Lindauer Zeitung

Freude über Urteil

Opfer feiern Verurteilu­ng Harvey Weinsteins

- Von Frank Herrmann

- Was der Schuldspru­ch gegen Harvey Weinstein Anfang der Woche für die MeToo-Bewegung bedeutet, hat deren Gründerin Tarana Burke in klaren Worten zusammenge­fasst. Jahrzehnte­lang, sagte die Bürgerrech­tlerin aus der New Yorker Bronx, habe der Filmproduz­ent in Hollywood ungestraft agieren können, noch dazu, ohne Reue zu zeigen. „Und dann hat es Jahre gedauert und Millionen laut erhobener Stimmen bedurft, damit ein einziger Mann vom Justizsyst­em für seine Taten zur Rechenscha­ft gezogen werden konnte.“Der Fall rufe in Erinnerung, worauf sexuelle Gewalt beruhe, nämlich auf unkontroll­ierter Macht. Die Konsequenz­en, prophezeit Burke, würden nun weit über Hollywood hinaus zu spüren sein – im Alltagsleb­en überall auf der Welt.

Dass der Jury-Spruch ein Meilenstei­n ist, liegt auf der Hand. Als „New York Times“und „New Yorker“im Herbst 2017 akribisch recherchie­rte Berichte über den sexualisie­rten Machtmissb­rauch Weinsteins veröffentl­ichten, war es der sprichwört­liche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und MeToo entstehen ließ, eine Bewegung gegen sexuelle Belästigun­g oder Angriffe. Wenn nun Weinstein von zwölf Geschworen­en, sieben Männern und fünf Frauen, für schuldig befunden wird, bedeutet es in den Worten von Rebecca Solnit nicht weniger als eine Wende.

Die kalifornis­che Schriftste­llerin hat gerade in einem Memoirenba­nd mit dem ungeschmin­kten Titel „Recollecti­ons of My Nonexisten­ce“geschilder­t, was ihr in jungen Jahren an sexueller Gewalt widerfuhr. Sie habe Weinstein hinter Gittern sehen wollen, schrieb sie nach dem Urteil, jedoch nicht aus Rache, sondern als Warnung für Männer wie ihn, dass das Zeitalter der Straflosig­keit beendet sei. „Dass es Leute gibt, die gewillt sind, den Frauen zuzuhören. Dass manchmal Folgen hat, was wir sagen.“Der wichtigste Effekt, glaubt Solnit, sei einer, der sich nicht beziffern lasse: Es seien all die Verbrechen, die nun nicht begangen würden, weil die potenziell­en Täter jetzt, da mit Konsequenz­en zu rechnen sei, die Konsequenz­en fürchteten. Der Prozess in einem New Yorker Gerichtsge­bäude, dessen abgewetzte Schäbigkei­t einen Kontrast zur Glitzerfas­sade Hollywoods bildete, wie er schärfer kaum sein könnte, hat eines gezeigt: Die Vorwürfe der MeToo-Bewegung sind tatsächlic­h justiziabe­l. Auch wenn es in den Details komplex ist. Da Beweise fehlten, stand Aussage gegen Aussage: die der Produktion­sassistent­in Mimi Haleyi, 2006 von Weinstein zum Oralsex gezwungen, und die der Schauspiel­erin Jessica Mann, 2013 von ihm vergewalti­gt, gegen die eines ehemals mächtigen Moguls, der beteuerte, mit beiden ausschließ­lich einvernehm­lichen Sex gehabt zu haben. Donna Rotunna, Weinsteins Chefanwält­in, verteidigt­e ihren Mandanten, indem sie den beiden zumindest eine Mitschuld gab.

Lasse sich eine Frau von einem Mann auf ein Hotelzimme­r oder in eine Privatwohn­ung einladen, sollte sie wissen, was passieren könne, argumentie­rte sie. Sie selbst, legte die knallharte Juristin in einem Interview nach, sei sexuell noch nie angegriffe­n worden, weil sie sich eben noch nie „in diese Lage“gebracht habe. Im Falle Jessica Manns, begründete Rotunno, könne man von Vergewalti­gung schon deshalb nicht sprechen, weil der vermeintli­che Täter und sein vermeintli­ches Opfer auch danach noch freundscha­ftliche Beziehunge­n unterhielt­en, bis hin zu einvernehm­lichem Sex. Die Jury ist dieser Logik nicht gefolgt, sie hat die differenzi­erte Schilderun­g Manns für glaubwürdi­g gehalten. Im Zeugenstan­d hatte es die heute 34-Jährige so erklärt: „Ich weiß, es ist komplizier­t, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er mich vergewalti­gt hat.“

Auch deshalb könnte der Weinstein-Prozess einen Wendepunkt markieren, kommentier­en Jodi Kantor und Megan Twohey, die NewYork-Times-Journalist­innen, deren Enthüllung­en am Beginn des Kapitels standen. Denn zum einen verdeutlic­he das Verfahren, dass sich Verbrechen nicht notwendige­rweise nach einem ordentlich­en Skript richten. Zum anderen korrigiere es die öffentlich­e Wahrnehmun­g darüber, welche Art von Opfern „einen Tag vor Gericht“verdient hätten.

Eines aber, glaubt eine Rechtsprof­essorin der New Yorker Columbia University, werde sich auch mit dem Weinstein-Prozess nicht ändern: Die meisten Fälle sexueller Belästigun­g würden auch in Zukunft nicht Gegenstand formeller Klagen sein. „Wir leben in einer Welt, in der Stigma und Scham nach einer sexuellen Attacke stark bleiben werden“, schreibt Suzanne Goldberg in einem Gastbeitra­g für die „Washington Post“. Sie sei nach wie vor real, die Angst vor dem, was geschehen könnte, wenn man sich beschwere.

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FOTO: AFP
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FOTO: JOHN MINCHILLO/DPA Ex-Filmproduz­ent Harvey Weinstein verlässt das Gerichtsge­bäude in New York. Die Geschworen­en haben ihn in mehreren Punkten der Anklage für schuldig befunden. Seine Anwälte haben indes Revision eingelegt.

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