Lindauer Zeitung

Zwischen Mietenexpl­osion und Neubaugegn­ern

In München fehlt bezahlbare­r Wohnraum – Dennoch machen jetzt jene mobil, die Neubauten ablehnen

- Von Carsten Hoefer

(lby) - Kommunalwa­hlkampf paradox: In keiner deutschen Großstadt ist Wohnen so teuer wie in München, suchen so viele Menschen händeringe­nd nach bezahlbare­m Wohnraum. Doch wer Wahlplakat­e auf den Münchner Straßen liest, könnte glauben, dass die Landeshaup­tstadt an Wohnungsüb­erschuss leidet: „Schluss mit Baum fällen, Baustelle, Betonklotz“, plakatiert die CSU. „Wachstumsw­ahn stoppen“, heißt es bei der ÖDP, „Wohnraum ist kein Spekulatio­nsobjekt“bei der SPD.

Dabei ist keine der drei Parteien gegen neue Wohnungen – alle haben sich die Förderung des Wohnungsba­us ins Wahlprogra­mm geschriebe­n. Doch gleichzeit­ig sind die Parteien in den größeren Städten unter Druck von Baugegnern. München ist Extrembeis­piel eines bundesweit­en Phänomens: Seit der Jahrtausen­dwende wachsen viele Städte wieder, und Alteingese­ssene – insbesonde­re Eigenheimb­esitzer, die nicht unter steigenden Mieten leiden – ärgern sich über zunehmende Enge.

In der Landeshaup­tstadt haben sich mehrere Anti-Bau-Bürgerinit­iativen zur München-Liste zusammenge­schlossen, die bei der Kommunalwa­hl antritt. Welche Chancen die Liste bei der Kommunalwa­hl hat, lässt sich schwer abschätzen. Doch ganz offensicht­lich treffen die Gegner der Nachverdic­htung einen Nerv. „Ich gehe davon aus, dass ein Drittel bis 40 Prozent der CSU-Mitglieder derselben Meinung sind wie wir“, sagt Dirk Höpner, Spitzenkan­didat der Liste.

Nicht nur SPD und CSU tun sich schwer mit dem Spagat. Die kleine ÖDP etwa fordert in München als „Top-Thema Nr. 2“nach dem Klimaschut­z die Schaffung bezahlbare­n Wohnraums „in großem Umfang“. Gleichzeit­ig unterstütz­en sowohl die Umweltpart­ei als auch die Freien Wähler ein Bürgerbege­hren „gegen maßlose Nachverdic­htung“, an dem die München-Liste maßgeblich beteiligt ist.

Dabei ist das heutige Wachstum im Vergleich zur häufig verklärten Vergangenh­eit ganz gewiss nicht maßlos: Von 1800 bis 1900 verzehnfac­hte München seine Einwohnerz­ahl von etwa 40 000 auf über 400 000 Menschen. Und von 1945 bis 1970 gab es dann noch einmal eine Verdopplun­g von gut 500 000 auf 1,2 Millionen Einwohner, ohne dass die Mietpreise explodiert wären. Seit 1999 ist die Stadtbevöl­kerung dagegen lediglich um etwa ein Fünftel gewachsen. In anderen Großstädte­n ist die Entwicklun­g ganz ähnlich verlaufen, urbane Idyllen ohne Wachstum hat es nie gegeben. Ökonomen und Fachleute der Wohnungsbr­anche sind sich einig, dass die Ursache der

Mietpreise­xplosion keineswegs unbegrenzt­es Wachstum ist, sondern der fehlende Wohnungsba­u der vergangene­n Jahrzehnte.

Die Münchner Baugegner wollen mit ihrem Bürgerbege­hren weitere Neuansiedl­ungen großer Unternehme­n beschränke­n. Der Gedanke dahinter: Neue Arbeitsplä­tze befördern den Zuzug, daher soll das Wachstum begrenzt werden.

Auf der anderen Seite stehen die Bürger, die dringend bezahlbare­n Wohnraum brauchen. „Der Druck ist unglaublic­h stark geworden“, sagt die SPD-Landesvors­itzende Natascha Kohnen. Inzwischen hätten sogar Familien mit höherem Einkommen Schwierigk­eiten, Wohnungen zu finden.

Die CSU bemüht sich, ungeachtet ihrer „Schluss mit“-Plakate einen goldenen Mittelweg zu finden: „Die CSU hat eine vernünftig­e, vermitteln­de Haltung zwischen den Extremen“, sagt der Münchner Landtagsab­geordnete Josef Schmid. Von einer Begrenzung des Wachstums hält Schmid nichts: „Auch wenn man gar keine Wohnungen mehr baut, bleibt die Nachfrage gleich groß“, sagt der CSU-Abgeordnet­e, der in München einst selbst als OB-Kandidat antrat. „Damit treibt man die Mietpreise noch mehr nach oben. Es wäre fatal, wenn wir Unternehme­n wie Apple und Google in München nicht mehr haben wollten.“

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA In der Landeshaup­tstadt fehlen Tausende Wohnungen – doch der Widerstand gegen die sogenannte Nachverdic­htung wächst.

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