Aus Afrika für Afrika
Marokko fördert Solarenergie und Hightech-Studiengänge und will so zum Bindeglied zwischen zwei Kontinenten werden
- Während die Sonne hinter den rötlichen Lehmmauern von Ouarzazate untergeht, versammeln sich vor den Toren der Kasbah Tourirt Berber in traditionellen Gewändern. Männer und Frauen stehen in getrennten Reihen Spalier und lassen ihre Gesänge und Tambourinklänge zum Himmel steigen. Die Festung ist über hundert Jahre alt und wird noch heute zu Teilen von Nachkommen des Erbauers, des Paschas von Marrakesch, bewohnt. Die Musikeinlage aber ist Folklore – passender Rahmen für die Messe zum Thema nachhaltiger Tourismus, die hier gerade stattfindet.
Ouarzazate ist der perfekte Startpunkt für eine Rundfahrt, die Journalisten aus Mitteleuropa die energiepolitischen Visionen von König Mohammed VI nahebringen soll. Nur wenige Autominuten entfernt befinden sich die Solarfelder der Kraftwerke „Noor I bis IV“, von denen drei bereits am Netz sind. Das mehr als 2000 Hektar große Gelände ist von hohen Zäunen umgeben, Sicherheitspersonal bewacht die Eingänge. Die Sonne scheint hier fast 365 Tage im Jahr, die Luft ist in mehr als 1000 Metern Höhe besonders klar. Dennoch müssen die Spiegel und Fotozellen jede Nacht gereinigt werden, sonst wären sie sofort mit rötlichem Staub überzogen und der Wirkungsgrad würde drastisch sinken.
Bis zu drei Millionen Kubikmeter Wasser werden jährlich für die Reinigung der Spiegel und die Kühlung der Dampfturbinen benötigt. In einem ariden Land, das durch den Klimawandel weiter austrocknet, ist das ein echtes Problem. Doch Rachid Bayed, der 41-jährige Leiter der Einsatzzentrale der staatlichen Agentur für Erneuerbare Energien (MASEN), ist optimistisch. Von der obersten Etage des Besucherzentrums blickt er durch große Panoramafenster auf die langen Reihen von Parabolrinnen, die dem Lauf der Sonne folgen und auf den Solarturm, dessen Spiegel gerade neu zentriert werden. Links und rechts von seiner Spitze verwandeln zwei Lichtbündel den ansonsten wolkenlos blauen Himmel in eine Sci-FiKulisse.
„Ich erinnere mich an die Jahre 2011, 2012, wo hier nur nackter Boden war. Wenn wir da weiter über die Machbarkeit diskutiert hätten, stünde heute noch nichts“, sagt der junge Ingenieur, der viele Jahre bei einem französischen Energiedienstleister gearbeitet hat, bevor er in seine Heimat zurückkehrte. Immerhin zwei Millionen Menschen würden heute mit Sonnenstrom aus Noor versorgt. Ausgefeilte Speichertechnik sorge dafür, dass die Energie nach Sonnenuntergang weitere sieben Stunden abgerufen werden könne. „Kann man die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien erreichen? Vom heutigen Wissensstand aus nicht. Aber Noor ist ein riesiges Testgebiet für das, was möglich ist“, sagt Bayed stolz. Davon profitierten alle – „die Region, die Umwelt, die Investoren und die Wissenschaft“.
Genau darauf setzt König Mohammed VI. Der Ölschock von 2009, als der Preis während der Bankenkrise auf über 90 Dollar pro Barrel stieg, sei der Auslöser gewesen, erzählen die Presseleute in den Kraftwerken und der Technischen Universität. Deshalb habe der seit 1999 regierende Monarch vor elf Jahren das Ziel ausgegeben, bis 2020 42 Prozent des im Land benötigten Stroms aus Sonne, Wind und Wasser zu erzeugen. Das gelang nicht ganz, auch weil die Modernisierung der Volkswirtschaft den Energieverbrauch in die Höhe treibt. Aber immerhin 35 Prozent stammen inzwischen aus erneuerbaren Quellen. Damit sinkt die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten aus dem Nachbarland Algerien.
Der 56-jährige Monarch sieht sein Land, in dem sich Eselskarren und SUVs die erstaunlich gut ausgebauten Straßen teilen und die Alphabetisierungsrate bei knapp über sechzig Prozent liegt, als Bindeglied zwischen Europa und Afrika. Die Europäer umwirbt er mit der Aussicht, die Klimabilanz zu verbessern und jungen Menschen Berufsperspektiven auf dem eigenen Kontinent zu eröffnen. Zwei Stromleitungen für künftige Exporte von grüner Energie sind bereits nach Spanien verlegt, eine dritte ist ebenso in Planung wie eine Trasse nach Portugal. Als Gegenleistung erhält Marokko Kredite der deutschen KfW, der EU-Kommission, der Europäischen Investitionsbank und der Französischen Entwicklungsbank.
Seine Verbundenheit zu Afrika demonstriert der König unter anderem mit vier Stromleitungen nach Algerien und einer geplanten Verbindung nach Mauretanien. Er unterhält Energiepartnerschaften mit 14 afrikanischen Staaten, die von Kreditfinanzierung über praktische technische Hilfe bis zu Ausbildungsaufenthalten bei MASEN reichen. Mit Stipendien und HighTech-Studiengängen versucht der Monarch junge Menschen aus dem südlichen Afrika für eine Ausbildung auf dem eigenen Kontinent zu begeistern.
Die polytechnische Universität von Ben Guerir, die seinen Namen trägt, liegt im Nirgendwo an der Verbindungsstraße zwischen Casablanca und Marrakesch. Sie ist gerade einmal drei Jahre alt. In den blitzenden Werkstätten stehen Versuchsanordnungen für Wärmespeicher und Rotorblätter, der Prototyp eines neuen 3-D-Druckers spuckt Photovoltaikbeschichtungen aus. Es gibt Freilandlabors für dürreresistente
Pflanzen und einen Masterstudiengang für Düngung in der Landwirtschaft, der überwiegend von Studenten aus Subsahara-Afrika besucht wird.
Der junge Mann aus dem Senegal aber, der sich zu Fuß bis hierher durchschlug, interessiert sich nicht für Fruchtfolgen. Er will Programmieren lernen und schaffte die Aufnahme in die neu eingerichtete Kodierschule, die aus 1600 Bewerbern 200 auswählte. Sie kommt ohne Lehrer aus, setzt auf Lernen auf Augenhöhe und arbeitet praxisorientiert. Mit der hier entwickelten App „Jibly“kann man bei den Frauen aus Ben Guerir sein Couscous oder seine Tajine als Take-away bestellen.
Im Ecolab der Uni treffen wir Carl Taly. Der 22-Jährige kam 2013 aus Gabun, um sich zum Bergbauingenieur ausbilden zu lassen. Fachleute für
Bergbau würden in seinem an Erzen reichen Heimatland immer gebraucht – theoretisch jedenfalls. Tatsächlich konnte die Firma, die ihn unter Vertrag nahm, nicht starten – „aus politischen Gründen“. Mehr sagt er dazu nicht. Er bleibt also vorerst in Marokko, einem Land, dem viele Schwarzafrikaner misstrauisch gegenüberstehen, weil sie sich von den Arabern diskriminiert fühlen. Taly aber hat hier gute Erfahrungen gemacht. Er hätte auch ein Stipendium für Paris bekommen können, erzählt er. „Mir hat aber der Gedanke gefallen, etwas aus Afrika heraus für Afrika zu machen.“
Zusammen mit zwei marokkanischen Studentinnen tüftelt Taly an einem Kühlhaus für Bauern, das ohne Stromanschluss auf Solarbasis funktionieren soll. Das Whiteboard an der Wand ist mit Formeln und Gekritzel übersäht. Details ihrer Idee verraten die Drei nicht, das fällt unter das Betriebsgeheimnis. Doch auch die marokkanische Mitstreiterin formuliert, ähnlich wie Taly, dass sie sich ganz bewusst für diesen Forschungsschwerpunkt entschieden hat: „Der Fokus unserer Arbeit ist Afrika. Wir sind schließlich alle Afrikaner.“
Das sieht auch Muhamed el Amine el Marraki so. Der 22-jährige Marokkaner hat am „Solar Decathlon Africa 2019“teilgenommen. In einem international gemischten Team aus knapp 50 Studenten hat er vergangenen Sommer innerhalb von drei Wochen auf dem Versuchsgelände der Uni ein Solarhaus gebaut, das im Wettbewerb den ersten Preis gewann. Stolz führt er die Besucher durch „seine“vier Wände, die zum Teil aus traditionell bewährtem Isoliermaterial wie Lehm und Holz, teils aus modernster Technik bestehen. Der auf dem Solardach gewonnene Strom wird in ausrangierten NissanAutobatterien gespeichert.
Tradition, gepaart mit moderner Technologie – darauf setzt auch Radoine Hassan, der Leiter der Architekturabteilung der Universität. Er kennt beide Welten, hat in Dubai, London und den USA gearbeitet. „Der nordische Traum ist ausgeträumt“, sagt er selbstbewusst. „Die Chancen liegen nun im Süden. Wir leben hier seit zwölf Jahrhunderten. Wir haben Fes und Marrakesch gebaut. Wir waren immer smart, aber wir haben den technologischen Fortschritt verschlafen. Nun haben wir die Chance, die Fehler des Nordens nicht zu wiederholen und nicht all diesen Müll zu produzieren.“Sein Architekturinstitut sei keine Lehranstalt im klassischen Sinne, vielmehr solle das Unternehmertum der jungen Menschen gefördert werden. Und natürlich geht es auch ihm um mehr Wertschätzung für den eigenen Kontinent: „Afrika darf nicht länger die Lösungswege anderer nur nutzen, es muss eigene Wege entwickeln. Architektur ist für uns kein Ausdruck von Ästhetik, sondern von Technologie, die Probleme lösen hilft.“
Vielleicht ist diesem Ansatz von Afrikanern für Afrikaner mehr Erfolg beschieden als den Entwicklungskooperationen der Vergangenheit. 2009, im gleichen Jahr als König Mohammed die Erneuerbaren Energien für sich entdeckte, startete auch Desertec, ein Konsortium mehrerer deutscher Firmen, die in Marokko Solarstrom produzieren wollten. „Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts“nannte der damalige SiemensChef Peter Löscher das auf 400 Milliarden Euro geschätzte Projekt. Der damalige Verbindungsmann in Marokko, ein an der TU Berlin ausgebildeter Ingenieur, leitet heute das marokkanische Forschungsinstitut für Erneuerbare Energien. Beim Thema Desertec wird Badr Ikken einsilbig. Die Investoren hätten sich rasche Renditen erwartet und nicht den nötigen langen Atem gehabt. Da seien die Rahmenbedingungen in Marokko günstiger. „Ein König kann langfristiger planen als ein Wirtschaftsboss oder ein westlicher Politiker“, sagt Ikken und lächelt wie ein Sultan aus Tausendundeiner Nacht.