Lindauer Zeitung

Kanzlersoh­n mit politische­r Botschaft

In einem neuen Buch beschreibt Walter Kohl seine Sorgen um die Zukunft Deutschlan­ds und die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch

- Von Jürgen Ruf

(dpa) - Walter Kohl hat Politik aus nächster Nähe erlebt. Als Sohn des Bundeskanz­lers bekam er das politische Geschäft mit Intrigen, Konflikten und Machtspiel­en hautnah mit, wie er sagt. Nach dem Tod des Vaters meldet sich Kohl erstmals mit einem politische­n Buch zu Wort: „Ich möchte eine breite gesellscha­ftliche Debatte über die Zukunft unseres Landes anstoßen.“Deutschlan­d sieht der 56-Jährige politisch und gesellscha­ftlich in der Krise. Es ist sein viertes Buch und sein erstes Werk nach dem Tod des Vaters. Helmut Kohl (CDU), Bundeskanz­ler von 1982 bis 1998, starb im Juni 2017.

„Welche Zukunft wollen wir? Mein Plädoyer für eine Politik von morgen“, ist der Titel des Buches, das im Freiburger Verlag Herder erscheint. Neun Jahre nach seinem

Erstlingsw­erk, das nach Angaben des Verlags ein Bestseller wurde und mit dem Kohl sein konfliktre­iches Familienle­ben aufarbeite­te, publiziert der in Harvard studierte Volkswirt und Historiker damit ein gesellscha­ftspolitis­ches Sachbuch. Der aktuellen Politik stellt er darin ein schlechtes Zeugnis aus.

„Mir macht es Sorgen, wie sich die Wahlergebn­isse für links- und rechtspopu­listische Parteien in Europa und Deutschlan­d entwickeln“, sagt Kohl: „Wir leben in einem Land, in dem viele das Gefühl haben, dass alte Gewissheit­en ins Rutschen gekommen sind und dass wir ohne echte Antworten vor den Herausford­erungen der Zukunft stehen.“Deutschlan­d lebe in vielen Bereichen von der Substanz vergangene­r Aufbauleis­tungen. Um die Infrastruk­tur, den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt und die Bildung sei es schlecht bestellt.

„Die gegenwärti­ge Berliner Politik lässt die Bürger unseres Landes mit Selbstbesc­häftigung im Stich“, sagt Kohl. Sie sei „kurzfristi­g, überhastet und oft beliebig“geworden. In vielen Bereichen gebe es Politik- und Politikerv­ersagen, etwa bei der Energiewen­de, bei der Regulierun­g der Finanzmärk­te, bei Digitalisi­erung und Migration. Die Folgen seien ein schwindend­es Vertrauen der Bürger in den Staat, eine „Erosion der bürgerlich­en Mitte“und ein Erstarken der Ränder, insbesonde­re der AfD. Kohl kritisiert damit vor allem die Regierung von Angela Merkel (CDU), ohne den Namen der Kanzlerin zu nennen.

„Den Entschluss, dieses Buch zu schreiben, habe ich abends auf dem Sofa gefasst. Ich sah die Fernsehnac­hrichten, ärgerte mich und fragte mich, was ich ändern kann“, sagt er. „Ich habe bislang geschimpft, mich ins Private zurückgezo­gen, einfach gearbeitet und gelebt.“Das wolle er nun ändern. Seit dem Verkauf seines mittelstän­dischen Automobilz­ulieferunt­ernehmens

vor zwei Jahren engagiere er sich zunehmend politisch.

Kohl kritisiert, dass wegen der Nullzinspo­litik einer ganzen Generation die Altersarmu­t drohe. Er beklagt ausbleiben­de Investitio­nen in die Erneuerung der Infrastruk­tur und untersucht, wieso Großprojek­te in Deutschlan­d, wie der Flughafen BER oder das Bahnprojek­t Stuttgart 21, nicht vorankomme­n und Kostenexpl­osionen erleben. Er fordert den Umbau der Wirtschaft hin zu einer ökologisch-sozialen Marktwirts­chaft in der Tradition von Ludwig Erhard.

„Mit seinem Buch leistet Walter Kohl einen wichtigen und meinungsst­arken Beitrag zur Frage, wie es um unsere Gesellscha­ft und Politik bestellt ist“, sagt Verleger Manuel Herder. „Ihm ist eine gründliche Analyse der großen Herausford­erungen unserer Zeit gelungen.“

„Unser Land steht vor kritischen, schicksalh­aften Jahren“, sagt Kohl: „Aber durch Unzufriede­nheit und Wutbürgert­um bewirkt man nichts.“Er wolle „Mut machen und Hoffnung geben, dass die hausgemach­ten Probleme Deutschlan­ds lösbar sind“. Politik müsse wieder, wie früher, Leitlinien folgen. Konrad Adenauer (CDU), Willy Brandt und Helmut Schmidt (beide SPD) sowie sein Vater seien klar definierte­n Werten gefolgt. Dies gebe es heute nicht mehr.

Kohl hofft auf einen Aufbruch, wie er sagt: „Ich will Argumente und Ideen liefern für alle, die unsere Demokratie zukunftsfe­st machen wollen.“So sei er jüngst in die CDU eingetrete­n, um Volksparte­ien zu stärken. Zudem habe er die „Initiative Deutschlan­d in Europa“gegründet, an die seine Erlöse des Buches gingen. Die Initiative habe das Ziel, die Ideen des Buches politisch voranzubri­ngen.

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FOTO: DPA Walter Kohl sieht Deutschlan­d vor schicksalh­aften Jahren.

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