagen, dass wir das Beste beider Marken vereint haben.“
Till Oberwörder, Leiter von Daimler Buses und Vorsitzender Evobus