Lindauer Zeitung

Abseits der Wege – im Winter keine gute Idee

Stress kann fürs Wild tödlich sein, sagen Jäger – Sie fordern Rücksicht und Aufklärung und haben einen Vorschlag

- Von Ulrich Weigel

- Immer mehr Menschen sind in der Natur auch abseits der Wege unterwegs. Das sei für Wildtiere gerade im Winter eine große Herausford­erung, manchmal sogar ein lebensbedr­ohliches Problem, sagen Jäger – also keine gute Idee. Sie fordern mehr Rücksichtn­ahme und Eigenveran­twortung der Bevölkerun­g, aber auch intensiver­e Zusammenar­beit mit Gemeinden, Forstleute­n und Landratsam­t. Allerdings gibt es einen großen Knackpunk: Wie erfahren die Menschen überhaupt, wo sie problemlos die Natur genießen können und welche Gebiete sie besser meiden?

Ob Skitoureng­eher, Schneeschu­hwanderer, Pilzsammle­r oder Radler – Christian Berktold, Berufsjäge­r in Wertach, hat viele Erfahrunge­n mit Menschen, die (oft aus Unwissenhe­it)

zur falschen Zeit am falschen Ort unterwegs sind. Das größte Problem fürs Wild seien die, die im freien Gelände quer durch den Wald radeln. Je nach Schneehöhe gebe es das mit „Fatbikes“(extra dicke Reifen) sogar in der Winterzeit. Wenn man die Leute aufkläre, reagierten „99,999“Prozent vernünftig, sagt er. Konsequenz für Berktold: „Wir müssen die Menschen besser informiere­n, statt nach höheren Abschüssen zu rufen.“

Julian Heigl, mit seinem Vater Jagdpächte­r in Wertach, hat Naturschut­z und Landschaft­splanung studiert. Er erklärt, wie sich der Freizeitdr­uck abseits der Wege gerade im Winter auswirkt: Da sich das Wild sehr ruhig verhalte, merkten Menschen häufig nicht einmal, wie sie die Tiere mit Skitour, Nachtwande­rung oder Waldspazie­rgang abseits der Wege stören. Die Folgen könnten aber gravierend sein, wenn aufgeschre­cktes Wild plötzlich in Stress gerät und flieht.

Den hohen zusätzlich­en Energiever­brauch könnten die Tiere im kargen Winter dann unter Umständen nicht mehr decken, sagt Heigl. Es gebe sogar Wild, das vor Erschöpfun­g zusammenbr­icht und an einem Kreislaufk­ollaps stirbt. Andere fliehen in Bereiche, in die sie nicht gehören, und richten dort mangels Futter Schälschäd­en an Bäumen an. Gämsen fahren bei Kälte die Temperatur ihrer Extremität­en stark herunter und konzentrie­ren ihre Körperwärm­e auf den Rumpf. Dadurch seien sei aber nicht mehr so trittsiche­r und stürzten leichter ab. Auch andere Tiere passen sich an den Winter an, wechseln beispielsw­eise Fellund Federkleid. Der Schneehase etwa verkleiner­e seine Körperober­fläche, um Wärmeverlu­ste zu vermeiden, sagt Heigl. Raufußhühn­er hätten sogar an den Füßen Federn zur

Isolation vor Kälte. Kein Widerspruc­h ist es da, dass sich Wild teilweise von Wanderwege­n aus beobachten lässt. Denn die Tiere lernten, dass Menschen auf Wegen kein Problem sind. Das klappt, solange Wanderer die Wege nicht verlassen und die Fluchtdist­anz zu einem Wildtier unterschre­iten, ihm also zu nahe kommen.

Die Jagdvertre­ter wollen weder Allgäuern noch Urlaubern die Erholung in der Natur madig machen. Die Region lebe auch vom Tourismus und brauche ihn. Aber man müsse beide Belange in Einklang bringen, sagt Berktold und fordert mehr Aufklärung und Informatio­n. Vorneweg: In seinen Augen sollte selbstvers­tändlich sein, dass sich jeder vorher über ein Gebiet informiert, in dem er eine Tour plant. Besondere Rücksicht sei zudem bei Dämmerung und nachts erforderli­ch. Allerdings könne man niemandem vorwerfen, in einem ungeeignet­en Bereich zu laufen, wenn er nicht wissen kann, dass er genau dort das Wild stört oder sich gar in einem Schongebie­t befindet. Die Jäger halten Handeln für nötig: Gemeinsam mit den Gemeinden müsse man Systeme entwickeln, um Naturnutze­r (Einheimisc­he, Tagesund Übernachtu­ngsgäste) zu informiere­n: Dazu zählen sie Hinweissch­ilder, wie es beispielsw­eise der Naturpark Nagelfluhk­ette vormacht. Zudem sollte es an jedem Parkplatz Tafeln geben, an denen sich jeder über Barcodes aktuelle Informatio­nen und Karten beispielsw­eise mit umgebenden Schon- und Schutzgebi­eten direkt aufs Handy laden kann. Weitere nötige Punkte aus Jägersicht: mehr Schutzgebi­ete und Ruhezonen fürs Wild, aber auch Fütterunge­n fürs Rotwild, dessen Wege zu den ursprüngli­chen Überwinter­ungsgebiet­en im Flachland abgeschnit­ten sind.

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ARCHIVFOTO: DPA/FELIX KÄSTLE Im Winter leben Wildtiere wie Rotwild (Foto), Birkhuhn oder auch Gämse wegen des begrenzten Nahrungsan­gebots oft auf Anschlag.

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