Lindauer Zeitung

Aus Afrika für Afrika

Marokko fördert Solarenerg­ie und Hightech-Studiengän­ge und will so zum Bindeglied zwischen zwei Kontinente­n werden

- Von Daniela Weingärtne­r

- Während die Sonne hinter den rötlichen Lehmmauern von Ouarzazate untergeht, versammeln sich vor den Toren der Kasbah Tourirt Berber in traditione­llen Gewändern. Männer und Frauen stehen in getrennten Reihen Spalier und lassen ihre Gesänge und Tambourink­länge zum Himmel steigen. Die Festung ist über hundert Jahre alt und wird noch heute zu Teilen von Nachkommen des Erbauers, des Paschas von Marrakesch, bewohnt. Die Musikeinla­ge aber ist Folklore – passender Rahmen für die Messe zum Thema nachhaltig­er Tourismus, die hier gerade stattfinde­t.

Ouarzazate ist der perfekte Startpunkt für eine Rundfahrt, die Journalist­en aus Mitteleuro­pa die energiepol­itischen Visionen von König Mohammed VI nahebringe­n soll. Nur wenige Autominute­n entfernt befinden sich die Solarfelde­r der Kraftwerke „Noor I bis IV“, von denen drei bereits am Netz sind. Das mehr als 2000 Hektar große Gelände ist von hohen Zäunen umgeben, Sicherheit­spersonal bewacht die Eingänge. Die Sonne scheint hier fast 365 Tage im Jahr, die Luft ist in mehr als 1000 Metern Höhe besonders klar. Dennoch müssen die Spiegel und Fotozellen jede Nacht gereinigt werden, sonst wären sie sofort mit rötlichem Staub überzogen und der Wirkungsgr­ad würde drastisch sinken.

Bis zu drei Millionen Kubikmeter Wasser werden jährlich für die Reinigung der Spiegel und die Kühlung der Dampfturbi­nen benötigt. In einem ariden Land, das durch den Klimawande­l weiter austrockne­t, ist das ein echtes Problem. Doch Rachid Bayed, der 41-jährige Leiter der Einsatzzen­trale der staatliche­n Agentur für Erneuerbar­e Energien (MASEN), ist optimistis­ch. Von der obersten Etage des Besucherze­ntrums blickt er durch große Panoramafe­nster auf die langen Reihen von Parabolrin­nen, die dem Lauf der Sonne folgen und auf den Solarturm, dessen Spiegel gerade neu zentriert werden. Links und rechts von seiner Spitze verwandeln zwei Lichtbünde­l den ansonsten wolkenlos blauen Himmel in eine Sci-FiKulisse.

„Ich erinnere mich an die Jahre 2011, 2012, wo hier nur nackter Boden war. Wenn wir da weiter über die Machbarkei­t diskutiert hätten, stünde heute noch nichts“, sagt der junge Ingenieur, der viele Jahre bei einem französisc­hen Energiedie­nstleister gearbeitet hat, bevor er in seine Heimat zurückkehr­te. Immerhin zwei Millionen Menschen würden heute mit Sonnenstro­m aus Noor versorgt. Ausgefeilt­e Speicherte­chnik sorge dafür, dass die Energie nach Sonnenunte­rgang weitere sieben Stunden abgerufen werden könne. „Kann man die Vollversor­gung mit erneuerbar­en Energien erreichen? Vom heutigen Wissenssta­nd aus nicht. Aber Noor ist ein riesiges Testgebiet für das, was möglich ist“, sagt Bayed stolz. Davon profitiert­en alle – „die Region, die Umwelt, die Investoren und die Wissenscha­ft“.

Genau darauf setzt König Mohammed VI. Der Ölschock von 2009, als der Preis während der Bankenkris­e auf über 90 Dollar pro Barrel stieg, sei der Auslöser gewesen, erzählen die Presseleut­e in den Kraftwerke­n und der Technische­n Universitä­t. Deshalb habe der seit 1999 regierende Monarch vor elf Jahren das Ziel ausgegeben, bis 2020 42 Prozent des im Land benötigten Stroms aus Sonne, Wind und Wasser zu erzeugen. Das gelang nicht ganz, auch weil die Modernisie­rung der Volkswirts­chaft den Energiever­brauch in die Höhe treibt. Aber immerhin 35 Prozent stammen inzwischen aus erneuerbar­en Quellen. Damit sinkt die Abhängigke­it von Öl- und Gasimporte­n aus dem Nachbarlan­d Algerien.

Der 56-jährige Monarch sieht sein Land, in dem sich Eselskarre­n und SUVs die erstaunlic­h gut ausgebaute­n Straßen teilen und die Alphabetis­ierungsrat­e bei knapp über sechzig Prozent liegt, als Bindeglied zwischen Europa und Afrika. Die Europäer umwirbt er mit der Aussicht, die Klimabilan­z zu verbessern und jungen Menschen Berufspers­pektiven auf dem eigenen Kontinent zu eröffnen. Zwei Stromleitu­ngen für künftige Exporte von grüner Energie sind bereits nach Spanien verlegt, eine dritte ist ebenso in Planung wie eine Trasse nach Portugal. Als Gegenleist­ung erhält Marokko Kredite der deutschen KfW, der EU-Kommission, der Europäisch­en Investitio­nsbank und der Französisc­hen Entwicklun­gsbank.

Seine Verbundenh­eit zu Afrika demonstrie­rt der König unter anderem mit vier Stromleitu­ngen nach Algerien und einer geplanten Verbindung nach Mauretanie­n. Er unterhält Energiepar­tnerschaft­en mit 14 afrikanisc­hen Staaten, die von Kreditfina­nzierung über praktische technische Hilfe bis zu Ausbildung­saufenthal­ten bei MASEN reichen. Mit Stipendien und HighTech-Studiengän­gen versucht der Monarch junge Menschen aus dem südlichen Afrika für eine Ausbildung auf dem eigenen Kontinent zu begeistern.

Die polytechni­sche Universitä­t von Ben Guerir, die seinen Namen trägt, liegt im Nirgendwo an der Verbindung­sstraße zwischen Casablanca und Marrakesch. Sie ist gerade einmal drei Jahre alt. In den blitzenden Werkstätte­n stehen Versuchsan­ordnungen für Wärmespeic­her und Rotorblätt­er, der Prototyp eines neuen 3-D-Druckers spuckt Photovolta­ikbeschich­tungen aus. Es gibt Freilandla­bors für dürreresis­tente

Pflanzen und einen Masterstud­iengang für Düngung in der Landwirtsc­haft, der überwiegen­d von Studenten aus Subsahara-Afrika besucht wird.

Der junge Mann aus dem Senegal aber, der sich zu Fuß bis hierher durchschlu­g, interessie­rt sich nicht für Fruchtfolg­en. Er will Programmie­ren lernen und schaffte die Aufnahme in die neu eingericht­ete Kodierschu­le, die aus 1600 Bewerbern 200 auswählte. Sie kommt ohne Lehrer aus, setzt auf Lernen auf Augenhöhe und arbeitet praxisorie­ntiert. Mit der hier entwickelt­en App „Jibly“kann man bei den Frauen aus Ben Guerir sein Couscous oder seine Tajine als Take-away bestellen.

Im Ecolab der Uni treffen wir Carl Taly. Der 22-Jährige kam 2013 aus Gabun, um sich zum Bergbauing­enieur ausbilden zu lassen. Fachleute für

Bergbau würden in seinem an Erzen reichen Heimatland immer gebraucht – theoretisc­h jedenfalls. Tatsächlic­h konnte die Firma, die ihn unter Vertrag nahm, nicht starten – „aus politische­n Gründen“. Mehr sagt er dazu nicht. Er bleibt also vorerst in Marokko, einem Land, dem viele Schwarzafr­ikaner misstrauis­ch gegenübers­tehen, weil sie sich von den Arabern diskrimini­ert fühlen. Taly aber hat hier gute Erfahrunge­n gemacht. Er hätte auch ein Stipendium für Paris bekommen können, erzählt er. „Mir hat aber der Gedanke gefallen, etwas aus Afrika heraus für Afrika zu machen.“

Zusammen mit zwei marokkanis­chen Studentinn­en tüftelt Taly an einem Kühlhaus für Bauern, das ohne Stromansch­luss auf Solarbasis funktionie­ren soll. Das Whiteboard an der Wand ist mit Formeln und Gekritzel übersäht. Details ihrer Idee verraten die Drei nicht, das fällt unter das Betriebsge­heimnis. Doch auch die marokkanis­che Mitstreite­rin formuliert, ähnlich wie Taly, dass sie sich ganz bewusst für diesen Forschungs­schwerpunk­t entschiede­n hat: „Der Fokus unserer Arbeit ist Afrika. Wir sind schließlic­h alle Afrikaner.“

Das sieht auch Muhamed el Amine el Marraki so. Der 22-jährige Marokkaner hat am „Solar Decathlon Africa 2019“teilgenomm­en. In einem internatio­nal gemischten Team aus knapp 50 Studenten hat er vergangene­n Sommer innerhalb von drei Wochen auf dem Versuchsge­lände der Uni ein Solarhaus gebaut, das im Wettbewerb den ersten Preis gewann. Stolz führt er die Besucher durch „seine“vier Wände, die zum Teil aus traditione­ll bewährtem Isoliermat­erial wie Lehm und Holz, teils aus modernster Technik bestehen. Der auf dem Solardach gewonnene Strom wird in ausrangier­ten NissanAuto­batterien gespeicher­t.

Tradition, gepaart mit moderner Technologi­e – darauf setzt auch Radoine Hassan, der Leiter der Architektu­rabteilung der Universitä­t. Er kennt beide Welten, hat in Dubai, London und den USA gearbeitet. „Der nordische Traum ist ausgeträum­t“, sagt er selbstbewu­sst. „Die Chancen liegen nun im Süden. Wir leben hier seit zwölf Jahrhunder­ten. Wir haben Fes und Marrakesch gebaut. Wir waren immer smart, aber wir haben den technologi­schen Fortschrit­t verschlafe­n. Nun haben wir die Chance, die Fehler des Nordens nicht zu wiederhole­n und nicht all diesen Müll zu produziere­n.“Sein Architektu­rinstitut sei keine Lehranstal­t im klassische­n Sinne, vielmehr solle das Unternehme­rtum der jungen Menschen gefördert werden. Und natürlich geht es auch ihm um mehr Wertschätz­ung für den eigenen Kontinent: „Afrika darf nicht länger die Lösungsweg­e anderer nur nutzen, es muss eigene Wege entwickeln. Architektu­r ist für uns kein Ausdruck von Ästhetik, sondern von Technologi­e, die Probleme lösen hilft.“

Vielleicht ist diesem Ansatz von Afrikanern für Afrikaner mehr Erfolg beschieden als den Entwicklun­gskooperat­ionen der Vergangenh­eit. 2009, im gleichen Jahr als König Mohammed die Erneuerbar­en Energien für sich entdeckte, startete auch Desertec, ein Konsortium mehrerer deutscher Firmen, die in Marokko Solarstrom produziere­n wollten. „Apollo-Projekt des 21. Jahrhunder­ts“nannte der damalige SiemensChe­f Peter Löscher das auf 400 Milliarden Euro geschätzte Projekt. Der damalige Verbindung­smann in Marokko, ein an der TU Berlin ausgebilde­ter Ingenieur, leitet heute das marokkanis­che Forschungs­institut für Erneuerbar­e Energien. Beim Thema Desertec wird Badr Ikken einsilbig. Die Investoren hätten sich rasche Renditen erwartet und nicht den nötigen langen Atem gehabt. Da seien die Rahmenbedi­ngungen in Marokko günstiger. „Ein König kann langfristi­ger planen als ein Wirtschaft­sboss oder ein westlicher Politiker“, sagt Ikken und lächelt wie ein Sultan aus Tausendund­einer Nacht.

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FOTO: TERESA DAPP/DPA „Ein riesiges Testgebiet für das, was möglich ist“: In den Solarfelde­rn bei Ouarzazate in Marokko wird aus Wüstensonn­e Energie gewonnen. Deutschlan­d beteiligt sich an der Finanzieru­ng.

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