Hanau trauert um die Anschlagsopfer
Zwei Wochen, nachdem ein Rassist neun Menschen erschossen hat, findet in der Stadt eine bewegende Trauerfeier statt
(dpa) - Völlig unerwartet wurde ihr Bruder „aus der Mitte unserer Familie gerissen“, sagt Ajla Kurtovic mit stockender Stimme. Die junge Frau steht auf der Bühne vor hochrangigen Politikern und weiteren Angehörigen der Opfer des Anschlags in Hanau vom 19. Februar. „Zurückgeblieben ist grenzenloser Schmerz, eine unfassbare Leere und Fassungslosigkeit“, fügt sie hinzu und fordert: Die Tat müsse restlos aufgeklärt werden, so dass es keine Wiederholung geben könne. Hass empfinde sie nicht, denn dieser sei eine Triebfeder für Rassismus. Neun Menschen mit ausländischen Wurzeln hatte der Täter vor genau zwei Wochen erschossen.
Auch Oberbürgermeister Claus Kaminsky kämpft mit den Tränen, als er am Mittwochabend die Trauergäste begrüßt, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). In der ersten Reihe sitzen sie bei der zentralen Trauerfeier als Begleiter direkt neben den Hinterbliebenen, gemeinsam legen sie später weiße Rosen neben eine große Kerze auf der Bühne. Eine Stellwand führt dort die Namen der Opfer auf. Sie seien keine Fremden gewesen, sondern Mitbürger, sagt Kaminsky. Kemal Kocak, dessen Sohn der Kiosk gehörte, in dem Schüsse fielen, schildert eindrücklich am Rednerpult, dass er unter Angstattacken leide, selbst zu Hause in seiner Wohnung.
Die ergreifende Gedenkveranstaltung wird auf zwei Video-Leinwände übertragen, rund 2000 Menschen kommen dafür nach Polizeischätzungen in der Innenstadt zusammen, einige schwarz gekleidet.
Die hilflose Wut, der Zorn, die unmittelbar nach dem Anschlag bei einigen laut wurden, sind erst einmal nicht zu spüren – eher der anhaltende Schock und die Fassungslosigkeit. „Ich muss immer daran denken, wenn ich hier lang gehe“, sagt eine junge Frau mit Kopftuch. „Aber wir müssen trotzdem lernen, damit weiter zu leben.“Neben Trauer gibt es aber auch Angst und Sorge in Hanau, insbesondere unter den Bürgern mit ausländischen Wurzeln.
Die Tat des 43-Jährigen, der auch seine Mutter und sich selbst erschoss, habe eine Vorgeschichte geistiger Brandstiftung, Stimmungsmache und Hass, sagt Steinmeier. Er als „Mann mit weißen Haaren und weißer Haut“erlebe keine abschätzigen Blicke, verletzende Bemerkungen, herabsetzende Witze oder Ausgrenzung. Diejenigen, die diese Erfahrungen nicht machten, müssten wissen: „Ja, es gibt Rassismus in unserem Land – und das nicht erst seit einigen Wochen. Ja, es gibt eine weit verbreitete Muslimfeindlichkeit.“
Die Erinnerung soll mit der Trauerfeier nicht enden, betont Oberbürgermeister Kaminsky. Die Namen der Opfer sollen zum kollektiven Gedächtnis der Stadt gehören, dazu werde eine Gedenkstätte eingerichtet. Dazu kommen zahlreiche Initiativen. Ein Bündnis hat für den 14. März in Frankfurt zu einer Demonstration gegen Hass und Gewalt aufgerufen. In der Woche darauf soll es in mehr als 1700 Moscheegemeinden bei den Freitagsgebeten unter anderem um die Opfer von Hanau gehen.