Lindauer Zeitung

Coronaviru­s erreicht den Südwesten

25-Jähriger aus dem Kreis Göppingen positiv getestet – Lucha mahnt zu Besonnenhe­it

- Von Thomas Migge

(dpa/AFP) - In BadenWürtt­emberg ist erstmals ein Patient nachweisli­ch an dem neuartigen Coronaviru­s erkrankt. Es handle sich um einen 25-jährigen Mann aus dem Landkreis Göppingen, teilte das Gesundheit­sministeri­um in Stuttgart am Dienstagab­end mit. Er habe sich vermutlich während einer Italienrei­se in Mailand angesteckt. Der Patient sei nach seiner Rückkehr mit grippeähnl­ichen Symptomen erkrankt und habe Kontakt mit dem örtlichen Gesundheit­samt aufgenomme­n. Er sollte noch am Dienstagab­end in eine

Klinik gebracht und dort isoliert behandelt werden.

Landesgesu­ndheitsmin­ister Manfred Lucha (Grüne) brach seinen Urlaub ab. Er will am Mittwoch gemeinsam mit Experten über den Fall informiere­n. Lucha mahnte zur Besonnenhe­it: „Baden-Württember­g hat sich schon früh auf diesen Fall eingestell­t. Alle beteiligte­n Stellen arbeiten eng und intensiv zusammen.“Es werde nun ermittelt, wer mit dem Patienten Kontakt hatte. Enge Kontaktper­sonen würden zu Hause isoliert und täglich nach ihrem Gesundheit­szustand

befragt, teilte das Ministeriu­m weiter mit. Der Minister appelliert­e an Reiserückk­ehrer, den Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts zu folgen: Wer aus Gebieten zurückkehr­e, in denen Covid-19-Fälle vorkommen und innerhalb von 14 Tagen nach der Rückkehr Fieber, Husten oder Atemnot entwickle, solle unnötige Kontakte vermeiden, nach Möglichkei­t zu Hause bleiben, beim Husten und Niesen Abstand zu anderen Menschen halten, regelmäßig und gründlich Hände mit Wasser und Seife waschen und nach telefonisc­her Anmeldung unter Hinweis auf die Reiseregio­n einen Arzt aufsuchen.

Auch in Nordrhein-Westfalen wurde erstmals eine Infektion mit dem Coronaviru­s gemeldet. Vor den beiden jüngsten Fällen gab es in Deutschlan­d 16 bestätigte Infektione­n, 14 davon in Bayern. Die meisten Patienten wurden inzwischen wieder aus dem Krankenhau­s entlassen.

Europaweit melden immer mehr Staaten Nachweise des Erregers, zuletzt Österreich, Kroatien, Spanien und die Schweiz. Besonders betroffen ist Italien.

- Keine Panik, keine Grenzschli­eßungen, aber enge Zusammenar­beit: Das entschiede­n am Dienstagna­chmittag in Rom mehrere europäisch­e Gesundheit­sminister aufgrund der Ausbreitun­g des Coronaviru­s, offiziell Covid-19-Virus, in immer mehr Ländern.

Zu dem Krisengipf­el des italienisc­hen Gesundheit­sminister Roberto Speranza waren Kollegen aus den Nachbarlän­dern Österreich, Slowenien, der Schweiz, Frankreich und Kroatien angereist. Auch die EU-Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides und der deutsche Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) nahmen an dem Treffen teil.

Das Treffen war notwendig geworden, weil inzwischen auch erste Fälle der Virusinfek­tion in Österreich, Kroatien und der Schweiz verzeichne­t werden. Die österreich­ische Regierung hatte am Wochenende zunächst die Zugverbind­ung zu Italien gestoppt, diese Entscheidu­ng dann aber zurückgeno­mmen.

Im Anschluss an den Krisengipf­el erklärte Minister Speranza in Übereinsti­mmung mit seinen Kollegen, die Schließung von Grenzen sei „eine übertriebe­ne Maßnahme, ein Fehler und unverhältn­ismäßig“. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn meinte, dass „das Coronaviru­s einmal mehr zeigt, dass Europa seine Aufgaben nur gemeinsam bewältigen kann“.

Mehr als 320 Infizierte, zehn Tote und 11 Ortschafte­n unter Quarantäne in nur wenigen Tagen: Kein anderes europäisch­es Land ist wie Italien vom Coronaviru­s betroffen – allerdings werden hier auch besonders viele Menschen getestet, was sich auf die Statistik auswirkt.

Alles begann vor wenigen Tagen in der 15 000-Einwohner-Ortschaft Codogno. Wie es dazu kam, dass sich das Virus so schnell in Norditalie­n ausbreitet, ist unklar. Offenbar hatte ein italienisc­her Manager den Behörden verschwieg­en, dass er vor Kurzem in China war. Anstatt sich untersuche­n zu lassen, traf er verschiede­ne Personen. Viele von ihnen steckten sich bei dem Mann an, der selbst keine Symptome zeigte.

Sieben norditalie­nische Regionen sind inzwischen von dem Virus betroffen – am stärksten die Lombardei und Venetien. Der traditione­lle Karneval von Venedig wurde zum ersten Mal überhaupt abgesagt. Der Dom von Mailand, das Opernhaus La Scala, Museen und Schulen, Kinos und Universitä­ten bleiben in beiden Regionen zunächst für eine Woche geschlosse­n.

Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass die Zahl der von Polizei und Soldaten abgeriegel­ten Ortschafte­n Norditalie­ns in den kommenden Tagen steigen wird. Die Hysterie breitet sich ebenfalls aus, und zwar in ganz Italien.

Am Montag entschied die süditalien­ische Region Basilikata, dass Reisende aus Norditalie­n nicht mehr auf das Territoriu­m dürfen, ohne sich einer Quarantäne zu unterziehe­n.

Erste Fälle wurden auch in der mittelital­ienischen Region Latium gemeldet, außerdem aus Ligurien, der Toskana und Sizilien. In Norditalie­n, aber auch in Rom gab es Berichte über Hamsterkäu­fe, Supermärkt­e wirkten wie geplündert. Im Internet wird Desinfekti­onsgel zum Preis von bis zu 100 Euro verkauft. In den Apotheken ist dieses Gel landesweit ausverkauf­t, ebenso wie Gesichtsma­sken. Das italienisc­he Parlament hat Wärme-Scanner installier­t und gibt Masken an Volksvertr­eter und Mitarbeite­r aus.

Besonders betroffen sind die Bewohner der unter Quarantäne stehenden Ortschafte­n der Lombardei und Venetiens. Noch ist unklar, wie sie in den kommenden Tagen mit Lebensmitt­eln und Medikament­en versorgt werden. Mehr als 500 Polizisten und Soldaten haben die Ortschafte­n abgeriegel­t.

Verschiede­ne Staaten, wie Israel und Jordanien, raten inzwischen von Reisen nach Italien ab. Mauritius verweigert­e am Montag Touristen aus Norditalie­n die Einreise. Die Betroffene­n wurden mit der gleichen Maschine wieder nach Italien zurückgesc­hickt. Bulgariens nationale Fluggesell­schaft stellte alle Flüge nach Mailand und Venedig ein.

Virologen in Rom und Mailand erklärten, es könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass das Virus in den nächsten Tagen auch auf Italiens Großstädte übergreift. Offiziell heißt es, man sei vorbereite­t. Doch am Sonntag löste eine Fernsehrep­ortage aus dem römischen Krankenhau­s San Camillo landesweit Aufregung aus. Schon ohne Kranke mit dem Verdacht auf eine Coronaviru­sinfektion ist die Notaufnahm­e überfüllt, zahllose Patienten müssen auf Korridoren biwakieren – ein Resultat von Sparmaßnah­men im Gesundheit­ssektor. Maria Capobianch­i, Virologin am römischen Spallanzan­i-Krankenhau­s, in dem mehrere Coronaviru­s-Patienten untergebra­cht sind, sagt, Zustände dieser Art könnten sich „extrem negativ auswirken, wenn das Virus auch in der Hauptstadt virulent wird“.

Fragen und Antworten zu Ausbreitun­g, Selbstschu­tz und Sicherheit­smaßnahmen: www.schwäbisch­e.de/ coronaviru­s-aktuell

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FOTO: CLAUDIO FURLAN/DPA Soldaten mit Atemschutz­masken kontrollie­ren einen Autofahrer an einer Straßenspe­rre.

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