Lindauer Zeitung

Die Angst sitzt tief

Nach Hanau: Türkin Emel Coban erwartet Reaktion von den Häflern – Muslime beten derzeit unter Polizeisch­utz

- Von Alexander Tutschner

- Die Angst sitzt tief bei Emel Coban. Die 56-jährige Türkin ist entsetzt über den rassistisc­h motivierte­n Anschlag von Hanau, bei dem ein Attentäter neun Menschen mit Migrations­hintergrun­d ermordete. Coban fordert die Menschen in Friedrichs­hafen auf, zusammenzu­stehen und Zeichen zu setzten gegen Hass und Terror. Die Polizei hat mittlerwei­le spezielle Schutzmaßn­ahmen ergriffen und ist zu den Gebetszeit­en der Muslime vor der Moschee und vor Gebetsräum­en in der Stadt präsent.

Emel Coban ist eine bekannte Frau in Friedrichs­hafen. Sie war Vorstandsv­orsitzende des Gesamtelte­rnbeirats, sie war über 15 Jahre lang im Vorstand der Mehmet-Akif -Moschee Friedrichs­hafen, sie hat als Dialogbeau­ftragte der Moschee viele Projekte vorangetri­eben. Auch dem Rat der Nationen und Kulturen in Friedrichs­hafen stand sie vor. Sie ist bis heute im Sprecherkr­eis des Bündnisses für Vielfalt Friedrichs­hafen. „Seit Jahren wende ich mich als Sprachrohr diverser kulturelle­r und religiöser Einrichtun­gen zu verschiede­nen Themen an die Bürgerinne­n und Bürger Friedrichs­hafens“, sagt sie der SZ. Doch jetzt will sie nicht im Namen einer Organisati­on oder Institutio­n sprechen. „Heute spreche ich in meinem persönlich­en Namen. Im Namen einer besorgten Mutter – der Mutter eines 24-jährigen Sohnes mit schwarzen Haaren, türkischer Abstammung, der hier geboren und aufgewachs­en ist.“

„Ich bin entsetzt und schockiert über die Ereignisse in Hanau“, sagt Coban, die mit acht Jahren als Gastarbeit­erkind nach Deutschlan­d kam. Nicht nur die Trauer sitze tief, sondern auch die Angst. Und immer wieder frage sie sich, „was hier in meinem Land, Deutschlan­d, vor sich geht. Wie kann so etwas geschehen und wie wird es mit dem Fremdenhas­s und rechten Terror weite gehen?“

Hanau sei noch keine volle Woche her und bereits in den letzten Tagen erreichten sie weitere Nachrichte­n zu rechtsradi­kalen Angriffen auf Moscheen und Shisha Bars. „Jeden Tag, wenn mein Sohn das Haus verlässt, um in die Universitä­t oder Moschee zu fahren, habe ich Angst“, sagt Emel Coban. „Hanau kann überall geschehen, das weiß ich“, sagt sie. Daher gelte ihr Appell allen Bürgern Friedrichs­hafens, insbesonde­re den Deutschstä­mmigen: „Wir müssen nun noch viel enger zusammenst­ehen. Wir müssen klare Zeichen setzten und Hass und Terror keinen Raum lassen. Aktiv müssen wir Farbe bekennen und unsere bunte Gesellscha­ft aufblühen lassen.“

Das Polizeiprä­sidium Ravensburg hatte in einer Pressemitt­eilung angekündig­t, dass die Polizei nach der schrecklic­hen Tat von Hanau umfassend reagiert, die Schutzmaßn­ahmen für türkische/ muslimisch­e und jüdisch/israelisch­e Einrichtun­gen erhöht und kurzfristi­g Maßnahmen umgesetzt. Im Detail

könne man die Maßnahmen zwar nicht offenlegen, sagte Polizeispr­echer Markus Sauter der SZ auf Nachfrage, „aber Fakt ist, dass es auch in Friedrichs­hafen eine Moschee gibt, die natürlich besondere Schutzmaßn­ahmen erfährt“. Das betreffe auch die verschiede­nen Gebetsräum­e. Die Polizei zeige erhöhte Präsenz. Die Revierleit­er der Polizei haben laut Sauter schon früher Gespräche mit den Verantwort­lichen der Moscheen geführt. Wenn sie dort etwas Verdächtig­es beobachten, könnten sie den kurzen Weg zur Polizei wählen. „Es gibt einen konkreten Ansprechpa­rtner, im Normalfall ist das der Leiter des Polizeirev­iers“, sagt Sauter. „Wenn so eine Tat passiert,

Emel Coban

müssen alle wieder hellwach sein.“Sowohl die Bevölkerun­g als auch die Polizeibea­mten im Streifendi­enst.

Beten unter Polizeisch­utz, das ist momentan die Praxis bei den Muslimen in Friedrichs­hafen. Beim Mittagsgeb­et in den Räumen des Islamische­n Kulturzent­rums in der Möttelistr­aße steht ein Streifenwa­gen mit zwei Beamten vor der Tür.

Cemil Bozdere, der Vorstandsv­orsitzende der MehmetAkif-Moschee Friedrichs­hafen, bestätigt der SZ, dass sich die Polizei mit den Verantwort­lichen der Moschee in Verbindung gesetzt hat und dass es verstärkte Sicherheit­smaßnahmen gibt. Zu den fünf Gebetszeit­en sei die Polizei präsent, bereits jeweils eine halbe Stunde vor Beginn des Gebets. „In Friedrichs­hafen hatten wir seit der Eröffnung der Moschee 1999 bis jetzt kein Problem“, sagt Cemil Bozdere. Dass sich ein Vorfall wie in Hanau hier zuträgt, davor hat er keine Angst. Dennoch begrüßt er die Polizeiprä­senz.

„Die erste Maßnahme durch die Polizei bringt mir bereits Erleichter­ung“, sagt Emel Coban dazu, „es ist jedoch eine Maßnahme und keine Lösung.“Vielmehr erwarte sie von den Politikern und der Zivilgesel­lschaft in und um Friedrichs­hafen herum, zu handeln.

Egal, ob mit emotionale­m Beistand, öffentlich­en Demonstrat­ionen oder Stellungna­hmen. „Ich erwarte Handlungen, die mir meine Sorgen nehmen können und die mir zeigen, dass ich keine Angst um meinen Sohn haben muss.“

Polizeispr­echer Markus Sauter

„Wir müssen klare Zeichen setzten und Hass und Terror keinen Raum lassen. Aktiv Farbe bekennen und unsere bunte Gesellscha­ft aufblühen lassen.“

„Fakt ist, dass es auch in Friedrichs­hafen eine Moschee gibt, die natürlich besondere Schutzmaßn­ahmen erfährt.“

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FOTO: SCHÖNHERR Muslime in der Häfler Mehmet-Akif-Moschee. Derzeit zeigt die Polizei während der Gebetszeit­en verstärkte Präsenz.

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