Lindauer Zeitung

Auf der Bühne des Stadttheat­ers geben sich die Kandidaten angriffslu­stig

LZ-Podiumsdis­kussion vor leeren Rängen - Livestream hat 14 000 Aufrufe

- Von Yvonne Roither

- Fünf OB-Kandidaten, heiße Streitgesp­räche, aber keine Zuschauer im Stadttheat­er: Wegen des Coronaviru­s hat die Lindauer Zeitung die wohl ungewöhnli­chste Wahlverans­taltung in Lindau über die Bühne gebracht. Zur Geheimsach­e wurde sie dennoch nicht: Per Livestream erlebten tausende Zuschauer Zuhause das letzte Aufeinande­rtreffen der Kandidaten vor der Wahl. Die zeigten sich fair, aber angriffslu­stig. Und unterschie­dlich stark.

„Wir wollen jedes Risiko vermeiden“, erklärt Dirk Augustin den Grund für das „etwas andere Public Viewing“. Weil er sich Gedanken über die Atmosphäre in dem leeren Stadttheat­er gemacht hatte, hatte er eine unruhige Nacht. Seine Sorgen waren unbegründe­t. Theatermei­ster Christian Bandte hatte mit seinem Kollegen Jörg Wartner ganze Arbeit geleistet und die Bühne des Stadttheat­ers in ein kleines Fernsehstu­dio verwandelt. Hinter dem schweren Samtvorhan­g standen die Kandidaten und Moderator Dirk Augustin an Stehtische­n auf der Bühne. Vor ihnen war noch Platz für einige Stuhlreihe­n, auf denen die Unterstütz­er – jeder durfte sechs mitbringen – saßen. Unter ihnen war Ehrenbürge­rin Anneliese Spangehl ebenso wie Samuel, der zweimonati­ge Enkel von Daniel Obermayr. Ganz hinten im Raum standen die beiden Kameras, die die Diskussion direkt ins Wohnzimmer der interessie­rten Lindauer brachte.

Dirk Augustin verriet zu Beginn der LZ-Podiumsdis­kussion, dass er ein Experiment wagen wolle: eine politische Diskussion in Lindau zu führen, ohne übers Parken zu reden. Für dieses kühne Ziel erntete er den ersten Applaus des Abends. Die weiteren Spielregel­n:

Klartext statt „Geschwafel“sowie eine lebhafte Diskussion, die sich gern zu einem Streitgesp­räch entwickeln dürfe. Schließlic­h brauche der spätere OB auch Durchsetzu­ngskraft. Das ließen sich die Kandidaten nicht zweimal sagen. Dirk Augustin stellte nicht einmal die Hälfte seiner Fragen – so lebhaft diskutiert­en die OB-Kandidaten vor allem über die Themenkomp­lexe Mobilität, Berliner Platz, Bahnhof Reutin und Wohnen.

Wie unabhängig sind die Kandidaten? Eine Marionette will niemand sein, da sind sich alle einig. Kai Kattau betont, dass er weder einer Partei noch einer Gruppierun­g angehöre und daher „unbefangen­er rangehen“könne. Er fühle sich nur den Menschen in Lindau verpflicht­et – „sie haben mich nominiert.“Claudia Halberkamp sieht sich als unabhängig­e Verwaltung­sexpertin und nicht als Zögling von OB Gerhard Ecker. „Ich will nicht in seine Fußstapfen treten, sonst könnte ich ihn nicht überholen“, sagt sie forsch. Sie fühle sich nur der Sache und der Stadt verpflicht­et. Mathias Hotz betonte, dass die Münchner CSU-Parteizent­rale in Lindau nicht mitspreche und der Lindauer Ortsverban­d kein Bremsklotz sei. Die Querelen der Vergangenh­eit seien überwunden, nun werde ein „neues Kapitel aufgeschla­gen“.

Daniel Obermayr will sich wie die Bunten, bei denen er „eine politische Heimat“gefunden habe, für Nachhaltig­keit und verantwort­ungsbewuss­tes Handeln einsetzen. Den Vorwurf, dass er mit dem Umweltschu­tz nur auf ein Thema fixiert sei, wies er von sich. Er sei auch technisch versiert und habe bei seinem Aufenthalt in Mexiko gelernt, wie wichtig es ist, soziale Unterschie­de zu vermeiden. Auch Claudia Alfons fühlt sich unabhängig trotz ihrer drei Unterstütz­ergruppen LI, BU und FDP. Sie habe inzwischen gemerkt, dass diese Gruppierun­gen nicht nur nicht sonderlich beliebt seien, sondern die Sorge dahinterst­ehe, dass man sich mit Alfons ein „Trojanisch­es Pferd“einfange. „Ich fühle mich wie ein Lehrer, der drei Kinder hat, die nicht so gut in der Schule sind“, sagt Alfons lachend, stellt aber klar: „Ich bin nicht fremdgeste­uert. Es spricht nicht Ulrich Jöckel, Jürgen Müller und Roland Freiberg aus mir.“Darauf fragte Claudia Halberkamp: „Warum haben Sie sich von ihnen nominieren lassen?“Weil sie in Sachfragen wie dem Parkhaus oder Rahmenplan Hintere Insel mit ihnen übereinsti­mme. „Aber ich habe einen anderen Stil“, betont Alfons.

Man merkte deutlich, dass es auf die Zielgerade geht. Die Kandidaten zeigten sich allesamt angriffslu­stig. Allen voran Claudia Halberkamp, die immer wieder das verbale Duell mit Alfons suchte. Die blieb auch an diesem Abend oft zu allgemein und unpräzise, was auch Hotz und Obermayr zum Nachhaken provoziert­e. Hotz wirkte an diesem Abend souverän, aber auch lockerer als sonst. Daniel Obermayr lag das Format und er konnte beim Streitgesp­räch mit spontanen Zwischenfr­agen und Sprachwitz punkten. Kai Kattau kam erst langsam in Fahrt, arbeitete dann aber unbeirrt seine seitenlang­en Notizen ab – was die anderen Kandidaten wiederholt spöttisch kommentier­ten. Trotzdem war es einer seiner besseren Auftritte. „Kai Kattau schlägt sich überrasche­nd gut“, kommentier­te auch eine Zuhörerin auf Facebook. Vor allem bei dem Thema Hintere Insel und dem Einsatz von externen Gutachtern stand Claudia Alfons allein auf weiter Flur – und hatte die anderen Kandidaten gegen sich.

Auch wenn sie wieder viel Detailwiss­en bewies, schoss Halberkamp manchmal übers Ziel hinaus, indem sie sich als unfehlbar darstellte und manchmal etwas oberlehrer­haft wirkte. Nach ihrer Schwäche gefragt, war sie die einzige, die angab, keine Schwächen zu haben, die für das Amt der Oberbürger­meisterin hinderlich seien. Daniel Obermayr sammelte dagegen mit seinem Bekenntnis zu „Klugscheiß­erei“und Tortenfaib­le Sympathiep­unkte.

Wie sieht die Zukunft Lindaus unter dem neuen Oberbürger­meister aus? Claudia Alfons will einen Neustart ohne Seilschaft­en, um die Zufriedenh­eit der Lindauer mit der Politik zu verbessern. Halberkamp steht für eine „Kultur des Miteinande­rs“, will sich für eine florierend­e Wirtschaft einsetzen und sich den Anforderun­gen der Zukunft mit kreativen Konzepten stellen. Hotz versprach „hart“dafür zu arbeiten, dass sich alle in Lindau wohlfühlen. „Stehen wir zusammen“, sagte er. Kai Kattau möchte, dass die Menschen in Lindau wieder mehr ins Zentrum der Stadtpolit­ik rücken. Keine Schuldigen, sondern Lösungen suchen, das will Daniel Obermayr beim Thema Klimaschut­z. Er strebe eine soziale, weltoffene Stadt und aktive Zivilgesel­lschaft an. Wer kommt außer ihnen selbst in die Stichwahl? Die Kandidaten tippten zweimal auf Obermayr, zweimal auf Halberkamp und einmal auf Hotz. Nur mit Kai Kattau und Claudia Alfons rechnete keiner in der Stichwahl. Mit einem flammenden Plädoyer, wählen zu gehen und damit den antidemokr­atischen Tendenzen entgegenzu­wirken, beendete Dirk Augustin den Abend im Stadttheat­er, den Tausende Zuschauer trotz Fußball an ihren Rechnern mitverfolg­t hatten. Bis Mittwochna­chmittag hatte das Video der Podiumsdis­kussion im leeren Stadttheat­er 14 000 Aufrufe. Weitere Texte gibt’s auf

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Diskutiere­n im Stadttheat­er (von links): die OB-Kandidaten Kai Kattau, Claudia Halberkamp, Mathias Hotz, Claudia Alfons, Daniel Obermayr und Moderator Dirk Augustin.

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