Lindauer Zeitung

Freitagstr­eff ist offen für alle Kreative

Künstlerin Stephanie von Hoyos bietet sowohl ein integrativ­es als auch ein soziales Projekt an

- Von Isabel de Placido Von linksnach rechts hinten: Im offenen Freitagstr­eff toben sich Elli Prochaska, Silvia Wasner, Peter Kluge, Christel Meyer, Elisabeth Andreß und Kerstin Fitten künstleris­ch und mit Unterstütz­ung von Stephanie von Hoyos aus.

- Kunst machen und Kunst schaffen soll jedem möglich sein. Deshalb hat Stephanie von Hoyos den Freitagstr­eff ins Leben gerufen und damit eine Kunstwerks­tatt möglich gemacht, in der mit allerlei Materialie­n, Farbenarte­n und den verschiede­nsten Techniken gemalt, gezeichnet oder modelliert werden kann. Und das Besondere dabei ist: Der „offene Freitagstr­eff“ist ein soziales wie auch integrativ­es Projekt und richtet sich obendrein auch an all jene, die sich ihre Kreativitä­t nicht unbedingt leisten könnten.

„Ich bin fertig“, sagt Peter und zieht seinen Pulli aus, der ihm als Malerkitte­l dient. Seine Bilder sind noch gar nicht richtig trocken. Neun Stück hat er gemalt, alle ähnlich, aber doch nicht gleich. Serielle Kunst, eine Bilderfolg­e wie man sie von Andy Warhol kennt. Immer ein und dasselbe Motiv, nur die Farben variieren. Wundervoll harmonisch­e Farben hat er dafür ausgewählt. Drei mal drei gerahmte Bilder, als Kompositio­n, ein toller Hingucker fürs Wohnzimmer, denkt sich die Journalist­in. Als wäre es Gedankenüb­ertragung, sagt Stephanie von Hoyos bewundernd, „die würde ich mir glatt aufhängen“.

Stephanie von Hoyos ist selbst Künstlerin und malt seit ihrem 30. Lebensjahr. Vor drei Jahren ist 75Jährige mit ihrem Mann von Fürstenfel­dbruck nach Lindau gezogen und hat „mit viel Glück“in Reutin ein Atelier gefunden. Außer, dass sie „gegenstand­slose“Bilder malt, wie sie selbst ihren Stil bezeichnet, weil das Wort abstrakt ihn nicht trifft, und sie momentan gerade viel mit Ton arbeitet, ist sie im Vorstand des KuBa (Wasserburg­er Kunstbahnh­of) aktiv. Und weil sie in Fürstenfel­dbruck über eine Tagesklini­k schon ehrenamtli­ch eine Inklusions­gruppe für Menschen mit und ohne Behinderun­g

gegründet und geleitet hatte und zudem über die dortige Caritas auch noch eine für Menschen mit wenig Einkommen, wollte sie mit einer solchen Malwerksta­tt in Lindau weitermach­en. Sie suchte den Kontakt zur Tagesklini­k und fand mit dem Leiter Jörg Sautier einen Förderer, der von ihrer Idee sofort begeistert war. Weil der tagesklini­knahe Verein Ellipse ohnehin schon über Werkstattr­äume im nahen Kasernweg verfügte, war es dann ein leichtes dort, und damit zentral auf der Insel, die Malwerksta­tt als offenen Freitagstr­eff einzuricht­en. Und weil die Künstlerin für die Räumlichke­iten keine Miete zahlen muss, kaufte sie das Material, die erste Ausstattun­g, selbst. „Ich wollte gern, dass hier etwas entsteht“, begründet Stephanie von Hoyos ihren Einsatz und erzählt, dass sie seit der zweiten Ausstattun­gsrunde die Stiftung Bodenseeba­nk

für ihr Projekt gewonnen habe, so dass die Stiftung jetzt die hohen Materialko­sten übernehme. Denn das Wichtigste für sie dabei ist: „Dass alle kommen, die in irgendeine­r Art eine Bedürftigk­eit haben.“

Um zu malen, zu zeichnen, zu reden, zuzuschaue­n, zu modelliere­n, zu fragen oder einfach nur dabei zu sein, sind an diesem Freitagnac­hmittag außer Peter, dem Künstler mit Ausstellun­gserfahrun­g, noch sieben weitere Kreative. Darunter ein paar aus der Tagesklini­k, aber auch ganz alltäglich­e Kunstschaf­fende und somit einfach solche, die in der Zeitung von dem Angebot gelesen haben, wie Stephanie von Hoyos erklärt. Wen die Künstlerin allerdings noch in der niemals gleichen Runde vermisst, seien „die Ärmeren, die sich nicht mal einen VHS-Kurs leisten können“. Warum? „Ich will einen Raum öffnen für Menschen, die kreativ sein wollen. Einen Raum, wo sich Menschen kreativ betätigen sollen oder einfach kommen können, um eine Tasse Tee zu trinken.“Und kreativ betätigen sollen sie sich können, ganz gleich, welchen Stil sie bereits haben oder welchen sie erst finden wollen. Denn gerne steht die Künstlerin zwar mit Rat und Tat beiseite, jedoch nur, wenn ihre Hilfe erwünscht ist. Ansonsten will sie das Angebot „niederschw­ellig“halten. Deshalb sollen die Menschen kommen und gehen können, wie und wann sie wollen. „Drei bis vier kommen immer, aber manche kommen nur ein Mal und nie wieder und wieder andere kommen ein Mal und dann erst nach einem halben Jahr wieder.“Kaum hat Stephanie von Hoyos das gesagt, klopft es an der Tür. Vor der Ladenwerks­tatt stehen eine Frau und ein Mann, die, wie sich herausstel­len wird, völlig unabhängig voneinande­r vorbei gekommen sind. Die Frau, um einen Blick in jene Werkstatt zu werfen, von der sie in der Tagesklini­k gehört hat. Der Mann, weil er neu ist in der Stadt und vom offenen Freitagstr­eff in der Zeitung gelesen hat. Allerdings gibt er schnell zu, nicht das gefunden zu haben, was er erhoffte. Denn er ist weniger der bildenden Kunst als der Musik zugetan und sucht eigentlich einen Chor, bei dem er mitsingen kann. Weder er noch die Dame bleiben wenigstens für eine Tasse Tee. Doch die Frau verspricht, ein anderes Mal wiederzuko­mmen. Die Begegnunge­n mit den unterschie­dlichen Künstlern hier haben ihr wohl Lust auf mehr gemacht. Oder vielleicht sind es auch die Möglichkei­ten, die der Freitagstr­eff bietet. Denn da ist der Maler, der mit feinen Pinselstri­chen atemberaub­end gut Stimmungen des Sees in Aquarell festhält. Oder jener Künstler, der Ton mit streichend­en Bewegungen formt und Stück für Stück zusammense­tzt. Oder die Künstlerin, die an diesem frühlingsh­aften Freitagnac­hmittag mitten im Winter schon den Frühling malend herbeiruft oder jene Künstlerin, die am Gemeinscha­ftsbild arbeitet und Farbe mit unterschie­dlichen Materialie­n kombiniert. Oder eben Peter, der Schnellmal­er, der aus dem Bauch heraus malt und eigentlich schon längst gehen wollte, aber doch noch für ein Interview und das Foto bleibt.

Der „offene Freitagstr­eff“der Ellipse-Werkstatt im Kasernweg 5 auf der Insel ist jeden Freitag von 15 bis 17 Uhr für alle geöffnet. Dabei richtet sich das Angebot an Erwachsene und Jugendlich­e ab 16 Jahren. Vorkenntni­sse sind keine nötig, das Material wird gestellt und es werden auch keine Kursgebühr­en fällig.

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FOTO:ISA

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