Spuren sichern lassen ohne die Polizei
Ein Angebot der Ulmer Frauenklinik für Vergewaltigungsopfer wird bislang wenig genutzt
- Wäre da nicht das grüne Polizeisiegel, die Box wäre nicht von anderen Boxen eines großen schwedischen Möbelhauses zu unterscheiden. Doch diese Box soll dabei helfen, Sexualstraftäter zu überführen. Frauen können in ihr Spuren eines Übergriffs verwahren – bis sie bereit sind für eine Anzeige. Die Ulmer Frauenklinik bietet diese Möglichkeit an, die Oberschwabenklinik – der Krankenhausverbund mit Standorten in Bad Waldsee, Ravensburg und Wangen im Allgäu – setzt auf ein ähnliches Modell. Das Problem: In Ulm zeigt sich, dass noch relativ wenige Frauen das Angebot annehmen. Eine Werbeaktion soll dies ändern.
Frauen, die Opfer einer sexuellen Gewalttat wurden, leiden meist lange darunter. Und oft kommt der Horror dann zurück, wenn sie einem Polizisten gegenübersitzen und die Tat in all ihren Details noch einmal schildern müssen. Das ist auch einer der Gründe, warum viele Frauen von einer Anzeige absehen – und viele Täter nicht überführt werden können. Denn Spuren, die zu einer Verurteilung führen, sind in der Regel nur dann brauchbar, wenn sie rechtzeitig – sprich: kurz nach der Tat – gesichert werden.
In den allermeisten Fällen kommen die Täter aus dem unmittelbaren Umfeld, sagt Anja Schlumpberger vom Ulmer Verein „Frauen helfen Frauen“. Es hänge „viel dran“, wenn es ein Freund oder der Vater sind, die belastet werden müssen. Schlumpberger drückt es so aus: „Dann bricht das Gefüge zusammen.“
Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann die Box schaffen, die bereits seit fünf Jahren von der Ulmer Frauenklinik eingesetzt wird. Sie wurde in Zusammenarbeit mit der Kripo erstellt und enthält alle kriminaltechnischen Utensilien, um körperliche Spuren nach einem Übergriff zu sichern – und zwar so, dass diese auch als Beweismittel in einem Prozess herhalten können. Es gehe darum, sagt Ärztin Annette Handke-Vesely, dass die Spuren nicht an Rechtswirksamkeit verlieren.
Dabei kann es sich um Sperma handeln oder andere DNA-Spuren: etwa um Partikel des Täters unter den Fingernägeln der Frau. Im Krankenhaus werden auch Fotos gemacht von Druckstellen oder blauen Flecken. Verabreichte K.-o.-Tropfen können nachgewiesen werden. Die
Spuren werden mit dem Set von sensibilisierten Medizinern an der Klinik dokumentiert – und danach in den Boxen mit dem Polizeisiegel aufbewahrt.
Der Vorteil für Frauen, die dieses Angebot nutzen: Sie können selbst entscheiden, wann sie sich den Fragen der Polizei stellen. Bis zu zwei Jahre werden die Kisten mit ihren persönlichen Spuren an der Frauenklinik gelagert – und erst danach entsorgt.
Die Frauen müssen sich direkt nach dem Übergriff an die Klinik wenden. Sie können auch direkt vorbeikommen, auch mitten in der Nacht. Die ärztliche Schweigepflicht, die auch gegenüber der Polizei gelte, garantiere ihnen, dass vom Grund ihres Besuchs dort kein Dritter erfahre. Wichtig: Vor der Untersuchung sollten sich Frauen nach
Möglichkeit weder waschen oder duschen noch sich umziehen.
In Ulm startet nun eine großangelegte Werbekampagne, die das Angebot ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen soll. Bislang nämlich scheint die Nachfrage überschaubar. Von rund einem Dutzend Frauen, die ihre Spuren pro Jahr auf diese Weise sichern ließen, berichtet Professor Wolfgang Janni, der Direktor der zum Universitätsklinikum gehörenden Ulmer Frauenklinik.
Ohne zur Polizei zu gehen, können Frauen auch in Oberschwaben Spuren eines Übergriffs sichern lassen. Die Hilfe in der Oberschwabenklinik erfolgt laut Sprecher Winfried Leiprecht zwar ohne eine von der Kripo zusammengestellte Box wie in Ulm. Jedoch bleibt sie ebenfalls vertraulich – und es bestehe ebenso die Möglichkeit, der Klinik die festgestellten Spuren längere Zeit zur Aufbewahrung anzuvertrauen. Allerdings empfehle die Klinik den Frauen, spätestens nach sechs Wochen zur Polizei zu gehen, sagt Leiprecht.
Was an beiden Krankenhäusern sehr selten vorkommt: Dass Frauen ihre dort gelagerten Boxen anfordern und mithilfe der gesicherten Spuren dann auch tatsächlich ein Verfahren gegen den Täter angestrengt wird.
Darum gehe es bei dem Angebot der Frauenklinik primär allerdings auch gar nicht, so Annette HandkeVesely. Ziel sei es vielmehr, den Frauen ein Stück Kontrolle zurückzugeben, nachdem ihnen diese bei dem Übergriff geraubt worden ist. Sie sollen selbst entscheiden können, wie und ob der Fall weitergeht. Ohne Druck und mit genügend Zeit, den Horror verarbeiten zu können.