Ein ungeduldiger Kandidat mit Sinn für die Realität
Hergensweilers Bürgermeisterkandidat Wolfgang Strohmaier im Portrait
Wolfgang Strohmaier sitzt im Rathaus in Hergensweiler und der Schreibtisch vor ihm ist akkurat mit blauen Mappen belegt. Es sieht nach viel Arbeit aus. Ist das der Grund, warum Strohmaier keinen Wahlkampf macht, um sein Bürgermeisteramt zu behaupten? „Ich habe die letzten sechs Jahre Wahlkampf gemacht“, sagt Strohmaier, der gut zwei Wochen vor der Wahl gelassen in die Zukunft blickt. „Was erreicht wurde, kann jeder im Amtsblatt nachlesen.“
Für den Portraittermin hat Strohmaier einfach zum Spaziergang durch Hergensweiler geladen. Er selbst wohnt mit Frau und Tochter in Dornbirn. „Das hat nichts damit zu tun, dass ich nicht in Hergensweiler sein will.“Es gäbe auch keinen Grund, dass er deswegen schlechtere Arbeit leistet.
Wer sich dennoch beschweren möchte, könne jederzeit bei ihm im Rathaus vorbeischauen. „Wir haben üppige Öffnungszeiten.“Der 52-Jährige residiert in dem rund hundert Jahre alten Rathaus im Erdgeschoss. Schränke, Tische und Böden sind alle etwas in die Jahre gekommen. Die Sanierung soll dieses Jahr beginnen. Hundsalt nennt Strohmaier seinen Dienstsitz, als er auf die Straße tritt. Im ersten Stock sollen Räume entstehen, die auch für eine Landarztpraxis geeignet sind. Ein Arzt für Kassenpatienten fehlt aktuell in Hergensweiler.
Keine 50 Schritte vom Rathaus entfernt, kommt Strohmaier ein älteres Paar entgehen. Ein schneller Gruß, man kennt sich. Nicht alle Einwohner halten das Rathaus für den geeigneten Ort, um einen Arzt anzusiedeln. „Es gibt viele schöne Alternativideen, aber die muss man auch umsetzen“, sagt Strohmaier. Als Gemeinde könne man sich bei so einem wichtigen Thema einfach nicht darauf verlassen, dass irgendwas in ein paar Jahren passiert. „Unser Rathaus sanieren wir jetzt.“
Es geht weiter die Altmannstraße hinunter. Der erkältete Bürgermeister zeigt auf den neuen Netto, erklärt die angedachte Renaturierung eines Baches und den Platz der neuen Bahnhaltestellen.
Bei vielen Projekten im Ort wünscht sich Strohmaier, dass sie schneller vorangehen könnten. „Zum Beispiel, wenn es darum geht Baugebiete auszuweisen.“Dann macht der ehemalige Linksverteidiger aber eine beschwichtigende Geste mit beiden Händen – Ball flach halten. Strohmaier beschreibt sich selbst als ungeduldig. „Besonders wenn mir jemand fünf Minuten lang siebenmal das Gleiche erzählt.“
Strohmaier geht die Pfänderstraße entlang. Für jeden entgegenkommenden Fußgänger gibt es ein freundliches Hallo. Auf der Wiese hinter den Häusern soll ein Demenzdorf entstehen.
Für den dazugehörigen Bürgerentscheid fordert Strohmaier trotz der eigenen inneren Eile noch Geduld. Erst müssten die Planungen präzisiert und dann der rechtliche Rahmen geprüft werden. „Sonst mache ich doch den Menschen Versprechungen, die nachher gar nicht eingehalten werden können.“Strohmaier geht sein Realitätssinn über alles, betont er.
Gut 300 Meter entfernt steht der Bau, den Strohmaier ohne zu zögern als sein Vermächtnis bezeichnet. „Ob ich gewählt werde oder nicht, der Bahnhof wird weiter stehen.“Im Februar 2019 waren die Sanierungsarbeiten für das alte Bahnhofsgebäude abgeschlossen . Im Inneren riecht es immer noch ein bisschen nach frischer Farbe und neuen Möbeln. Der alte Bahnschalter wurde restauriert und als Durchreiche umfunktioniert. „Da habe ich mich mit dem Architekten
gleich verstanden, dass dieses Schmuckstück erhalten werden muss.“Seine Hand streichelt liebevoll über das alte Holz.
Die weiße Fassade des Bahnhofs strahlt regelrecht vor dem Hintergrund der Grünflächen, die ihn umgeben. Das Einzige was nicht so richtig ins Bild passen will, ist ein kleines Schild an der Hauswand, dass auf die Förderung durch das Entwicklungsprogramm ländlicher Raum hinweist. „Ja ich weiß, aber das ist ein kleiner Preis“, sagt der studierte Verwaltungswirt und lacht.
Er erinnert sich noch gut an manche Reaktion auf den Sanierungsbeschluss. „Viele Menschen konnten sich nicht vorstellen, was man aus diesem damals sehr runtergekommenen Gebäude machen kann.“Da sei er schon mal doof von der Seite angeschossen worden. Dafür hat er jedoch Verständnis, denn auch ihm reiße ab und zu mal die Hutschnur. „Ich nehme nur in Anspruch, was ich anderen zugestehe.“
Auf dem Weg zum Dorfplatz fährt ein Auto vorbei. Die Fahrerin winkt mit der Hand. Strohmaier erwidert den Gruß. Bekommt er eigentlich einmal müde Arme, wenn er in Hergensweiler unterwegs ist? „Bei den Autos ist es extrem.“Nicht immer könne er den Fahrer sehen. „Wenn ich das Kennzeichen kenne, geht mein Arm reflexartig hoch“, sagt Strohmaier und lächelt.
Das vergeht ihm jedoch bei dem Blick auf den Dorfplatz, der den Besitzern des angrenzenden Gasthofs Sonne gehört. Investoren und Bauherren wollten darin ursprünglich 26 Wohnungen schaffen und aus dem Platz ein Parkdeck machen. Dank einer Veränderungssperre von Strohmaier und Gemeinderat werden es nun nur 20 Wohnungen. Der Dorfplatz wird trotzdem einem Parkdeck weichen, gibt Strohmaier zu. „Die Kröte mussten wir schlucken.“
Auf einer Wiese vor dem Kindergarten soll der neue Dorfplatz entstehen. Er wäre keine zwei Gehminuten von dem alten entfernt. „Es ist vielleicht nicht weit weg aber ich kann es nachvollziehen, wenn sich jemand daran stört“, sagt Strohmaier. Jemand der jahrzehntelang in Hergensweiler wohne, kenne es eben nicht anders. Veränderungen seien eben manchmal schwer. Auch das ist die Realität.
Mit Blick auf Demenzdorf wird es nicht die letzte schwierige Veränderung in Hergensweiler sein, die der neue Bürgermeister bewältigen muss. „Ich freue mich sehr auf diese Aufgaben“, sagt Strohmaier. Ein Auto fährt vorbei und Strohmaier murmelt das Kennzeichen. Sein Arm hebt sich reflexartig zum Gruß.