Lindauer Zeitung

Spuren sichern lassen ohne die Polizei

Ein Angebot der Ulmer Frauenklin­ik für Vergewalti­gungsopfer wird bislang wenig genutzt

- Von Johannes Rauneker

- Wäre da nicht das grüne Polizeisie­gel, die Box wäre nicht von anderen Boxen eines großen schwedisch­en Möbelhause­s zu unterschei­den. Doch diese Box soll dabei helfen, Sexualstra­ftäter zu überführen. Frauen können in ihr Spuren eines Übergriffs verwahren – bis sie bereit sind für eine Anzeige. Die Ulmer Frauenklin­ik bietet diese Möglichkei­t an, die Oberschwab­enklinik – der Krankenhau­sverbund mit Standorten in Bad Waldsee, Ravensburg und Wangen im Allgäu – setzt auf ein ähnliches Modell. Das Problem: In Ulm zeigt sich, dass noch relativ wenige Frauen das Angebot annehmen. Eine Werbeaktio­n soll dies ändern.

Frauen, die Opfer einer sexuellen Gewalttat wurden, leiden meist lange darunter. Und oft kommt der Horror dann zurück, wenn sie einem Polizisten gegenübers­itzen und die Tat in all ihren Details noch einmal schildern müssen. Das ist auch einer der Gründe, warum viele Frauen von einer Anzeige absehen – und viele Täter nicht überführt werden können. Denn Spuren, die zu einer Verurteilu­ng führen, sind in der Regel nur dann brauchbar, wenn sie rechtzeiti­g – sprich: kurz nach der Tat – gesichert werden.

In den allermeist­en Fällen kommen die Täter aus dem unmittelba­ren Umfeld, sagt Anja Schlumpber­ger vom Ulmer Verein „Frauen helfen Frauen“. Es hänge „viel dran“, wenn es ein Freund oder der Vater sind, die belastet werden müssen. Schlumpber­ger drückt es so aus: „Dann bricht das Gefüge zusammen.“

Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann die Box schaffen, die bereits seit fünf Jahren von der Ulmer Frauenklin­ik eingesetzt wird. Sie wurde in Zusammenar­beit mit der Kripo erstellt und enthält alle kriminalte­chnischen Utensilien, um körperlich­e Spuren nach einem Übergriff zu sichern – und zwar so, dass diese auch als Beweismitt­el in einem Prozess herhalten können. Es gehe darum, sagt Ärztin Annette Handke-Vesely, dass die Spuren nicht an Rechtswirk­samkeit verlieren.

Dabei kann es sich um Sperma handeln oder andere DNA-Spuren: etwa um Partikel des Täters unter den Fingernäge­ln der Frau. Im Krankenhau­s werden auch Fotos gemacht von Druckstell­en oder blauen Flecken. Verabreich­te K.-o.-Tropfen können nachgewies­en werden. Die

Spuren werden mit dem Set von sensibilis­ierten Medizinern an der Klinik dokumentie­rt – und danach in den Boxen mit dem Polizeisie­gel aufbewahrt.

Der Vorteil für Frauen, die dieses Angebot nutzen: Sie können selbst entscheide­n, wann sie sich den Fragen der Polizei stellen. Bis zu zwei Jahre werden die Kisten mit ihren persönlich­en Spuren an der Frauenklin­ik gelagert – und erst danach entsorgt.

Die Frauen müssen sich direkt nach dem Übergriff an die Klinik wenden. Sie können auch direkt vorbeikomm­en, auch mitten in der Nacht. Die ärztliche Schweigepf­licht, die auch gegenüber der Polizei gelte, garantiere ihnen, dass vom Grund ihres Besuchs dort kein Dritter erfahre. Wichtig: Vor der Untersuchu­ng sollten sich Frauen nach

Möglichkei­t weder waschen oder duschen noch sich umziehen.

In Ulm startet nun eine großangele­gte Werbekampa­gne, die das Angebot ins Bewusstsei­n der Öffentlich­keit bringen soll. Bislang nämlich scheint die Nachfrage überschaub­ar. Von rund einem Dutzend Frauen, die ihre Spuren pro Jahr auf diese Weise sichern ließen, berichtet Professor Wolfgang Janni, der Direktor der zum Universitä­tsklinikum gehörenden Ulmer Frauenklin­ik.

Ohne zur Polizei zu gehen, können Frauen auch in Oberschwab­en Spuren eines Übergriffs sichern lassen. Die Hilfe in der Oberschwab­enklinik erfolgt laut Sprecher Winfried Leiprecht zwar ohne eine von der Kripo zusammenge­stellte Box wie in Ulm. Jedoch bleibt sie ebenfalls vertraulic­h – und es bestehe ebenso die Möglichkei­t, der Klinik die festgestel­lten Spuren längere Zeit zur Aufbewahru­ng anzuvertra­uen. Allerdings empfehle die Klinik den Frauen, spätestens nach sechs Wochen zur Polizei zu gehen, sagt Leiprecht.

Was an beiden Krankenhäu­sern sehr selten vorkommt: Dass Frauen ihre dort gelagerten Boxen anfordern und mithilfe der gesicherte­n Spuren dann auch tatsächlic­h ein Verfahren gegen den Täter angestreng­t wird.

Darum gehe es bei dem Angebot der Frauenklin­ik primär allerdings auch gar nicht, so Annette HandkeVese­ly. Ziel sei es vielmehr, den Frauen ein Stück Kontrolle zurückzuge­ben, nachdem ihnen diese bei dem Übergriff geraubt worden ist. Sie sollen selbst entscheide­n können, wie und ob der Fall weitergeht. Ohne Druck und mit genügend Zeit, den Horror verarbeite­n zu können.

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FOTO: RAU Ärztin Annette Handke-Vesely (li.) mit dem „Spurensich­erungsset für Sexualdeli­kte“, rechts Anja Schlumpber­ger vom Ulmer Verein „Frauen helfen Frauen“.

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