Die Angst sitzt tief
Nach Hanau: Türkin Emel Coban erwartet Reaktion von den Häflern – Muslime beten derzeit unter Polizeischutz
- Die Angst sitzt tief bei Emel Coban. Die 56-jährige Türkin ist entsetzt über den rassistisch motivierten Anschlag von Hanau, bei dem ein Attentäter neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordete. Coban fordert die Menschen in Friedrichshafen auf, zusammenzustehen und Zeichen zu setzten gegen Hass und Terror. Die Polizei hat mittlerweile spezielle Schutzmaßnahmen ergriffen und ist zu den Gebetszeiten der Muslime vor der Moschee und vor Gebetsräumen in der Stadt präsent.
Emel Coban ist eine bekannte Frau in Friedrichshafen. Sie war Vorstandsvorsitzende des Gesamtelternbeirats, sie war über 15 Jahre lang im Vorstand der Mehmet-Akif -Moschee Friedrichshafen, sie hat als Dialogbeauftragte der Moschee viele Projekte vorangetrieben. Auch dem Rat der Nationen und Kulturen in Friedrichshafen stand sie vor. Sie ist bis heute im Sprecherkreis des Bündnisses für Vielfalt Friedrichshafen. „Seit Jahren wende ich mich als Sprachrohr diverser kultureller und religiöser Einrichtungen zu verschiedenen Themen an die Bürgerinnen und Bürger Friedrichshafens“, sagt sie der SZ. Doch jetzt will sie nicht im Namen einer Organisation oder Institution sprechen. „Heute spreche ich in meinem persönlichen Namen. Im Namen einer besorgten Mutter – der Mutter eines 24-jährigen Sohnes mit schwarzen Haaren, türkischer Abstammung, der hier geboren und aufgewachsen ist.“
„Ich bin entsetzt und schockiert über die Ereignisse in Hanau“, sagt Coban, die mit acht Jahren als Gastarbeiterkind nach Deutschland kam. Nicht nur die Trauer sitze tief, sondern auch die Angst. Und immer wieder frage sie sich, „was hier in meinem Land, Deutschland, vor sich geht. Wie kann so etwas geschehen und wie wird es mit dem Fremdenhass und rechten Terror weite gehen?“
Hanau sei noch keine volle Woche her und bereits in den letzten Tagen erreichten sie weitere Nachrichten zu rechtsradikalen Angriffen auf Moscheen und Shisha Bars. „Jeden Tag, wenn mein Sohn das Haus verlässt, um in die Universität oder Moschee zu fahren, habe ich Angst“, sagt Emel Coban. „Hanau kann überall geschehen, das weiß ich“, sagt sie. Daher gelte ihr Appell allen Bürgern Friedrichshafens, insbesondere den Deutschstämmigen: „Wir müssen nun noch viel enger zusammenstehen. Wir müssen klare Zeichen setzten und Hass und Terror keinen Raum lassen. Aktiv müssen wir Farbe bekennen und unsere bunte Gesellschaft aufblühen lassen.“
Das Polizeipräsidium Ravensburg hatte in einer Pressemitteilung angekündigt, dass die Polizei nach der schrecklichen Tat von Hanau umfassend reagiert, die Schutzmaßnahmen für türkische/ muslimische und jüdisch/israelische Einrichtungen erhöht und kurzfristig Maßnahmen umgesetzt. Im Detail
könne man die Maßnahmen zwar nicht offenlegen, sagte Polizeisprecher Markus Sauter der SZ auf Nachfrage, „aber Fakt ist, dass es auch in Friedrichshafen eine Moschee gibt, die natürlich besondere Schutzmaßnahmen erfährt“. Das betreffe auch die verschiedenen Gebetsräume. Die Polizei zeige erhöhte Präsenz. Die Revierleiter der Polizei haben laut Sauter schon früher Gespräche mit den Verantwortlichen der Moscheen geführt. Wenn sie dort etwas Verdächtiges beobachten, könnten sie den kurzen Weg zur Polizei wählen. „Es gibt einen konkreten Ansprechpartner, im Normalfall ist das der Leiter des Polizeireviers“, sagt Sauter. „Wenn so eine Tat passiert,
Emel Coban
müssen alle wieder hellwach sein.“Sowohl die Bevölkerung als auch die Polizeibeamten im Streifendienst.
Beten unter Polizeischutz, das ist momentan die Praxis bei den Muslimen in Friedrichshafen. Beim Mittagsgebet in den Räumen des Islamischen Kulturzentrums in der Möttelistraße steht ein Streifenwagen mit zwei Beamten vor der Tür.
Cemil Bozdere, der Vorstandsvorsitzende der MehmetAkif-Moschee Friedrichshafen, bestätigt der SZ, dass sich die Polizei mit den Verantwortlichen der Moschee in Verbindung gesetzt hat und dass es verstärkte Sicherheitsmaßnahmen gibt. Zu den fünf Gebetszeiten sei die Polizei präsent, bereits jeweils eine halbe Stunde vor Beginn des Gebets. „In Friedrichshafen hatten wir seit der Eröffnung der Moschee 1999 bis jetzt kein Problem“, sagt Cemil Bozdere. Dass sich ein Vorfall wie in Hanau hier zuträgt, davor hat er keine Angst. Dennoch begrüßt er die Polizeipräsenz.
„Die erste Maßnahme durch die Polizei bringt mir bereits Erleichterung“, sagt Emel Coban dazu, „es ist jedoch eine Maßnahme und keine Lösung.“Vielmehr erwarte sie von den Politikern und der Zivilgesellschaft in und um Friedrichshafen herum, zu handeln.
Egal, ob mit emotionalem Beistand, öffentlichen Demonstrationen oder Stellungnahmen. „Ich erwarte Handlungen, die mir meine Sorgen nehmen können und die mir zeigen, dass ich keine Angst um meinen Sohn haben muss.“
Polizeisprecher Markus Sauter
„Wir müssen klare Zeichen setzten und Hass und Terror keinen Raum lassen. Aktiv Farbe bekennen und unsere bunte Gesellschaft aufblühen lassen.“
„Fakt ist, dass es auch in Friedrichshafen eine Moschee gibt, die natürlich besondere Schutzmaßnahmen erfährt.“