Grüner als die Grünen
Klimaaktivisten treten in Kempten und Erlangen mit eigenen Listen zur Kommunalwahl an
- Anhänger der Fridays-for-Future-Bewegung wollen bei den Kommunalwahlen Sitze in bayerischen Gemeinderäten erobern. Das könnte ausgerechnet für die Grünen zu einem Problem werden.
Für jedes Neugeborene einen Baum pflanzen: Mit dieser Idee möchte der Nürnberger Oberbürgermeisterkandidat Marcus König (CSU) am 15. März in Sachen Umwelt punkten. Damit steht er nicht alleine da. Bei der SPD schlägt die Kemptener Stadträtin und OB-Kandidatin Katharina Schrader vor: ein Baum für jedes Neugeborene. Ob Bäume, Nahverkehrsticket oder Energiewende – längst sind es nicht mehr nur die Grünen und die ÖDP in Bayern, die bei Wahlen auf Umweltthemen setzen.
„Der größte Unterschied zu früheren Kommunalwahlen ist, dass das gesellschaftliche bundes- und landespolitische Klima dem Klimaschutz eine der höchsten Prioritäten für die Politik zuweist. Das war bei den letzten Kommunalwahlen nicht der Fall“, sagt der Politikwissenschaftler Martin Gross vom Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Klimaschutz, Umweltschutz und Energie sind für viele Wähler in Bayern mit Abstand die wichtigsten politischen Themen. Zumindest geht das aus einer kürzlich veröffentlichten Studie der CSU-nahen HannsSeidel-Stiftung hervor. 34 Prozent der Befragten nannten demnach Klimaund Umweltthemen mit klarem Abstand an erster Stelle – unter den jungen Erwachsenen waren es sogar 46 Prozent.
„Wir machen die Kommunalwahlen zu Klimawahlen“, sagen Vertreter von Fridays for Future. Auf der Homepage zählt ein Countdown herunter, für eine bayernweite Demonstration zwei Tage vor der Wahl. Die Forderung: „Klimag’rechtigkeit! Jetzt zefix!“. Zwar betonen die Aktivisten ausdrücklich, überparteilich zu sein, aber in Kempten haben Anhänger neue Wählergruppierungen gebildet und genug Unterschriften gesammelt, um eigene Listen bei der Kommunalwahl aufzustellen. „Wir sind jung, bringen frischen Wind und haben neue Ansätze“, sagt Benjamin Gras, 18 Jahre, Listenplatz Nummer 3 bei Future for Kempten. Insgesamt 17 Personen stehen auf der Kemptener Liste – die Kandidaten der ersten elf Listenplätze sind unter 21 Jahren.
Im Nebenraum einer Kletterhalle haben sie sich mit potenziellen Wählern versammelt und sprechen über ihre Vorhaben. Es ist die „erste Politik-Werkstatt“, die regelmäßig stattfinden soll, falls es Anhänger in den Stadtrat schaffen. „Da wir sehr jung sind, brauchen wir Leute, die uns mit ihrer Lebenserfahrung, Ideen und Input unterstützen“, sagt Gras. Diskutiert wird vor allem über Klimapolitik und eine nachhaltige Verkehrswende: Weg von der Autodominanz, hin zur emissionsfreien Mobilität. Kempten soll bis 2030 die CO2-Emissionen halbieren.
„Wir glauben, dass wir aufgrund unseres jungen Alters besonders glaubwürdig die Bewahrung der Lebensgrundlage für zukünftige Generationen
einfordern können“, sagt Gras. Könnte das zu Lasten der Grünen gehen? Gras hat wenig Bedenken, den Grünen Wählerstimmen wegzunehmen: „Ich denke, die Grünen werden immer noch ein Plus haben, und es ist gerecht, wenn wir auch in den Stadtrat einziehen und mitgestalten dürfen. Der Boom von den Grünen geht im Endeffekt auf Fridays for Future zurück.“Schließlich habe Fridays for Future die Klimadebatte in die breite Masse der jungen Gesellschaft gebracht, sagt Gras.
Auch in Erlangen haben sich Bürger vereint, um rasche Maßnahmen für den Klimaschutz durchzusetzen. Die sogenannte „Klimaliste Erlangen“ist ein überparteilicher Zusammenschluss, der laut eigenen Angaben zwar inspiriert, aber unabhängig von bestehenden Klimabewegungen ist. Die Vertreter sind Lehrer, Unternehmer,
Wissenschaftler, Ingenieure, Pfarramtssekretärin, Rentner, Dozenten oder Studenten. Sie wollen die Treibhausgas-Emissionen in Erlangen bis 2025 auf „Netto-Null“senken. Einer Sprecherin der Grünen zufolge sind die Grünen vor Ort mit den Listen aus Erlangen und Kempten in Kontakt: „Natürlich begrüßen wir Grüne politischen Einsatz für Klima- und Umweltschutz.“
Sowohl Future for Kempten als auch die Klimaliste Erlangen gehen in ihren Klima-Forderungen über die der Grünen hinaus, meint Politikwissenschaftler Gross. Er kann sich vorstellen, dass die beiden neuen Gruppierungen den Grünen „im begrenzten Maße“Stimmen abknöpfen. „Insgesamt traue ich beiden politischen Gruppierungen zu, ein bis zwei Sitze im Stadtrat zu erringen und damit zu einer weiteren Zersplitterung der Kommunalparlamente beizutragen.“