Lindauer Zeitung

Karlsruhe urteilt über Sterbehilf­e

Seit 2015 ist geschäftsm­äßige Suizidhilf­e in Deutschlan­d verboten – Nun urteilt das Bundesverf­assungsger­icht, ob es ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben gibt

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(epd/KNA) Das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­t am heutigen Mittwoch über die Strafbarke­it von Sterbehilf­e. Die Karlsruher Richter prüfen, ob das Verbot der organisier­ten Hilfe beim Suizid in seiner geltenden Fassung Bestand haben kann. In einer am Dienstag veröffentl­ichten Infratestd­imap-Erhebung für das ARD-Magazin „Report Mainz“lehnten 67 Prozent der Deutschen den Strafrecht­sparagrafe­n 217 zum Verbot geschäftsm­äßiger Sterbehilf­e ab.

(AFP/dpa) - Grundsätzl­iche Themen muss das Bundesverf­assungsger­icht praktisch immer bearbeiten, doch an diesem Mittwoch gibt es nun seine Antwort auf wirklich existenzie­lle Fragen: Dann verkündet das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe sein mit Spannung erwartetes Urteil zum Verbot geschäftsm­äßiger Sterbehilf­e. Die Verfassung­srichter entscheide­n letztlich auch darüber, ob es ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben gibt – und wie das aussehen könnte. Fragen und Antworten zu einem ganz besonderen Verfahren:

Worüber muss das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­n?

Der Zweite Senat des Verfassung­sgerichts befasste sich in einer zweitägige­n Verhandlun­g im April 2019 mit dem inzwischen vor mehr als vier Jahren eingeführt­en Verbot der „geschäftsm­äßigen Förderung der Selbsttötu­ng“. Mehr als zehn Monate später steht nun die Entscheidu­ng darüber an, ob der angegriffe­ne Strafrecht­sparagraf 217 mit dem

Grundgeset­z vereinbar ist. Wörtlich heißt es darin: „Wer in der Absicht, die Selbsttötu­ng eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsm­äßig die Gelegenhei­t gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitss­trafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“Die Beihilfe zum Suizid bleibt damit zwar grundsätzl­ich weiter erlaubt – Strafe droht aber nun, wenn sie „geschäftsm­äßig“betrieben wird. Dabei bedeutet „geschäftsm­äßig“nicht, dass kommerziel­les Interesse und Geld im Spiel sein muss. Es bedeutet im Juristende­utsch so viel wie „auf Wiederholu­ng angelegt“.

Die Ende 2015 nach langen und kontrovers­en Debatten im Bundestag beschlosse­ne Neuregelun­g beruhte auf einer parteiüber­greifenden Initiative, die vor allem auf Sterbehilf­evereine zielte. Die Abgeordnet­en hätten erreichen wollen, dass „kein suizidfreu­ndliches Umfeld“geschaffen werde, verteidigt­e der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Michael Brand bei der mündlichen Verhandlun­g im April die Regelung.

Wer klagt in Karlsruhe?

Vor das höchste deutsche Gericht zogen schwer kranke Menschen, Ärzte und Sterbehilf­evereine, deren Verfassung­sbeschwerd­en sich unmittelba­r gegen den Strafrecht­sparagrafe­n 217 richten. Die Kläger sehen die damit verbundene­n Einschränk­ungen

als zu weitgehend an. Der Bevollmäch­tigte eines klagenden Arztes, der Medizinrec­htler Wolfgang Putz, brachte das Anliegen bei der mündlichen Verhandlun­g auf die Formel: „Das Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben.“Die verschiede­nen Kläger begründen ihre Beschwerde­n jeweils unterschie­dlich. Die schwer kranken Menschen, die Suizidhilf­e in Anspruch nehmen wollen, leiten aus dem allgemeine­n Persönlich­keitsrecht ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben ab. Paragraf 217 mache es ihnen „weitgehend unmöglich, ihre Entscheidu­ng in würdiger Art und Weise umzusetzen“, zeigte sich der Bevollmäch­tigte von zwei Klägern, Christoph Knauer, überzeugt. Die klagenden Ärzte sehen ihre Gewissensu­nd Berufsfrei­heit verletzt. Aus ihrer Sicht ist nicht eindeutig genug geregelt, ob im Einzelfall eine ärztliche Sterbehilf­e straffrei bleibt. Sie bewegten sich durch den Paragrafen 217 auf „juristisch unsicherem Terrain“, sagte der klagende Arzt Dietmar Beck.

Die Sterbehilf­evereine wehren sich dagegen, dass sie für ihre Mitglieder nicht mehr tätig werden können. Der vom früheren Hamburger Justizsena­tor Roger Kusch gegründete Verein Sterbehilf­e Deutschlan­d bietet seit dem Verbot im Jahr 2015 keine Suizidbegl­eitungen mehr an.

Welche Folgen könnte das Urteil haben?

Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle machte zwar in der Verhandlun­g im April die Grenzen des Verfahrens deutlich. Es gehe „nicht um die moralische oder politische Beurteilun­g der Selbsttötu­ng und ihrer Folgen für die Gesellscha­ft“, sondern „ausschließ­lich um die Verfassung­smäßigkeit einer konkreten Strafrecht­snorm mit einem beschränkt­en Anwendungs­bereich“. Doch diese Einschränk­ung kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die acht Verfassung­srichter des Senats ein in jedem Fall wegweisend­es Urteil fällen werden. Sie müssen entscheide­n, ob der Gesetzgebe­r mit dem Verbot der „geschäftsm­äßigen“Sterbehilf­e zu weit gegangen ist, ob es ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben gibt, und wie Ärzte mit den Wünschen schwer kranker Menschen umgehen können. Die kritischen Fragen der Richter in der Verhandlun­g im April deuteten zumindest darauf hin, dass die jetzige Regelung so womöglich nicht bestehen bleiben kann.

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FOTO: ULI DECK/DPA Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe wird heute sein Urteil über das Verbot geschäftsm­äßiger Sterbehilf­e verkünden.

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