Zwischen Mietenexplosion und Neubaugegnern
In München fehlt bezahlbarer Wohnraum – Dennoch machen jetzt jene mobil, die Neubauten ablehnen
(lby) - Kommunalwahlkampf paradox: In keiner deutschen Großstadt ist Wohnen so teuer wie in München, suchen so viele Menschen händeringend nach bezahlbarem Wohnraum. Doch wer Wahlplakate auf den Münchner Straßen liest, könnte glauben, dass die Landeshauptstadt an Wohnungsüberschuss leidet: „Schluss mit Baum fällen, Baustelle, Betonklotz“, plakatiert die CSU. „Wachstumswahn stoppen“, heißt es bei der ÖDP, „Wohnraum ist kein Spekulationsobjekt“bei der SPD.
Dabei ist keine der drei Parteien gegen neue Wohnungen – alle haben sich die Förderung des Wohnungsbaus ins Wahlprogramm geschrieben. Doch gleichzeitig sind die Parteien in den größeren Städten unter Druck von Baugegnern. München ist Extrembeispiel eines bundesweiten Phänomens: Seit der Jahrtausendwende wachsen viele Städte wieder, und Alteingesessene – insbesondere Eigenheimbesitzer, die nicht unter steigenden Mieten leiden – ärgern sich über zunehmende Enge.
In der Landeshauptstadt haben sich mehrere Anti-Bau-Bürgerinitiativen zur München-Liste zusammengeschlossen, die bei der Kommunalwahl antritt. Welche Chancen die Liste bei der Kommunalwahl hat, lässt sich schwer abschätzen. Doch ganz offensichtlich treffen die Gegner der Nachverdichtung einen Nerv. „Ich gehe davon aus, dass ein Drittel bis 40 Prozent der CSU-Mitglieder derselben Meinung sind wie wir“, sagt Dirk Höpner, Spitzenkandidat der Liste.
Nicht nur SPD und CSU tun sich schwer mit dem Spagat. Die kleine ÖDP etwa fordert in München als „Top-Thema Nr. 2“nach dem Klimaschutz die Schaffung bezahlbaren Wohnraums „in großem Umfang“. Gleichzeitig unterstützen sowohl die Umweltpartei als auch die Freien Wähler ein Bürgerbegehren „gegen maßlose Nachverdichtung“, an dem die München-Liste maßgeblich beteiligt ist.
Dabei ist das heutige Wachstum im Vergleich zur häufig verklärten Vergangenheit ganz gewiss nicht maßlos: Von 1800 bis 1900 verzehnfachte München seine Einwohnerzahl von etwa 40 000 auf über 400 000 Menschen. Und von 1945 bis 1970 gab es dann noch einmal eine Verdopplung von gut 500 000 auf 1,2 Millionen Einwohner, ohne dass die Mietpreise explodiert wären. Seit 1999 ist die Stadtbevölkerung dagegen lediglich um etwa ein Fünftel gewachsen. In anderen Großstädten ist die Entwicklung ganz ähnlich verlaufen, urbane Idyllen ohne Wachstum hat es nie gegeben. Ökonomen und Fachleute der Wohnungsbranche sind sich einig, dass die Ursache der
Mietpreisexplosion keineswegs unbegrenztes Wachstum ist, sondern der fehlende Wohnungsbau der vergangenen Jahrzehnte.
Die Münchner Baugegner wollen mit ihrem Bürgerbegehren weitere Neuansiedlungen großer Unternehmen beschränken. Der Gedanke dahinter: Neue Arbeitsplätze befördern den Zuzug, daher soll das Wachstum begrenzt werden.
Auf der anderen Seite stehen die Bürger, die dringend bezahlbaren Wohnraum brauchen. „Der Druck ist unglaublich stark geworden“, sagt die SPD-Landesvorsitzende Natascha Kohnen. Inzwischen hätten sogar Familien mit höherem Einkommen Schwierigkeiten, Wohnungen zu finden.
Die CSU bemüht sich, ungeachtet ihrer „Schluss mit“-Plakate einen goldenen Mittelweg zu finden: „Die CSU hat eine vernünftige, vermittelnde Haltung zwischen den Extremen“, sagt der Münchner Landtagsabgeordnete Josef Schmid. Von einer Begrenzung des Wachstums hält Schmid nichts: „Auch wenn man gar keine Wohnungen mehr baut, bleibt die Nachfrage gleich groß“, sagt der CSU-Abgeordnete, der in München einst selbst als OB-Kandidat antrat. „Damit treibt man die Mietpreise noch mehr nach oben. Es wäre fatal, wenn wir Unternehmen wie Apple und Google in München nicht mehr haben wollten.“