Von guten und bösen Geistern
Ästhetische Bilder mit Sogwirkung: Christian Petzolds „Undine“bei der Berlinale
- Erstmals gab es mehr als höflichen Achtungsapplaus bei einer Pressevorstellung bei der Berlinale. „Undine“von Christian Petzold ist ein Film, der jenes Versprechen einhält, das der neue Festivalleiter Carlo Chatrian gegeben hatte: Filme zu zeigen, die Geschichte aus neuen, besonderen Perspektiven erzählen und ästhetisch etwas wagen.
Der deutsche Filmautor Christian Petzold zeigt sein neuestes Werk „Undine“bei der Berlinale. Er ist zum fünften Mal auf diesem Festival vertreten, zuletzt war er es vor zwei Jahren mit „Transit“, einer ungewöhnlichen Adaption eines Romans von Anna Seghers. In „Undine“begegnen uns dieselben Hauptdarsteller: Paula Beer und Franz Rogowski. Sie spielt Dr. Undine Wibeau, die Führungen zur Berliner Stadtentwicklung macht, und er den Industrietaucher Christoph. Die beiden begegnen sich, als Undine gerade von ihrem Freund sitzen gelassen wird.
Der Name Undine ist natürlich nicht zufällig gewählt: Undine ist ein
Wassergeist. Wen sie liebt, liebt sie bedingungslos. Und wer sie betrügt, muss sterben. Aber auch ihre Lügen bleiben nicht folgenlos.
Es ist faszinierend, wie Christian Petzold diesen Mythos ins Jetzt holt, wie echt er ihn aussehen lässt. Die Kamera kriecht förmlich in die Stadtbaumodelle Berlins hinein. Und es ist nicht ohne Ironie, wie Petzold so ganz nebenbei noch den Wiederaufbau des Stadtschlosses als ziemlich anachronistisches Unterfangen darstellt: Bei der Führung sagt Undine „Wir haben hier also ein Museum des 21. Jahrhunderts in Gestalt eines Herrschaftssitzes aus dem 18. Jahrhundert vor uns. Was heißt: Fortschritt ist unmöglich.“
Wie so oft bei Petzold-Filmen bleibt vieles in der Schwebe. Und auch dafür findet der Regisseur dieses Mal Bilder, die wie ein Sog sind, der Sog des Wassers, von dem Undine und Christoph sich angezogen fühlen.
Das kann man beileibe nicht von allen Filmen sagen, die bislang in der Sektion „Berlinale Special“oder im Wettbewerb gelaufen sind. Levitas
Spielfilm „Minamata“beschert ein Wiedersehen mit Johnny Depp. Der spielt den legendären amerikanischen Kriegsfotografen W. Eugene Smith, der mit seinen Aufnahmen dazu beitrug, einen Umweltskandal in der japanischen Stadt Minamata weltweit bekannt zu machen. Mag sich Depp auch ein wenig zu sehr in die Rolle des depressiven Alkoholikers hineingraben, so ist dies doch engagiertes Kino, für das eine Berlinale auch steht.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem filmischen Denkmal, das der italienische Regisseur Giorgio Diritti dem Maler Antonio Ligabue (18991965) gesetzt hat. Heute ist Kunsttherapie längst ein anerkanntes Fach, um Menschen mit psychischen Störungen zu helfen. Dirittis Film „Volevo nascondermi“(ein Wettbewerbsbeitrag) erzählt das Leben dieses Antonio Ligabue als Passionsgeschichte. Dass dieser Schwierige, der sich immer wieder selbst verletzt, „um die bösen Geister aus seinem Kopf zu vertreiben“, am Ende vom Kunstbetrieb gefeiert wird, erscheint in Dirittis Verfilmung nicht als banales Happy End. Immer ist da diese Unsicherheit und unerklärliche Schwebe in der Figur – dank des Hauptdarstellers Elio Germano.
Um die Dämonen in uns geht es auch in dem argentinischen Wettbewerbsbeitrag „El Profugo“von Natalia Meta, der allerdings für anderthalb Stunden doch ein wenig zu viele Fragen offenlässt. Der südkoreanische Thriller „Time to Hunt“erweist sich als gut gemachtes Trashkino mit einem irren Showdown. Yoon Sunghyuns Film ist aber auch eine beklemmende Dystopie vom Ende des Industriezeitalters.
Festivals können manchmal wie ein Süßwarenladen sein: Man nimmt von allem zu viel. Auf nüchternen Magen zum Beispiel ist eine von Disneys überfrachteten Pixar-Produktionen eher unbekömmlich. Dan Scanlons „Onward: Keine halben Sachen“ist ein witzig gemeinter Fantasy-Animatonsfilm, liegt aber am Ende schwer im Magen. Und was die bereits in Italien angelaufene „Pinocchio“-Verfilmung Roberto Benignis bei einem Festival wie der Berlinale zu suchen hat, sei dahingestellt.