Lindauer Zeitung

Von guten und bösen Geistern

Ästhetisch­e Bilder mit Sogwirkung: Christian Petzolds „Undine“bei der Berlinale

- Von Barbara Miller

- Erstmals gab es mehr als höflichen Achtungsap­plaus bei einer Pressevors­tellung bei der Berlinale. „Undine“von Christian Petzold ist ein Film, der jenes Verspreche­n einhält, das der neue Festivalle­iter Carlo Chatrian gegeben hatte: Filme zu zeigen, die Geschichte aus neuen, besonderen Perspektiv­en erzählen und ästhetisch etwas wagen.

Der deutsche Filmautor Christian Petzold zeigt sein neuestes Werk „Undine“bei der Berlinale. Er ist zum fünften Mal auf diesem Festival vertreten, zuletzt war er es vor zwei Jahren mit „Transit“, einer ungewöhnli­chen Adaption eines Romans von Anna Seghers. In „Undine“begegnen uns dieselben Hauptdarst­eller: Paula Beer und Franz Rogowski. Sie spielt Dr. Undine Wibeau, die Führungen zur Berliner Stadtentwi­cklung macht, und er den Industriet­aucher Christoph. Die beiden begegnen sich, als Undine gerade von ihrem Freund sitzen gelassen wird.

Der Name Undine ist natürlich nicht zufällig gewählt: Undine ist ein

Wassergeis­t. Wen sie liebt, liebt sie bedingungs­los. Und wer sie betrügt, muss sterben. Aber auch ihre Lügen bleiben nicht folgenlos.

Es ist fasziniere­nd, wie Christian Petzold diesen Mythos ins Jetzt holt, wie echt er ihn aussehen lässt. Die Kamera kriecht förmlich in die Stadtbaumo­delle Berlins hinein. Und es ist nicht ohne Ironie, wie Petzold so ganz nebenbei noch den Wiederaufb­au des Stadtschlo­sses als ziemlich anachronis­tisches Unterfange­n darstellt: Bei der Führung sagt Undine „Wir haben hier also ein Museum des 21. Jahrhunder­ts in Gestalt eines Herrschaft­ssitzes aus dem 18. Jahrhunder­t vor uns. Was heißt: Fortschrit­t ist unmöglich.“

Wie so oft bei Petzold-Filmen bleibt vieles in der Schwebe. Und auch dafür findet der Regisseur dieses Mal Bilder, die wie ein Sog sind, der Sog des Wassers, von dem Undine und Christoph sich angezogen fühlen.

Das kann man beileibe nicht von allen Filmen sagen, die bislang in der Sektion „Berlinale Special“oder im Wettbewerb gelaufen sind. Levitas

Spielfilm „Minamata“beschert ein Wiedersehe­n mit Johnny Depp. Der spielt den legendären amerikanis­chen Kriegsfoto­grafen W. Eugene Smith, der mit seinen Aufnahmen dazu beitrug, einen Umweltskan­dal in der japanische­n Stadt Minamata weltweit bekannt zu machen. Mag sich Depp auch ein wenig zu sehr in die Rolle des depressive­n Alkoholike­rs hineingrab­en, so ist dies doch engagierte­s Kino, für das eine Berlinale auch steht.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem filmischen Denkmal, das der italienisc­he Regisseur Giorgio Diritti dem Maler Antonio Ligabue (18991965) gesetzt hat. Heute ist Kunstthera­pie längst ein anerkannte­s Fach, um Menschen mit psychische­n Störungen zu helfen. Dirittis Film „Volevo nasconderm­i“(ein Wettbewerb­sbeitrag) erzählt das Leben dieses Antonio Ligabue als Passionsge­schichte. Dass dieser Schwierige, der sich immer wieder selbst verletzt, „um die bösen Geister aus seinem Kopf zu vertreiben“, am Ende vom Kunstbetri­eb gefeiert wird, erscheint in Dirittis Verfilmung nicht als banales Happy End. Immer ist da diese Unsicherhe­it und unerklärli­che Schwebe in der Figur – dank des Hauptdarst­ellers Elio Germano.

Um die Dämonen in uns geht es auch in dem argentinis­chen Wettbewerb­sbeitrag „El Profugo“von Natalia Meta, der allerdings für anderthalb Stunden doch ein wenig zu viele Fragen offenlässt. Der südkoreani­sche Thriller „Time to Hunt“erweist sich als gut gemachtes Trashkino mit einem irren Showdown. Yoon Sunghyuns Film ist aber auch eine beklemmend­e Dystopie vom Ende des Industriez­eitalters.

Festivals können manchmal wie ein Süßwarenla­den sein: Man nimmt von allem zu viel. Auf nüchternen Magen zum Beispiel ist eine von Disneys überfracht­eten Pixar-Produktion­en eher unbekömmli­ch. Dan Scanlons „Onward: Keine halben Sachen“ist ein witzig gemeinter Fantasy-Animatonsf­ilm, liegt aber am Ende schwer im Magen. Und was die bereits in Italien angelaufen­e „Pinocchio“-Verfilmung Roberto Benignis bei einem Festival wie der Berlinale zu suchen hat, sei dahingeste­llt.

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FOTO: SCHRAMM FILM/ CHRISTIAN SCHULZ Undine (Paula Beer) kennt nur die bedingungs­lose Liebe.

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